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Wissensmanagement im kundenorientierten Verwaltungshandeln

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Furchert_Dirkvon Prof. Dr. Dirk Furchert

„Eine Investition in Wissen bringt immer noch die besten Zinsen.“ (Benjamin Franklin, Staatsmann, Ökonom, Naturforscher, 1706 – 1790)

Reflexionen zum kundenorientierten Verwaltungsmanagement

Wie erfüllt man hohe Kundenerwartungen? Adressatengerechtes Handeln bedeutet Denken aus Perspektive und Fühlen mit dem Herzen des Kunden. Kundenorientierung bedeutet also die fokussierte Sicht auf die Empfänger der Leistung. Öffentliche Dienstleistungen sind von besonderer Beschaffenheit. Sie sind in der Regel ohne Wahlmöglichkeit für den Bürger, rechtlich normiert, politisch determiniert und werden unter den Augen von Medien und Öffentlichkeit produziert.

Der Bürger ist an vielen Stellen Mit-Produzent dieser Dienstleistung. Oft ist das nicht bewusst. Er wirkt an der Dienstleistung mit, z.B. bei übertragenen Sporteinrichtungen, der Abfalltrennung im Haushalt oder bei Leistungen der Mithilfe im sozialen Bereich – im Prinzip so, wie es auch im privaten Sektor stattfindet, z.B. bei der Selbstbedienung an der Tankstelle. Sein Wissen fließt mittelbar und unmittelbar in den Dienstleistungsprozess ein.

Kundenorientiertes Verwaltungshandeln bedeutet daher: Verwaltung, die ihre Legitimation von den Bürgern bezieht und sie in die Produktionsprozesse einbezieht, muss ihr Handeln unmittelbar auf diese Kunden ausrichten. Es geht damit um ein kundenbezogenes Reengineering der Arbeitsprozesse. Dafür bedarf es des Wissens um qualitätsvolles Handeln, das zu organisieren ist.

Welche Rolle hat das Wissensmanagement in den Arbeitsprozessen der Verwaltung?

„Wissen ist Macht“, so der Philosoph Seneca. Aus praktischer Erfahrung wissen wir, dass Herrschaftswissen von Einzelnen nicht unbedingt zu produktiven Arbeitsergebnissen beiträgt, sondern eher das geteilte und verteilte Wissen. Im 21. Jahrhundert haben wir es mit einer Wissens- und Informationsgesellschaft zu tun. Aber: Die wachsende Informationsflut erschwert das produktive Teilen und Verteilen von Wissen.

Schon 2011, so hat das Analyseunternehmen IDC errechnet, wurden 1,8 Zettabyte (= 1,8 Billionen Terabyte) Daten erzeugt und kopiert. Um diese riesige Datenmenge zu verarbeiten, würde man 57 Milliarden Tablet-PC benötigen. Nebeneinander gelegt ließe sich damit die Fläche Münchens und Berlins bedecken.

In den Verwaltungen werden ebenso immer mehr Informationen in Form von Vermerken, Briefen, Berichten, Protokollen, Vorgängen, Prozessbeschreibungen, Verwaltungsvorschriften, Datenbanken und vielem mehr angehäuft – aber das Ergebnis befriedigt nur zum Teil. So erleben Praktiker regelmäßig Themen, die nicht klar einzuordnen sind, hören von Unklarheiten über Zuständigkeiten oder den Ruf nach Klärung des Sachverhalts durch (externe) Expertise.

Beim Wissensmanagement geht es um Klarheit oder, anders gesagt, darum, dass eine Information in der vom Nachfrager nachgefragten Weise zum vom Nachfrager nachgefragten Zeitpunkt in der vom Nachfrager nachgefragten Form zur Verfügung steht. Es geht dabei um geeignete Strategien und Methoden zum Wissen im System Mensch – Organisation – Technik.

Bedrohlich wirkt, dass der Umfang der Informationen drastisch wächst – jeden Tag. Die Technik macht es möglich. Von 2005 bis 2020 wächst das Datenuniversum um den Faktor 300. Nur ein Bruchteil davon, 3 %, sind wirklich nutzbar. Die meisten Informationen stehen nicht zur Verfügung, weil sie nicht wiedergefunden werden.

Noch komplexer wird das Phänomen, weil sich diese Berechnung nur auf das explizite Wissen bezieht, also das dokumentier- und systematisierbare Wissen. Ähnlich wie bei einem Eisberg sind jedoch die impliziten Informationen, das wertvolle Erfahrungs- und Kontextwissen, jene sieben Achtel, die nicht sichtbar sind und die kaum von der Person zu trennen sind, weil sie eingebettet sind in konkrete Erfahrung und konkret erlebten Kontext. Sie drohen umso mehr verloren zu gehen je höher die Datenlawine sich auftürmt.

Oft erlebe ich, dass die Suche nach einer schnellen Lösung zum Thema Wissensmanagement irrtümlicherweise einseitig technisch determiniert ist. „Wir brauchen mal eine ordentliche Datenbank“, höre ich nicht selten. Ist diese dann da, stellt sich in vielen Fällen Ernüchterung ein. Der Erfolg bleibt aus, weil die entscheidenden Faktoren – Mensch und Organisation – nicht angemessen betrachtet und beeinflusst wurden.

Datenbanken vermögen die eigentlichen Probleme des Wissensmanagements nicht zu lösen. Erst Vernetzung, Kontext, Beziehung machen aus Datenrohstoff die wertvolle Ware Wissen.

Um den Prozess der Gestaltung der Wissens- und Kommunikationsflüsse und der sinnvollen Vernetzung dieser Wissensformen kümmern sich Wissensmanager, von denen es in Verwaltungen noch viel zu wenige gibt. Sie sind keine Redakteure oder Ingenieure, sondern Prozesskoordinatoren. Ihre Aufgabe ist, die verschiedenen Aspekte des Wissensmanagements zu steuern (vgl. 8 Bausteine des Wissensmanagements nach Probst et al.). Dazu gehören neben stetiger Zieldefinition und Evaluation die Erfüllung von Aufgaben der Wissensidentifikation (z. B. Kartierung von Wissensträgern), der Bewahrung des Wissens (z. B. Dokumentation, Prozessbeschreibungen, aber auch die Weitergabe von Erfahrungswissen), der Verbesserung des Nutzungsgrades (z. B. Schulungen, Akzeptanzmanagement), der Optimierung der Verteilung von Wissensbeständen (z. B. Analyse von Nutzungsformen des Wissens an den Arbeitsplätzen), die Neuentwicklung von Wissen (z. B. Kreativität und Problemlösung) sowie der Erwerb neuen Wissens (z. B. über den Transfer von Erkenntnissen aus Seminaren und Konferenzen).

Beziehungen zwischen Kundenorientierung und Wissensmanagement

Wissen befindet sich in vielfacher Form in Verwaltungen. Die Komponenten des „Ich“, des „Wir“ im Team und des „Wir alle“ wirken zusammen. So haben Wissen und Können von Einzelnen auch etwas mit Spielregeln auf organisationaler Ebene zu tun (z. B. was traut man sich zu fragen). Die Kernkompetenzen der Verwaltung sind abhängig von den Fähigkeiten der Mitarbeiter. Es gilt also, systemisch in oben genannte drei Richtungen zu schauen und Maßnahmen mehrdimensional zu betrachten.

Das ist die Kernkompetenz der Wissensmanager: Sie helfen, die „Wissensinseln“ in der Organisation zu überbrücken.

Bedeutsam ist das wiederum für kundenorientiertes Verwaltungshandeln. Hier geht es um Bereiche, in denen zunehmend Wissensarbeiter tätig sind, also Menschen, die intensiv mit Wissensressourcen arbeiten. Dazu gehören neben Führungskräften und Spezialisten (im Backoffice) zunehmend auch Generalisten im Frontoffice. Alle drei Gruppen von Wissensarbeitern haben dabei unterschiedliche Ansprüche an das Wissensmanagement.

Kundenorientierung bedeutet insbesondere auch, dem Kunden Orientierung zu geben.

Hier sind hohe Ansprüche an die Fähigkeiten der Informationsverarbeitung und verständliche Kommunikation gestellt, weil sich die Verwaltung darauf einzustellen hat, dass ihr Gegenüber kaum Erfahrung im Umgang mit den konkreten Regeln und Prozessen der Organisation hat. Der Alltag sieht hier nicht selten anders aus (Stichwort: Amtsdeutsch).

Von zentraler Bedeutung ist Orientierung auch im Inneren, um Steuerung und zweckorientiertes Handeln zu ermöglichen. Es geht um die Reduktion von Komplexität.

Die Verteilung von Informationen stellt dank Technik kaum eine Schwierigkeit dar. Das Problem ist vielmehr die Datenflut:

  • Grund für die Datenflut sind soziale Regeln wie die, dass der Status über das Berichtswesen definiert wird. Information wird von tieferer Hierarchieebene erwartet („Warum haben Sie mich darüber nicht informiert?“). Konsequenz ist eine Absicherungs-/“CC“-Kultur.
  • Technische Möglichkeiten verstärken die Datenflut. Es ist nahezu kein Problem, Mails zig Empfänger zu versenden oder Informationen ins Web zu stellen. Die Folge ist eine Informationslawine.
  • Wer diese Datenflut bewältigen möchte (also seine Mails gründlich durcharbeitet), wird an anderen wichtigen Arbeiten gehindert. Verstärkt wird das dadurch, dass schnelle Rückantworten implizit erwartet werden. Damit besteht das Risiko, dass relevante („wichtige“) Informationen unter den vielen irrelevanten Daten nicht hinreichend wahrgenommen und verarbeitet werden.

Die Bewältigung des Problems beginnt also nicht bei der (technischen) Speicherung oder einer höheren Geschwindigkeit der Übertragung von Informationen, sondern bei der Reduktion von Komplexität im Informationsdschungel, also dem Geben von Orientierung, dem Schaffen von Überblick, dem Vereinbaren von „Spielregeln“, dem Herstellen von Bezugspunkten. Das ist eine weitere Kernaufgabe des Wissensmanagements.

Zum Management von Wissen im kundenorientierten Verwaltungshandeln

Wissensmanagement hat viele Schnittstellen zu anderen Themen der Organisations- und Personalentwicklung, z. B. zum Qualitätsmanagement, zum Prozessmanagement, zum Veränderungsmanagement.

„Um eine wissensbasierende Organisation zu entwickeln, müssen Prozesse, Strukturen, geübtes Verhalten zielorientiert bewertet, definiert und neu ausgerichtet werden. Die ergebnis- und verhaltensprägenden Aktivitäten des Wissensmanagements definieren mit der Handlungs-, Denk- und Funktionsweise, dem Selbstverständnis, der Kreativität und der Innovationsfähigkeit die wettbewerbsspezifischen Kompetenzen der Institution. Die erforderlichen Maßnahmen und Abhängigkeiten sind komplex miteinander verwoben.“ (Ulrich Zuber, 2012)

Immer beeinflussen sich Mensch, Organisation und Technik gegenseitig. Instrumente des Wissensmanagements müssen deshalb sorgsam ausgewählt und funktional „passend“ sein. Ein aktuelles „schwarzes Brett“ kann im Team wertvoller sein als ein Gruppenchat, der an anderer Stelle wiederum hilfreiche Unterstützung bieten kann.

Gehle und Milder (2001) haben einige Faktoren zusammengetragen, die relevant sind, damit ein Instrument des Wissensmanagements effizient genutzt wird. Dazu gehören beispielsweise

  • Bedienerfreundlichkeit (ermöglicht einfache Nutzung)
  • Schnelle Reaktionszeiten
  • Einheitliche Nutzeroberflächen
  • Integration in den Arbeitsalltag und Informationsaustausch
  • Medienbruchfreiheit
  • Effizienter Zugriff auf weitere Informationen
  • Struktur und Übersicht
  • Hohe Verfügbarkeit

Meine Erfahrung bei der Umsetzung von Wissensmanagement-Projekten ist folgende – im Übrigen spielt hier kaum eine Rolle, ob die Organisation groß oder klein ist oder ob es sich um ein Unternehmen oder eine Verwaltung handelt:

  1. Wissensmanagement-Projekte betreffen viele Veränderungen gleichzeitig. Gewohnte Abläufe am Arbeitsplatz ändern sich, neue Instrumente werden eingeführt. Das „Einüben“ benötigt Zeit und abgestimmtes Vorgehen.
  2. Damit werden Ängste wach, mit dem Neuen nicht schritthalten zu können, Anforderungen nicht erfüllen zu können, die einen zutiefst menschlichen Umgang miteinander erfordern. Nichts ist dabei interaktiver als das persönliche Gespräch.
  3. Weil individuelles und organisationales Wissensmanagement dem Grunde nach ständige Lern- und Veränderungsprozesse sind, ist eine ausgeprägte Fehlerkultur in der Gesamtorganisation von entscheidender Bedeutung für den Erfolg des Projektes.
  4. Alles, was man selbst tun kann, sollte man nicht einem Dritten überlassen. Aber wo die eigene Expertise nicht ausreicht, ist es sinnvoll, zielführend und ressourcenschonend, sich einen Fachmann an die eigene Seite zu holen.

Anmerkung der Redaktion

Professor Dr. phil. Dirk Furchert ist amtierender Leiter des Fachbereichs Verwaltungsmanagement der Stadt Halle (Saale), Honorarprofessor für Verwaltungsmanagement und Kommunikation an der Hochschule Harz, arbeitet in Fachgremien zur Verwaltungsmodernisierung auf nationaler Ebene mit und berät Organisationen zu Fragen des Wissens- und Kommunikationsmanagements.

 

Net-Dokument BayRVR2013072201