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Bayerischer Gemeindetag: Verfahrensprobleme blockieren Ausbau schneller Datenautobahnen

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Der Ausbau des schnellen Internets im Freistaat ist ins Stocken geraten. Obwohl der Start für Anträge auf Zuschüsse bereits im Dezember 2012 erfolgte, ist bis heute noch kein einziges Förderverfahren abgeschlossen worden.

„Dieses Vorgehen widerspricht allen Zusagen des Freistaats für ein schnelles und möglichst unbürokratisches Förderverfahren“, betont Gemeindetagspräsident Uwe Brandl.

Das bayerische Wirtschaftsministerium muss schnellstens die Bremse lockern, fordert Brandl, um den Zug Richtung schnelles Internet nicht zum Stehen zu bringen. Alle Seiten sind sich einig, dass das Förderprogramm eine einmalige Chance für Bayern darstellt. Immerhin hat das von der EU genehmigte Beihilfeprogramm ein Volumen von zwei Milliarden Euro. Eine Klärung der verfahrenen Lage erhoffen sich die Beteiligten in Gesprächen mit dem Wirtschaftsministerium.

Wovor Experten bereits am Anfang gewarnt hatten – die Rede war von einem Bürokratie-Moloch – das ist eingetreten: Das Antragsverfahren für staatliche Fördermittel ist derart kompliziert und enthält eine Reihe von Einschränkungen, dass es beim Vollzug der Förderrichtlinie deutlich hörbar im Getriebe knirscht. So bezweifeln die Förderstellen, insbesondere die Regierung von Oberbayern, ob Firmen wirklich so viel Bedarf an Datentransferraten haben wie von ihnen angegeben, nämlich 50 Mbit/s. Oder die Förderstellen äußern Bedenken hinsichtlich des zu versorgenden Gebiets, das die Kommunen gemeldet haben. In dem ohnehin zeitraubenden Verfahren geht durch dieses Hin und Her weitere wertvolle Zeit verloren – zu Lasten der Unternehmen und der Bürger.

Die Regierung von Oberbayern verteidigt ihr Vorgehen auf Anfrage folgendermaßen:

„Das bayerische Förderprogramm zum Aufbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen wurde von der EU genehmigt. Im Programm werden auch strenge Vorgaben der EU umgesetzt. Zentrale Forderungen der EU-Kommission sind die Technologie – und Anbieterneutralität sowie die Transparenz der Verfahrensschritte. Förderungen aus diesem Programm dürfen nur dann ausgereicht werden, wenn die Gemeinden die einzelnen Verfahrensschritte korrekt durchlaufen haben. Andernfalls wäre die Bewilligung von Fördergeldern rechtswidrig und bereits ausbezahlte Förderungen müssten zurückerstattet werden. Dort, wo Beurteilungsspielräume bestehen, werden sie immer zu Gunsten der Gemeinden ausgelegt. Das gilt auch für die Festlegung der Erschließungsgebiete. Es ist im unmittelbaren Interesse der Gemeinden, wenn Rückabwicklungsfälle vermieden werden“, so Pressesprecher Stefan Frey.

Nach diversen Korrekturen mutierte die „Richtlinie des Wirtschaftsministeriums zum neuen Bayerischen Hochgeschwindigkeitsbreitband-Förderprogramm“ zur eierlegenden Wollmilchsau. Weil die EU-Kommission wegen der staatlichen Beihilfe strenge Vorgaben machte, verursachen die Anforderungen einen hohen Verwaltungsaufwand. So sieht der Marathonlauf zu den Geldtöpfen 19 Stufen vor, die Bayerns Kommunen erklimmen müssen. Im Schreiben einer Regensburger Beratungsfirma an die bayerische Staatskanzlei heißt es:

„Die Richtlinie war ursprünglich für die Realisierung von Glasfasernetzen in Gewerbegebieten gedacht. Durch den politischen Willen wurde dieses Vorhaben jedoch umfassend zugunsten einer bayernweiten Hochgeschwindigkeits-Breitbandversorgung erweitert, welche neben den Unternehmen auch für die Bevölkerung vorgesehen ist.“

Neben den Unternehmen sollen laut politischem Willen auch die Bürger einer Gemeinde von den schnellen Datenautobahnen profitieren. So trat der Bayerische Gemeindetag vehement dafür ein, schnelles Internet ohne bürokratische Hemmnisse in einer möglichst großen Fläche mit einer entsprechenden Anzahl von Gewerbebetrieben und Haushalten anzubieten. Neues Ziel war somit unversehens die bayernweite Breitbandversorgung im Hochgeschwindigkeitstempo.

Leider, so die Experten, hat man aber die Förderrichtlinie nicht an diese neue Zielsetzung angepasst. Schlimmer noch: Sie verhindert praktisch diese Ziele.

„Eine exakte Anwendung der Förderrichtlinie, wie dies von den Bezirksregierungen gefordert wird, ist […] nicht möglich.“

Letztlich müssen dann die Gemeinden entscheiden, wie sie vorgehen. Das Ergebnis kassieren wiederum die Bezirksregierungen, weil sie ja die Förderrichtlinie exakt anwenden – ein Teufelskreis. So wie die Richtlinie eigentlich gedacht war, müsstenGlasfaserkabel bis in oder an die Gebäude verlegt werden (FTTB, Fibre to the Building oder FTTH, Fibre to the home), denn zu den Unternehmen werden Übertragungsraten von mindestens 50 Mbit/s (download) vorgeschrieben. Mit einer Erschließung der Kabelverzweiger über Glasfaser ist es damit nicht getan. Bereits in kleinen Gemeinden würde dieser Ausbau Investitionen von mehreren Millionen Euro erfordern. Der maximale Förderbetrag von 500 000 Euro pro Kommune wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein, die Gemeinden könnten nur „Leuchttürme“ schaffen und der Bürgermeister damit die digitale Spaltung selbst befördern. Ein flächendeckender Glasfaserausbau für jedes bayerische Dorf würde nach einer Schätzung des Wirtschaftsministeriums Fördermittel in Höhe von 20 Milliarden Euro erfordern.

Ein FTTB-Ausbau der einzelne „Inseln der Seligen“ schafft ist aus kommunalpolitschen Gründen nicht vermittelbar. Damit ist das Förderverfahren prinzipiell an den örtlichen Bedürfnissen vorbei geplant, folgern die Regensburger Ingenieure. Einen Ausweg aus der verfahrenen Situation soll der Vorschlag bieten, Glasfaserkabel lediglich bis zu den Kabelverzweigern zu führen und von dort in die Gebäude mit preiswerten Kupferkabeln zu gehen. Der Fachmann spricht von FTTC-Netzen (Fibre to the Curb, Glasfasererschließung der Kabelverzweiger). Diese Lösung kollidiert aber wiederum mit einigen Punkten der Förderrichtlinie.

Konkret geht es um mehrere Problembereiche. Beim Thema „Kumulationsgebiete“ legen die Gemeinden fest, wo sie schnelles Internet haben wollen. Dort müssen aber mindestens fünf Unternehmen ansässig sein, von denen mindestens eines einen Bedarf von 50Mbit/s anmeldet. Die Leitlinie schreibt dann für dieses Gebiet eine flächendeckende Versorgung mit mindestens 30Mbit/s vor. Weil das für viele Gemeinden zu teuer ist, verkleinern sie in Abstimmung mit dem bayerischen Breitbandzentrum die Gebiete. Um nun die erforderliche Anzahl von Unternehmen und eine wirtschaftlich tragbare Lösung zu erhalten, so die Kommunalberater, werden die Kumulationsgebiete nach den verschiedensten Ideen des Wirtschaftsministeriums „fallweise sehr kreativ“ miteinander verbunden. Prompt hebt die Bezirksregierung wieder die rote Kelle: „Nicht richtlinienkonform!“ Hinten runter fallen bei dem Spielchen jene Gebiete, die in ein und derselben Gemeinde neben Hochgeschwindigkeitszonen liegen. Sie verharren in der digitalen Steinzeit. Fazit der Techniker: So wird der Breitbandausbau in vielen Fällen verhindert.

„Die müssen sagen was sie wollen“, ist aus der Stadt Tittmoning zu hören, „Breitbandförderung ja oder nein.“

Für ländliche Gemeinden sei das Programm wertlos, weil die Leitlinien zu streng ausgelegt würden und die Kriterien damit kaum zu erfüllen seien.

Kopfschütteln löst in den Rathäusern landauf landab der Verfahrensschritt „Bedarfsabfrage“ aus. Nachdem der Fragebogen anfangs lediglich die Alternative 50Mbit/s oder „gar nichts“ anbot, haben die Unternehmen natürlich die erste Option angekreuzt. Das können sich aber die Gemeinden nicht leisten. Auf Anraten der Regierung sollen sie deshalb rückfragen, warum das jeweilige Unternehmen die volle Rate benötigt, oder ob es nicht auch etwas weniger sein dürfte, zum Beispiel 30 Mbit/s.

„Die Firmen erklären uns für blöd“, sagt dazu ein Mitarbeiter der Gemeinde Rechtmehring (Landkreis Mühldorf/Inn).

So musste er sich vom Betreiber einer Maßschneiderei darlegen lassen, warum dieser eine hohe Übertragungsrate braucht: Weil die Firma mit Sticksoftware arbeitet, die sie online bezieht, weshalb große Datenmengen zum Herunterladen anfallen. In einigen Fällen wurden Firmen mit „schädlichem“ Bedarf, also 50Mbit/s, aus den Kumulationsgebieten „ausgeschnitten“. Sie bleiben damit unberücksichtigt. Gerade diese Firmen sind aber die Hauptadressaten des Förderprogramms. Ergebnis: Die Bezirksregierung verweigert ihre Zustimmung.

In Rechtmehring versteht man nicht, wieso die Bezirksregierung zu jedem Verfahrensschritt immer noch zusätzliche Informationen verlangt und auf welcher Grundlage sie das tut. Dabei sei es schwierig, überhaupt einen Netzbetreiber zu finden. Die Netzbetreiber wollten eine möglichst kleine „Wirtschaftlichkeitslücke“. Sie hätten kein Interesse daran, kilometerweise Glasfaserkabel zu verlegen. 50 Mbit/s seien ohnehin zu hoch, so der Breitbandpate, es würden in vielen Fällen auch 30 Mbit/s reichen. Inzwischen haben sich in Rechtmehring mehrere Netzbetreiber gemeldet.

„Wir könnten weiter machen und sie beauftragen“, heißt es im Rathaus.

Bloß darf die Gemeinde beim Spiel um die Förderung noch nicht vorrücken.

Obwohl die Gemeinde Warngau (Landkreis Miesbach) alle ihr bekannten Unternehmen angefragt hatte und das Wirtschaftsministerium damit einverstanden war, fragte die Regierung von Oberbayern nach: „Wie viele Unternehmer im Sinne der Richtlinie sind der Gemeinde im Erschließungsgebiet bekannt? Welche Unternehmer wurden angeschrieben (Adressliste mit Branchenangabe)?“. Während vom Wirtschaftsministerium vor einigen Monaten die Möglichkeit genannt wurde, eine Auswahl bei der Befragung der Unternehmen zu treffen, wurde dies zwischenzeitlich wieder revidiert. „Wir drehen uns im Kreis“, klagt ein Experte.

Stefan Graf, für das Breitbandthema zuständiger Referent des Gemeindetags, plädiert für möglichst große Freiheiten der Kommunen bei der Festlegung der Erschließungsgebiete. Dem pflichtet Karl Georg Manstorfer von der Regensburger Beratungsfirma IK-T bei:

„Eine Gemeinde ist aus ihrer lokalen Kenntnis heraus in der Lage, Gebiete zu nennen, in denen sie Ausbaubedarf hat.“

Als Grundübel sieht Roland Werb von der Beratungsfirma Corwese an, dass die Messlatte mit 30 Mbit/s, beziehungsweise 50 Mbit/s sehr hoch gehängt ist. Die Telekom habe davor gewarnt, dass dieses Ziel nur mit Glasfaserkabeln bis in die Gebäude zu realisieren ist. Deshalb habe man mit dem Breitbandzentrum Strategien entwickelt, wie FTTB-Netze günstiger zu realisieren seien. Werb findet auch nicht in Ordnung, dass die Regierung von Oberbayern Meldungen von Unternehmen anzweifelt, die als Bedarf 50 Mbit/s angeben. Das entspreche doch den Anhaltspunkten zur Abschätzung des Breitbandbedarfs, die das Breitbandzentrum herausgegeben hat. Die Unternehmen bemühten sich, drei Seiten lange Anträge bis ins Detail auszufüllen und dann werde es von der Bezirksregierung hinterfragt. Seine Bedenken hat Werb dem Wirtschaftsministerium in einem Brief mitgeteilt.

Bereits kurz nach dem Start des Antragsmarathons lauern nach Angaben der begleitenden Berater Fallgruben: Um den Ist-Zustand der Breitbandversorgung zu ermitteln, sind alle im Breitbandatlas des Bundes gelisteten Unternehmen zu ihrer Versorgung im jeweiligen Erschließungsgebiet zu befragen, auch die Funkbetreiber. So schreibt es die Richtlinie vor. Der Breitbandatlas sei aber vielfach zu ungenau. Ferner müsse die Richtigkeit der Inhalte hinterfragt werden, da die Daten der Netzbetreiber ungeprüft in den Atlas übernommen würden. Erfahrungsgemäß machten die Funkversorger „extrem positive Versorgungsangaben“ und können damit den Förderantrag torpedieren. Denn gemäß Förderrichtlinie darf ein Breitbandausbau nur in Gebieten mit einer geringeren Übertragungsrate als 25Mbit/s erfolgen. Fachlich sei es schwierig, diese Gebiete exakt festzustellen, so die Experten.

Alles schaut jetzt auf das bayerische Wirtschaftsministerium. Die Ministerialen sollen den Gordischen Knoten durchschlagen. Nach Abstimmung mit allen Betroffenen könnte dies durch ein Vollzugsschreiben an die Bezirksregierungen geschehen, in dem „alle Unebenheiten ausgebügelt werden“, so Referent Graf vom Gemeindetag.

„Wir haben ein sehr gutes Förderprogramm, zwei Milliarden Euro sind notifiziert. Wir müssen schauen, dass wir das jetzt abwickeln.“

Bayerischer Gemeindetag, Aktuelles v. 08.10.2013 (Manfred Hummel)