Gesetzgebung

Der Vorschlag zur Einführung einer Infrastrukturabgabe und das Unionsrecht

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von Ass. iur. Daniel Engel, Universität Augsburg

Am 7. Juli 2014 hat der Bundesverkehrsminister sein lang erwartetes Konzept zur Einführung einer Infrastrukturabgabe bzw. Pkw-Maut vorgestellt (PDF, 343 KB) und damit dem im Wahlherbst 2013 hitzig debattierten Gesetzesvorhaben erstes Leben eingehaucht. Danach wird ab 1. Januar 2016 ein jeder Nutzer des öffentlichen Straßennetzes in Deutschland für Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 t eine Infrastrukturabgabe entrichten müssen. Das gilt expressis verbis für alle Pkw-Halter im In- und Ausland. Ausländische Pkw-Halter können zwischen einer 10-Tages-Vignette (10 EUR), einer 2-Monats-Vignette (20 EUR) und einer Jahresvignette wählen. Die Bemessung der Jahresvignette erfolgt in Abhängigkeit der jeweiligen Schadstoffklasse und Hubraumgröße und soll durchschnittlich 88 EUR kosten. Deutsche Pkw-Halter werden verpflichtet, eine Jahresvignette zu erwerben. Damit steht zunächst fest, dass alle Nutzer des deutschen Straßennetzes die entsprechende Abgabe zu bezahlen haben, gleich ob In- oder Ausländer. Um das Wahlversprechen einzulösen, deutsche Pkw-Halter durch die Einführung der Maut nicht stärker als bislang zu belasten, erhalten Halter von in Deutschland zugelassenen Pkw jedoch eine Kompensation in Form eines Freibetrages in der Kfz-Steuer, welcher die zuvor geleistete Abgabe vollständig abbildet und ausgleicht. Da aufgrund dieses Regelungsregimes faktisch ausschließlich Ausländer durch die Pkw-Maut belastet werden, stellt sich offensichtlich die Frage nach der Vereinbarkeit dieses Gesetzesvorhabens mit den im Unionsrecht verankerten Diskriminierungsverboten, was bereits im Wahlkampf als wesentliches Argument gegen die Einführung der Pkw-Maut für Ausländer fungierte.

Das Infopapier des Bundesverkehrsministeriums (PDF, 343 KB) nimmt zur Europarechtskonformität Stellung und leitet diese zunächst aus der Überlegung ab, es sei in einem ersten Schritt keine Diskriminierung gegeben, da alle Pkw-Halter in gleichem Maße die Infrastrukturabgabe zahlen müssten und die in einem zweiten Schritt vorgenommene Reduzierung der Kfz-Steuer sei nicht unionsrechtlich determiniert, sondern ausschließlich Sache der Mitgliedstaaten. Ferner, so das Infopapier, habe sich die EU-Kommission in einer Anfrage von MdEP Cramer positiv gegeben. Weiterhin sähe Art. 7k der Richtlinie 1999/62/EG bei Einführung einer Maut für Schwerlastfahrzeuge die Möglichkeit für Ausgleichszahlungen der Mitgliedstaaten vor und schließlich fordere die EU-Kommission in einem Weißbuch ihrerseits die Umgestaltung verkehrsbezogener Entgelte und Steuern.

Den Argumenten des Infopapiers ist indes Skepsis entgegenzubringen. Zunächst muss die Rolle der Kommission relativiert werden. Zwar ist diese als „Hüterin der Verträge“ angehalten, die Einhaltung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten zu kontrollieren, doch macht eine positive Stellungnahme, über deren Inhalt und Deutung zudem erhebliche Zweifel bestehen (MdEP Cramer selbst wertet die Stellungnahme der Kommission als Absage an den vorgestellten Vorschlag), ein nationales Gesetzesvorhaben nicht schon unionsrechtskonform. Das letzte Wort hat insofern selbstredend der EuGH. Die Einschätzung der Kommission hat daher nur Auswirkungen auf die Frage, ob diese eine Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 258 AEUV anstrebt. Dass die Pkw-Maut aber unabhängig von der Kommission zum EuGH gelangen wird, ist in Anbetracht der Drohungen verschiedener EU-Mitgliedstaaten, eine Staatenbeschwerde gem. Art. 259 AEUV durchzuführen, dennoch wahrscheinlich (vgl. FAZ-online v. 29.11.2013, zuletzt eingesehen am 25.07.2014). Zudem ist die Forderung der Kommission nach einer Umgestaltung verkehrsbezogener Entgelte und Steuern als Hinweis auf das Streben nach einer einheitlichen Regelung auf Unionsebene zu verstehen und nicht als Startschuss für die Einführung 28 verschiedener Mautsysteme durch die Mitgliedstaaten, die EU-Ausländer faktisch benachteiligt. Zuletzt geht auch der Hinweis auf die Richtlinie 1999/62/EG fehl, da diese im vorliegenden Fall von vornherein nicht auf Pkw bis zu 3,5 t zulässiges Gesamtgewicht anwendbar ist und damit nicht die allgemeinen Diskriminierungsverbote des Primärrechts als lex specialis verdrängt.

Folglich ist unabhängig von den im Infopapier genannten Gründen die Frage nach der Vereinbarkeit der geplanten Pkw-Maut alleine danach zu beantworten, ob das vorgesehene zweistufige Regelungsregime – Maut für alle, Senkung der Kfz-Steuer für deutsche Pkw – gegen die einschlägigen Diskriminierungsverbote des Primärrechts verstößt. Zu nennen sind dabei insbesondere die verschiedenen Grundfreiheiten (Arbeitnehmerfreizügigkeit für Grenzpendler, Dienstleistungsfreiheit für selbständig Tätige etwa in der Tourismusbranche, Warenverkehrsfreiheit für Transporte mit Pkw unter 3,5 t zulässiges Gesamtgewicht), das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV sowie das verkehrsspezifische Diskriminierungsverbot aus Art. 92 AEUV, welche neben der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit nach ständiger Rechtsprechung des EuGH jeweils auch faktische Diskriminierungen umfassen. Um es auf den Punkt zu bringen, geht es vorliegend unionsrechtlich um die Frage, ob es sich bei dem vorgesehenen Regelungsregime um eine Diskriminierung handelt oder, wie von der Politik vertreten, um zwei voneinander zu unterscheidende Regelungsbereiche.

Zur Beantwortung dieser Fragestellung vermag ein Blick in die Rechtsprechung des EuGH erste Hilfe zu geben. Denn die Einführung eines Mautsystems für alle Straßennutzer bei gleichzeitiger Senkung der Kfz-Steuer für deutsche Fahrzeuge ist keineswegs neu. So hatte der EuGH bereits im Jahre 1992 über diese Idee im Zuge einer geplanten Lkw-Maut der Bundesrepublik zu entscheiden, welche ebenfalls über die Kfz-Steuer kompensiert werden sollte. Der EuGH, der die Maßnahme an Art. 76 EWGV maß, der dem heutigen Art. 92 AEUV entspricht, verwarf die Argumentation der Bundesrepublik mit klaren Worten:

„Zum anderen ist festzustellen, daß das Gesetz vom 30. April 1990, indem es die neue Belastung, die in der von allen Verkehrsunternehmen zu zahlenden Straßenbenutzungsgebühr liegt, in erheblichem Umfang durch eine nur den inländischen Verkehrsunternehmen zugute kommende Senkung der Kraftfahrzeugsteuer ausgleicht, bewirkt, daß die Lage der Verkehrsunternehmen der anderen Mitgliedstaaten im Vergleich zu der der inländischen Verkehrsunternehmen in einem für erstere ungünstigen Sinne verändert wird.“ (EuGH, Rs. C-195/90, Kommission/Deutschland, Slg. 1992, I 3175 Rn. 23 [PDF, 584 KB])

Auch der Generalanwalt sah es als offensichtlich an, dass aufgrund des Konnexes zwischen Mauteinführung und Steuersenkung eine faktische Diskriminierung von EU-Ausländern gegeben sei (Schlussanträge Generalanwalt Jacobs, Rs. C-195/90, Kommission/Deutschland, Slg. 1992, I 3158 Rn. 21 f. [PDF, 1.14 MB]). Für die Annahme einer Diskriminierung spricht zudem, dass der EuGH in ständiger Rechtsprechung eine ergebnisorientierte Gesamtbetrachtung eines Regelungsregimes vornimmt, um faktische Diskriminierungen von Unionsbürgern herauszuarbeiten und daher eine Trennung der beiden Ebenen der Infrastrukturabgabe unwahrscheinlich ist. Letztlich ist die Annahme einer Diskriminierung auch unter dem Gesichtspunkt des Umgehungsschutzes geboten. Hier gilt es kritisch anzumerken, dass es erklärtes Ziel der Politik war und ist, eine Pkw-Maut einzuführen, die ausschließlich Ausländer belastet, während nur der Weg dorthin umstritten ist. Gerade diese kommunizierte Vorsätzlichkeit aber streitet entscheidend dafür, das zweistufige System als Umgehung einschlägiger Diskriminierungsverbote zu werten. Hierzu, wie auch zur einschlägigen Rechtsprechung des EuGH findet sich indes keine Stellungnahme bzw. Auseinandersetzung im vorgestellten Infopapier.

Ist der im Infopapier vorgesehene Vorschlag zur Einführung einer Infrastrukturabgabe folglich mit dem Unionsrecht (offensichtlich) unvereinbar, so stellt sich die Frage nach den Konsequenzen. Eine Beseitigung der Diskriminierung kann auf zwei Wegen erfolgen: Auch deutsche Pkw-Halter werden gleichförmig belastet und damit eine Maut „durch die Hintertür“ eingeführt oder aber die Pkw-Maut wird alsbald wieder abgeschafft. In beiden Fällen ist in Anbetracht europakritischer Stimmen eines klar: „Schuld ist die EU“.

 

Anmerkung der Redaktion

Ass. iur. Daniel Engel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht sowie Sportrecht von Prof. Dr. Christoph Vedder an der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg und promoviert zu einem europarechtlichen Thema.

Der Beitrag wird – die weitere Rechtsentwicklung aufnehmend – in einer der nächsten Ausgaben der Verwaltungsrundschau veröffentlicht.

 

Net-Dokument BayRVR2014072801