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EuGH: Die Mitgliedstaaten können verlangen, dass Drittstaatsangehörige vor einer Familienzusammenführung eine Integrationsprüfung erfolgreich ablegen

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Die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung darf jedoch nicht unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden

In einer EU-Richtlinie sind die Bedingungen festgelegt für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig im Gebiet der Mitgliedstaaten aufhalten[1].

In den Niederlanden setzt nach den dort geltenden Rechtsvorschriften das Recht auf Familienzusammenführung das Bestehen einer Integrationsprüfung voraus. Diese Prüfung umfasst den Bereich Gesprochenes Niederländisch, den Bereich Kenntnisse der niederländischen Gesellschaft und den Bereich Lese- und Schreibkundigkeit sowie Leseverstehen. Die Prüfung wird in einer Botschaft oder einem Generalkonsulat im Land der Herkunft oder des ständigen Aufenthalts des Familienangehörigen des Zusammenführenden abgelegt und wird über ein Telefon abgenommen, das direkt mit einem sprechenden Computer verbunden ist. Ausnahmen sind vorgesehen für Antragsteller, die aufgrund einer geistigen oder körperlichen Behinderung dauerhaft nicht in der Lage sind, die Prüfung abzulegen, oder in Fällen, in denen die Ablehnung zu einer schwerwiegenden Unbilligkeit führen könnte.

K, eine aserbaidschanische Staatsangehörige, und A, eine nigerianische Staatsangehörige, machten Gesundheitsprobleme bzw. psychische Probleme geltend, derentwegen sie die Integrationsprüfung nicht ablegen könnten. Ihre Anträge auf vorläufige Aufenthaltserlaubnis wurden jedoch von den niederländischen Behörden abgelehnt.

Der Raad van State (Staatsrat, Niederlande), bei dem die Rechtsstreitigkeiten über diese Ablehnung anhängig sind, hat dem Gerichtshof Fragen über die Vereinbarkeit der Integrationsprüfung mit der Richtlinie vorgelegt.

Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass die Mitgliedstaaten bei Familienzusammenführungen, die nicht Flüchtlinge und Familienangehörige von Flüchtlingen betreffen, durch die Richtlinie nicht daran gehindert sind, die Erteilung einer Einreiseerlaubnis davon abhängig zu machen, dass vorher bestimmten Integrationsmaßnahmen nachgekommen wird.

Jedoch sind, da die Richtlinie [2] nur „Integrationsmaßnahmen“ erfasst, solche Maßnahmen nur dann legitim, wenn sie die Integration der Familienangehörigen des Zusammenführenden erleichtern.

Der Gerichtshof hebt in diesem Zusammenhang die Bedeutung hervor, die dem Erwerb von Kenntnissen sowohl der Sprache als auch der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats insbesondere für eine Erleichterung der Verständigung, der Interaktion und der Entwicklung sozialer Beziehungen sowie des Zugangs zu Arbeitsmarkt und Berufsausbildung zukommt.

Zudem sieht der Gerichtshof im Hinblick darauf, dass Grundkenntnisse verlangt werden, in diesem Erfordernis für sich allein betrachtet keine Beeinträchtigung des mit der Richtlinie verfolgten Ziels der Familienzusammenführung.

Allerdings darf mit den Integrationsmaßnahmen nicht der Zweck verfolgt werden, die Personen zu ermitteln, die das Recht auf Familienzusammenführung ausüben können, sondern sie haben dem Zweck zu dienen, die Integration dieser Personen in den Mitgliedstaaten zu erleichtern.

Außerdem sind die besonderen individuellen Umstände, wie Alter, Bildungsniveau, finanzielle Lage oder Gesundheitszustand zu berücksichtigen, um die Familienangehörigen von dem Erfordernis der erfolgreichen Ablegung einer Basis-Integrationsprüfung zu befreien, falls sie aufgrund dieser Umstände nicht in der Lage sind, diese Prüfung abzulegen oder zu bestehen. Andernfalls könnte dieses Erfordernis bei Vorliegen solcher Umstände ein kaum überwindbares Hindernis für die effektive Wahrnehmung des Rechts auf Familienzusammenführung darstellen.

Der Gerichtshof stellt anhand der Angaben in der Vorlageentscheidung fest, dass die niederländischen Rechtsvorschriften es nicht ermöglichen, Familienangehörige des Zusammenführenden von dem Erfordernis, die Integrationsprüfung erfolgreich abzulegen, in allen Fällen zu befreien, in denen dieses Erfordernis die Familienzusammenführung unmöglich macht oder übermäßig erschwert.

Ferner weist der Gerichtshof darauf hin, dass sich die einmalig anfallenden Kosten des Pakets zur Vorbereitung auf die Prüfung auf 110 Euro und das Prüfungsgeld auf 350 Euro belaufen. Diese Beträge könnten nach Auffassung des Gerichtshofs die Familienzusammenführung unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Dies gilt umso mehr, als das Prüfungsgeld bei jedem weiteren Prüfungsversuch und für jeden Familienangehörigen des Zusammenführenden, der zu diesem in den Aufnahmemitgliedstaat nachziehen will, erneut anfällt und zu diesen Kosten die Kosten für die Reise zum Sitz der nächsten niederländischen Vertretung hinzukommen, die die Familienangehörigen des betreffenden Zusammenführenden aufbringen müssen, um die Prüfung abzulegen.

EuGH, Pressemitteilung v. 09.07.2015 zum U. v. 09.07.2015, C-153/14 (Minister van Buitenlandse Zaken / K und A)

Redaktionelle Hinweise

Zum Votum der Generalanwältin v. 19.03.2015 vgl. hier.

Zum Thema „Sprachnachweis beim Ehegattennachzug“ vgl. auch hier.

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[1] Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251, S. 12).

[2] Art. 7, Abs. 2, Unterabs. 1.