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BADW: Auswege aus der prekären Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses

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Kurzzeitverträge, Über-Evaluation, mangelnde Perspektiven: Die brisante Lage von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern in Deutschland wird zunehmend öffentlich wahrgenommen. Als Junges Kolleg der Bayerischen Akademie der Wissenschaften machen wir konkrete Vorschläge zur Lösung der strukturellen Probleme der Nachwuchsförderung. Diese haben direkte Konsequenzen für die Qualität der Forschung und das Wissenschaftssystem per se und sind deshalb nicht isoliert zu betrachten.

Aktuelle Systemprobleme

Wissenschaft und Lehre sind Langzeitaufgaben. Nichtdestotrotz übernehmen diese Arbeiten mittlerweile größtenteils Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in prekären Kurzzeitverhältnissen. Dies ist nirgendwo ausgeprägter als in Deutschland, wie der internationale Vergleich mit anderen Wissenschaftssystemen zeigt. Die Schieflage in der Personalstruktur, die durch die wissenschaftspolitischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte verstärkt wurde, hat grundsätzliche und weitreichende Konsequenzen für die Forschung in Deutschland.

Dazu kommt eine hochschulpolitische Entwicklung, die permanente Kontrolle weitaus stärker betont als individuelle Autonomie und wissenschaftliche Freiheit. Um (vermeintlich) sicher zu gehen, aus der vorhandenen Menge von Nachwuchswissenschaftlern die/den Auserwählte/n für eine Stelle zu identifizieren, wird immer mehr auf messbare Kriterien wie die Anzahl der Publikationen, impact factors von Zeitschriften und h-Index gesetzt. Während in der Wirtschaft derartige Reduktionen von Leistung auf einfache Zahlenwerte hinterfragt wurden und man oftmals nach jahrelangen negativen Erfahrungen davon wieder Abstand genommen hat, wird in der Wissenschaft die quantitative Evaluation immer mehr gefordert. Wie auch in der Wirtschaft ermutigt das jedoch alle Beteiligten, ihr Forschen auf diese kurzfristig quantifizierbaren Werte hin zu optimieren. Während kurzfristige, an aktuellen Trends orientierte Forschung an sich nicht zu verurteilen ist, muss eine Balance gewahrt bleiben, die langfristige und risikoreiche Forschungsprojekte mit der Möglichkeit wirklich bahnbrechender Ergebnisse ebenso zulässt.

Gerade der wissenschaftliche Nachwuchs, der mit neuen Ideen frischen Wind in die Forschungslandschaft bringen sollte, ist derzeit gezwungen, kurzfristige Forschung zu betreiben, um die Aussicht auf publizierbare Ergebnisse zu garantieren, bevor der nächste Antrag für die eigene Stelle gestellt werden muss. Damit wird das eigentliche Ziel der Bestenauslese verfehlt – mit erheblichen wissenschaftlichen, wirtschaftlichen sowie sozialen Negativfolgen für die deutsche Gesamtgesellschaft.

Neugestaltung des Systems

Während das aktuelle Karrieremodell mit befristeten Stellen eine grundsätzlich negative Zukunftsperspektive bietet, schlägt das Junge Kolleg der Bayerischen Akademie der Wissenschaften einen an Karrieren in der Wirtschaft orientierten Weg vor, der frühzeitig eine unbefristete Stelle nach dem Privatrecht vorsieht, jedoch ohne Garantie auf eine Professur:

Qualifizierungsphase

Wie nach bisheriger Praxis werden Promotionsstellen dezentral besetzt. Es sollte aber darauf geachtet werden, dass die Menge an Promovierten in einem angemessenen Verhältnis zum Bedarf steht – in der Wirtschaft oder in der Wissenschaft, je nach fachspezifischen Eigenheiten. Promotionsstellen sollten insbesondere keinen Ersatz für festangestellte Fachkräfte darstellen, sondern müssen immer ein Qualifikationsziel erfüllen.

Differenzierungsphase

Nach der Promotion und fachspezifisch optional einer kurzen Postdoc-Phase folgt eine objektive, bedarfsgerechte Auswahl von Kandidatinnen und Kandidaten. Die Beschäftigungsverhältnisse erfolgen ab diesem Zeitpunkt in einem unbefristeten privatrechtlichen Verhältnis, das nur in Ausnahmefällen beendet wird. Dadurch steigt das Interesse der Hochschule, sich mit den einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern positiv auseinanderzusetzen. So qualifizieren sich in dieser Differenzierungsphase die Kandidatinnen und Kandidaten in einem unterstützenden und durch Fakultät wie persönliche Mentoren gestalteten wissenschaftlichen Umfeld optimal weiter.

Am Ende der Differenzierungsphase steht entweder eine Berufung auf eine Professur oder eine Weiterbeschäftigung im Rahmen einer Fachkarriere. Mögliche Ausgestaltungen von Fachkarrieren hängen stark von den Anforderungen verschiedener Fachbereiche ab. Sie erfüllen spezifische Qualifikationen, beispielsweise durch spezialisierte Aufgaben in einem Forschungsgebiet, in der Lehre oder der Wissenschaftskoordination. Diese Stellen sollten im Normalfall einer Institution und nicht Einzelpersonen zugeordnet sein, wodurch fakultätszugeordnete „core facilities“ geschaffen werden, die das Profil der Fakultät stärken und deren Infrastruktur verbessern.

Bewertung

Dieses Modell schafft eine grundsätzlich positive Aussicht auf eine wissenschaftliche Karriere, was den Druck auf Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler reduziert und die Familienplanung zumindest etwas erleichtert. Zudem haben Kandidatinnen und Kandidaten, die nach der Differenzierungsphase nicht weiterbeschäftigt werden, zu diesem Zeitpunkt noch alle Möglichkeiten für eine Karriere außerhalb der Universitäten. Durch das Modell der differenzierten Fachkarrieren werden die individuellen Stärken aller Personen nach der Qualifizierungsphase zudem optimal genutzt.

Unser Vorschlag zielt auch darauf ab, einen einheitlichen Weg zu einer wissenschaftlichen Karriere zu schaffen. Momentan herrscht selbst innerhalb einzelner Fachdisziplinen große Unklarheit, welche Schritte zu einer Professur führen. In unserem Modell ist die unbefristete Nachwuchsstelle immer der Einstiegspunkt. Parallel oder auf diese hinführend, können ergänzende, extern finanzierte Programme besonders herausragende Kandidatinnen und Kandidaten fördern.

Um das Wissenschaftssystem insgesamt wieder in ein Gleichgewicht zu bringen, ist größeres Vertrauen nötig. Mit der langfristigen Aussicht, im System bleiben zu können, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überhaupt erst die Möglichkeit, an langfristigen und fundamental neuen Themen zu arbeiten. Natürlich kann eine regelmäßige Evaluation durchaus auch Leistungsanreize setzen. Aber jede Evaluation muss die gesamte Leistung und gerade bei jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern das Potential berücksichtigen. Mit der Zunahme von unbefristeten Stellen und einem aufstiegsorientierten System müssen dann auch Dogmen der aktuellen Praxis wie das Lehrstuhlsystem und die Vermeidung von Hausberufungen hinterfragt werden.

BADW, Pressemitteilung v. 08.09.2015

Redaktioneller Hinweis: Die kürzlich erschienene Ausgabe 3/2015 von „Akademie Aktuell“ widmet sich umfänglich der prekären Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses. Die Zeitschrift ist über die Pressestelle der Akademie erhältlich oder kann hier heruntergeladen werden.