Aktuelles

BVerfG: Verfassungsbeschwerden gegen die Errichtung der BTU Cottbus-Senftenberg teilweise erfolgreich

©pixelkorn - stock.adobe.com

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat Verfassungsbeschwerden gegen die Fusion der TU Cottbus mit der FH Lausitz zur BTU Cottbus-Senftenberg teilweise stattgegeben. Die vorübergehende Leitung der BTU Cottbus-Senftenberg durch einen vom Wissenschaftsministerium eingesetzten Gründungsbeauftragten ist nicht mit der Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar, weil der Gesetzgeber die wesentlichen Regelungen nicht selbst getroffen hat. Im Übrigen blieben die Verfassungsbeschwerden ohne Erfolg.

Sachverhalt und Verfahrensgang

Mit dem Landesgesetz zur Weiterentwicklung der Hochschulregion Lausitz vom 11. Februar 2013 (GWHL) wurde die Brandenburgische Technische Universität Cottbus mit der Fachhochschule Lausitz zur Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg fusioniert. Das Gesetz regelt u. a. die übergangsweise Leitung der Hochschule bis zur Ernennung des Gründungspräsidenten sowie die Zusammensetzung der neuen zentralen Selbstverwaltungsgremien. Das Ministerium setzte zum 1. Juli 2013 einen Gründungsbeauftragten ein, der die Universität bis zur Ernennung des Gründungspräsidenten am 15. Juli 2014 leitete. Der Gründungssenat und der erweiterte Gründungssenat konstituierten sich am 20. November 2013.

Die Beschwerdeführer sind Fakultäten und Professoren der ehemaligen Universität Cottbus. Einen Antrag der Fakultäten auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Inkrafttreten des Fusionsgesetzes hat die 3. Kammer des Ersten Senats mit Beschluss vom 27. Juni 2013 abgelehnt.

Wesentliche Erwägungen des Senats

Die Verfassungsbeschwerde der Fakultäten ist nicht, die Verfassungsbeschwerde der Professoren ist zum Teil begründet.

1. In formeller Hinsicht begegnet das Gesetz keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG begründet keine gesonderten Beteiligungsrechte der Hochschulen, Fakultäten oder einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beim Zustandekommen eines Gesetzes zur Fusion zweier Hochschulen. Das Verfahren der parlamentarischen Gesetzgebung dient dazu, die Belange aller Betroffenen in öffentlicher Debatte, unter Einschluss der Opposition und begleitet durch die Medien, zur Geltung kommen zu lassen. Weitere verfahrensrechtliche Vorgaben für den Gesetzgeber sind zum Schutz der Wissenschaftsfreiheit nicht geboten. Zudem hatte im Vorfeld dieser Fusion eine umfassende Beteiligung der Öffentlichkeit und der Hochschulen stattgefunden. Die Hochschulen waren am Gesetzgebungsverfahren beteiligt; sie hatten zu dem Referentenentwurf Stellung genommen und sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren geäußert. Insgesamt fehlt es an Anhaltspunkten für die Auffassung der Fakultäten, sie seien von dem Gesetz „überrumpelt“ worden.

Die Rüge, das angegriffene Gesetz sei nicht ausreichend begründet worden, greift nicht durch. Die sich aus der Verfassung ergebenden Anforderungen beziehen sich grundsätzlich nicht auf die Begründung eines Gesetzes, sondern auf die Ergebnisse eines Gesetzgebungsverfahrens.

2. Das angegriffene Gesetz verletzt keine Grundrechte der Fakultäten. Aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ergibt sich kein Recht auf Fortbestand einer konkreten wissenschaftlichen Einrichtung. Die Garantie der Wissenschaftsfreiheit verpflichtet den Staat lediglich, für funktionsfähige Institutionen eines freien universitären Wissenschaftsbetriebs zu sorgen. Der Gesetzgeber war insoweit nicht gehindert, sich für die Fusion einer Universität mit einer Fachhochschule zu entscheiden. Hinsichtlich der Eignung neuer Organisationsformen steht ihm ein Einschätzungs- und Prognosespielraum zu. Dieser wird durch das Freiheitsrecht des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG bestimmt und begrenzt. Das Bundesverfassungsgericht überprüft jedoch nicht, ob der Gesetzgeber mit einer Organisationsentscheidung die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat.

3. Die Übergangsleitung der Universität Cottbus-Senftenberg durch einen vom Ministerium eingesetzten Gründungsbeauftragten ist mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren. Diesem durften insbesondere nicht in einer durch das Ministerium erlassenen vorläufigen Grundordnung ohne nähere gesetzliche Begrenzungen wissenschaftsrelevante Befugnisse zugewiesen werden.

a) Eine staatlich eingesetzte und verantwortete Hochschulleitung steht im Gegensatz zu dem Gedanken wissenschaftlicher Eigenverantwortung und dem daraus folgenden Prinzip universitärer Autonomie. Sie ist daher vom gesetzgeberischen Spielraum zur Ausgestaltung der Wissenschaftsfreiheit nur in Ausnahmesituationen umfasst und nur unter strengen Voraussetzungen zu rechtfertigen. Bei einer Fusion werden – anders als bei einer Neugründung – bestehende Wissenschaftsbetriebe miteinander verbunden. Daher kann auf Leitungs- und Selbstverwaltungsorgane zurückgegriffen werden, die im Einklang mit den Mitwirkungsanforderungen des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG konstituiert sind, um die zur Umsetzung der hochschulpolitischen Entscheidungen des Gesetzgebers notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Bei einer Fusion gehört es deshalb zur Ausgestaltungsaufgabe des Gesetzgebers, die Mitwirkungsrechte der wissenschaftlich Tätigen möglichst zu schonen. So kann der Gesetzgeber Vorgaben für die Wahl einer Leitung der neuen Organisation machen, ohne eine solche Leitung zwischenzeitlich selbst staatlich zu installieren, und die bestehenden Gremien etwa auch verpflichten, die zur Umsetzung seiner Vorgaben erforderlichen Schritte in einem bestimmten Zeitraum zu gehen.

Anders kann es liegen, wenn die Zusammenführung der Hochschulen nachweisbar ernsthaft gefährdet ist. Lässt sich dabei eine nachhaltige Störung des Lehr- und Forschungsbetriebs anders nicht abwenden und versprechen insoweit auch die Mittel der staatlichen Aufsicht keinen Erfolg, kann ausnahmsweise für eine Übergangszeit sogar die Bestellung eines staatlichen Beauftragten gerechtfertigt sein. Hingegen können allein hochschulpolitisch divergierende Auffassungen und selbst Protest gegen eine hochschulpolitische Entscheidung eine vom Grundsatz der universitären Selbstverwaltung abweichende Gestaltung nicht rechtfertigen.

b) Die staatliche Einsetzung eines Leitungsorgans im Zuge einer Hochschulfusion genügt den Anforderungen des Grundgesetzes an eine wissenschaftsadäquate Organisation umso weniger, je länger diese Leitung zeitweise ganz ohne ein universitäres Selbstverwaltungsorgan tätig ist, ohne dass diese Phase zeitlich auf das Erforderliche begrenzt und Befugnisse auf Notkompetenzen für reversible Entscheidungen beschränkt wären.

Die Mitwirkungsrechte der Grundrechtsträger waren hier für eine Übergangszeit von fünf Monaten ‑ von Juli 2013 bis zur Konstituierung des Gründungssenats im November 2013 ‑ gänzlich ausgesetzt. Insofern fehlte den wissenschaftlich Tätigen jede Möglichkeit zur Mitwirkung bei der Bestellung, bei der Abberufung der Übergangsleitung sowie jede institutionalisierte Mitwirkung an Entscheidungen. Das ist von besonderem Gewicht, wenn in einer konstitutiven Phase der Neuordnung weitreichende und kaum reversible Weichenstellungen vorgenommen werden. Die Wissenschaftsfreiheit ist strukturell stärker gefährdet, wenn in dieser sensiblen Situation ein Leitungsorgan zudem ohne jede Mitwirkung der Träger der Wissenschaftsfreiheit ‑ und damit potentiell auch gegen ihre Interessen gerichtet ‑ zu handeln befugt ist. Auch in einer fusionsbedingten Übergangsphase müssen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch ihre Vertretung in Hochschulorganen ihre fachliche Kompetenz in die Organisation einbringen können. In der Universität Cottbus-Senftenberg fehlte es auch in der Folgezeit von November 2013 bis Juli 2014 an derartigen Sicherungen. Zwar war der Gründungssenat im November konstituiert worden und stand diesem ein umfassendes Informationsrecht zu, jedoch hatte er dem Gründungsbeauftragten gegenüber sogar weniger Mitwirkungsrechte als gegenüber dem späteren Gründungspräsidenten.

c) Ob die Einsetzung des Beauftragten durch die Landesregierung den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, kann aber letztlich offen bleiben. Denn die angegriffene Vorschrift des § 8 Abs. 2 Satz 2 GWHL genügt den grundgesetzlichen Anforderungen jedenfalls deshalb nicht, weil der Gesetzgeber die bei Einsetzung eines Beauftragten wesentlichen Regelungen zur Ausgestaltung der Wissenschaftsfreiheit nicht selbst getroffen hat. Dem Gründungsbeauftragten wurden wissenschaftsrelevante Befugnisse im Wesentlichen nicht durch Gesetz, sondern durch die vom Ministerium erlassene vorläufige Grundordnung zugewiesen.

4. Die Zusammensetzung des Gründungssenats und des erweiterten Gründungssenats, in denen die Professorinnen und Professoren von der Universität Cottbus und der Fachhochschule Lausitz gleichrangig vertreten sind, ist hingegen mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar.

Die Professorinnen und Professoren der Fachhochschule Lausitz können sich ebenso wie die der Universität Cottbus auf die Wissenschaftsfreiheit berufen. Unterschiede wie beim Lehrdeputat wiegen nicht so schwer, dass die Zusammenfassung in einer Gruppe durch den Gesetzgeber sachwidrig wäre. Auch das Argument der Tradition zwingt nicht dazu, kategorial zwischen Universität und Fachhochschule zu unterscheiden. Der Gesetzgeber ist nicht an überkommene Vorstellungen gebunden. Mit Blick auf bestimmte Entscheidungen hat der Gesetzgeber die verschiedenen Qualifikationen im Übrigen berücksichtigt, denn bei unmittelbar forschungsrelevanten Entscheidungen haben die Universitätsprofessorinnen und ‑professoren ein ausschlaggebendes Gewicht.

Die Wissenschaftsfreiheit der Beschwerdeführer ist auch nicht dadurch verletzt, dass die Hochschullehrenden der Universität Cottbus trotz ihrer größeren Anzahl mit ebenso vielen Personen in den zentralen Selbstverwaltungsorganen vertreten sind wie die Fachhochschulprofessorinnen und ‑professoren. Bei einer gemeinsamen Wahl hätte die Gefahr bestanden, dass überwiegend Hochschullehrende der Universität Cottbus gewählt worden wären, weil diese in der Mehrzahl waren. Damit hätten Gesichtspunkte der universitären Forschung und Lehre von vornherein ein Übergewicht gegenüber der anwendungsbezogenen Forschung und Lehre aus der Fachhochschule Lausitz. Da die Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG für beide gilt, ist es legitim, wenn der Gesetzgeber beide im Gründungssenat und im erweiterten Gründungssenat gleich stark repräsentiert sehen will.

BVerfG, Pressemitteilung v. 10.06.2015 zum B. v. 12.05.2015, 1 BvR 1501/13 und 1 BvR 1682/13

Redaktioneller Hinweis

Das BVerfG hat folgende LEITSÄTZE formuliert: