Gesetzgebung

Staatskanzlei: Ministerrat beschließt Sonderprogramm zur Bewältigung der Flüchtlingskrise und Maßnahmenpaket zur Begrenzung der Zuwanderung

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Ministerpräsident Seehofer: „Bewältigung des Flüchtlingszustroms ist größte Herausforderung seit Wiedervereinigung / Grenzen der Aufnahmefähigkeit Deutschlands erreicht / Begrenzung der Zuwanderung durch Schutz der EU-Außengrenzen und Durchsetzung des Dublin-Verfahrens notwendig / Bayerisches Sonderprogramm ‚Zusammenhalt fördern, Integration stärken‘ einmalig in der Bundesrepublik Deutschland“

Der Ministerrat hat heute ein mehrjähriges Sonderprogramm zur Bewältigung der Flüchtlingskrise und ein Maßnahmenpaket zur Begrenzung der Zuwanderung beschlossen.

Ministerpräsident Horst Seehofer: „Die Bewältigung des Flüchtlingszustroms ist die größte Herausforderung für uns seit der deutschen Wiedervereinigung. Dabei ist klar: Die Grenze der Aufnahmefähigkeit Deutschlands und Bayerns ist erreicht. Staat und Kommunen arbeiten seit Wochen an der Belastungsgrenze. Wir brauchen daher effektive Maßnahmen zur sofortigen Begrenzung der Zuwanderung. Es ist unsere Verantwortung gegenüber unserer einheimischen Bevölkerung, eine Überlastung von Staat und Solidargemeinschaft zu verhindern. Nur so erhalten wir auch die Hilfsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Deshalb brauchen wir einerseits schnellwirksame Maßnahmen zur Begrenzung der Zuwanderung. Zugleich müssen wir andererseits aber auch dem Umstand Sorge tragen, dass eine große Zahl von Flüchtlingen längere Zeit oder dauerhaft in unserem Land bleiben werden. Das von uns heute beschlossene Sonderprogramm ‚Zusammenhalt fördern, Integration stärken‘ ist einmalig in der Bundesrepublik Deutschland.“

Zu den beschlossenen Maßnahmen im Einzelnen

Sonderprogramm zur Bewältigung des Flüchtlingszustroms „Zusammenhalt fördern, Integration stärken“

Integration muss und wird uns auch bei der größten gesellschaftspolitischen Herausforderung seit dem Fall der Mauer gelingen. Integration stärken heißt doppelte Verantwortung wahrnehmen: Für die einheimische Bevölkerung und für die Schutzsuchenden! Unser Auftrag lautet dabei: Bayern soll auch in Zukunft das Land des Zusammenhalts, der gelingenden Integration und damit gemeinsamer Heimat bleiben.

Die Staatsregierung wird ein Bayerisches Integrationsgesetz auf den Weg bringen. Dort werden Rahmen und Ziele der bayerischen Integrationspolitik verankert. Dazu gehört ein Kanon der Grundregeln und gemeinsamen Werte unseres Zusammenlebens sowie eine Verpflichtung zur Einhaltung unserer Rechtsordnung. Ein Kernbestand gelingender Integration ist das Erlernen der deutschen Sprache.

Das Sonderprogramm „Zusammenhalt fördern, Integration stärken“ hat der vom Ministerrat am 15.9.2015 eingesetzte Kabinettsausschuss erarbeitet. Seitdem hat Ministerpräsident Seehofer zahlreiche Gespräche mit den Kommunen, der bayerischen Wirtschaft, den zuständigen Ressortministern, mit Verbänden, Kirchen, Bildungsinstitutionen und Hilfsorganisationen geführt. Die dabei erörterten Vorschläge und Impulse fließen in das mehrjährige Sonderprogramm ein, das am Nachtragshaushalt 2016 ansetzt. Das Sonderprogramm hat für 2016 ein Volumen von über 489 Millionen Euro und umfasst rund 3.772 Stellen.

Die Staatsregierung wird darauf achten, dass die Umsetzung des Programms unbürokratisch und unter Beachtung aller Flexibilisierungsspielräume erfolgt.

Das mehrjährige Sonderprogramm betrifft folgende 7 Schwerpunktbereiche:

1. Rechtsstaat, Verwaltung und Sicherheit

Bei uns in Bayern muss sich jeder sicher fühlen. Für ein friedliches Miteinander müssen und werden wir die Einhaltung unserer Rechtsordnung sicherstellen.
Wir stärken deswegen

  • Einsatzkräfte und Behörden,
  • Gerichtsbarkeit,
  • Staatsregierung und nachgeordnete Behörden

Zusätzliche Stellen: 2.693 (zzgl. Lehrerstellen)
Kosten: 146,26 Mio. Euro

2. Wohnen

Wohnen ist soziales Grundrecht und entscheidend für den sozialen Frieden. Wichtig ist, dass wir bei unseren Maßnahmen eine Konkurrenzsituation der Schutzsuchenden mit der einheimischen Bevölkerung vermeiden.

Wir legen deshalb

  • ein staatliches Wohnungsprogramm auf (u.a. auch Leichtbau und „Baracken“),
  • fördern den kommunalen Wohnungsbau,
  • forcieren die Wohnungsbauförderung,
  • setzen Wohnungsbauprojekte des StMFLH um,
  • und schaffen eine Online-Wohnraum-Vermittlungsbörse.

Damit schaffen wir neuen Wohnraum für anerkannte Flüchtlinge genauso wie für Sozialwohnungsberechtigte. Allein im Rahmen des Wohnungspaktes Bayern sollen bis 2019 jedes Jahr 6.000 bis 7.000, also 28.000 neue staatliche bzw. staatlich geförderte Mietwohnungen entstehen.

Kosten: 240,2 Mio. Euro

Vom Bund fordern wir vor diesem Hintergrund dringend

  • die Wiedereinführung einer flächendeckenden degressiven Abschreibung für Wohnungsbauten als Anreiz für private Investoren;
  • Verfahrensvereinfachungen im Baugesetzbuch und anderen Bundesgesetzen- bzw. normen.
3. Sprache

Sprache ist der erste Schlüssel zum Erfolg. Wir stärken deshalb die Sprachförderung für Kinder, Schüler und Erwachsene mit gezielten, auch niedrigschwelligen Angeboten von z.B. Volkshochschulen. Dazu zählen zum Beispiel auch internetbasierte Lernangebote.

Kosten: 23,3 Mio. Euro

4. Bildung

Bildung ist eine Investition in die Menschen und ihre Zukunft. Jeder Euro für die Bildung ist Prävention vor Perspektivlosigkeit, vor Parallelgesellschaften und dauerhafter Belastung der Sozialsysteme. Deswegen fangen wir bei den Jüngsten an und

  • stärken die Kindertageseinrichtungen,
  • beschleunigen den Ausbau der Jugendsozialarbeit
  • ertüchtigen die Schulen für die zahlreichen Flüchtlingskinder

U.a. bauen wir die Übergangsklassen an Grund- und Mittelschulen, die Berufsvorbereitung an den Berufsschulen weiter aus genauso wie den erfolgreichen Modellversuch „Islamischer Unterricht“ unter staatlicher Kontrolle. Dazu werden 1.700 neue Lehrer eingestellt.

Kosten: insgesamt 49,6 Mio. Euro

5. Arbeit

Gelungene Integration bedeutet gerade auch, auf eigenen Füßen zu stehen. Deswegen sollen alle Flüchtlinge im erwerbsfähigen Alter und mit guter Bleibeperspektive ihren Lebensunterhalt so schnell wie möglich selber finanzieren können. Wir schließen deswegen mit der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, den Kammern und der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit eine „Vereinbarung für Integration durch Arbeit und Ausbildung“. Unsere Unternehmen engagieren sich in großartiger Weise für diese Aufgabe.

In einem ersten Schritt sollen bis Ende 2016 20.000 Flüchtlingen ein Praktikums-, Ausbildungs- oder Arbeitsplatz angeboten werden. Danach: jährliche Fortschreibung. Gesamtziel bis Ende 2019: 60.000 erfolgreiche Arbeitsmarktintegrationen.

Teil der Vereinbarung sind gezielte Maßnahmen zur Integration in Ausbildung und Arbeit, wie

  • Mehrere sog. IdA-Projekte (= Integration durch Arbeit) zur raschen Herstellung der Ausbildungsreife z.B. Information über unser Ausbildungssystem durch mehr Ausbildungsakquisiteure,
  • Erweiterung der Ausbildungsinitiative „Fit for Work“ auf jugendli-che Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive,
  • Ausweitung der arbeitsweltbezogenen Jugendsozialarbeit,
  • Ausbau der Beratungsstellen zur Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse,
  • Etablierung von Jobbegleitern im Rahmen der Initiative „Fit für die Zukunft“.

Kosten: rd. 15,3 Mio. Euro

6. Gesundheit

Wir stellen die medizinische Grundversorgung der Flüchtlinge sicher. Dabei binden wir sie auch selbst verstärkt mit ein. Deshalb weiten wir u.a. das Projekt „Mit Migranten für Migranten“ aus.

Kosten: 0,88 Mio. Euro

7. Wertebildung und Leitkultur

Die Menschen in Bayern sind solidarisch, weil sie auf der Grundlage gemeinsamer Werte zusammen leben. Voraussetzung dafür ist, dass alle Schutzsuchenden unser christlich-jüdisch geprägtes Wertefundament auf dem Boden unserer Verfassung anerkennen. Die Vermittlung dieser Werteordnung gibt der Integration Richtung und Ziel.

Wir werden deshalb unsere Werte durch eine verstärkte Information über die Grundprinzipien der Rechtsordnung und des Zusammenlebens in Bayern vermitteln. Beispielsweise werden wir

  • eine Neuauflage der Broschüre „So funktioniert die deutsche Rechtsordnung“ erstellen,
  • die Kursreihe „Leben in Bayern“ durch Träger der Erwachsenen-bildung (z.B. vhs) und Familienbildungsstätten auflegen,
  • das Aktionsprogramm „Flüchtlinge werden Freunde“ des Bayeri-schen Jugendrings“ verstärkt unterstützen,
  • oder die „Stiftung Wertebündnis Bayern“ gezielt fördern,

Kosten: 4,5 Mio. €

Entscheidend für eine gelungene Integration auf der Basis unseres Wertefundaments ist der Kontakt vor Ort. Wir stärken deshalb vorhandene Strukturen und helfen beim Aufbau neuer Strukturen. Ein Beispiel sind die ehrenamtlichen Integrationslotsen, die künftig Migranten helfen sollen, sich im Alltag zurechtzufinden und dabei unsere Werte vermitteln.

Mit einem Info-Paket werden wir zudem kleinere Gemeinden bei der Beantwortung wesentlicher Fragen helfen, wenn bei ihnen eine Erstaufnahmeeinrichtung oder eine Gemeinschaftsunterkunft errichtet wird.

Kosten: 6,32 Mio. Euro

Wir müssen zudem den Menschen vor Ort eine Perspektive geben. Deswegen werden wir zusätzlich zu den deutschen und europäischen Hilfen auch die Lebensverhältnisse von Flüchtlingen u.a. in der Türkei verbessern.
Dazu unser Programm BAYERN GLOBAL – Hilfen vor Ort.

Kosten: 2 Mio. Euro

Maßnahmenpaket zur Begrenzung der Zuwanderung

Angesichts des massenhaften und unkontrollierten Zustroms von Flüchtlingen nach Deutschland ist die Belastungsgrenze bei Staat und Kommunen erreicht. Bayern ist hiervon besonders betroffen. Um die Solidarität in der Bevölkerung zu erhalten und eine erfolgreiche Integration auf der Basis unserer gemeinsamen Werte sowie die Innere Sicherheit zu gewährleisten, ist eine sofortige Begrenzung der Zuwanderung erforderlich. Wir müssen daher handeln und Grenzen setzen:

  1. Die Bundesregierung wird aufgefordert, ein schnelles, klares und international beachtetes Signal zu setzen, dass Deutschland die Grenzen der Belastbarkeit erreicht hat.
  2. Die Begrenzung der Zuwanderung erfordert vorrangig den effektiven Schutz der EU-Außengrenzen. Daher werden Bund und EU aufgefordert,• die EU-Außengrenzen nachhaltig zu schützen
    • Asylbewerber unmittelbar nach Einreise in die EU zu registrieren und ein zügiges Asylverfahren durchzuführen
    • die von der EU beschlossenen „Hotspots“ in Griechenland und Italien spätestens bis Ende November 2015 in Betrieb zu nehmen.
  3. Die Staatsregierung hält eine bessere Sicherung der Binnengrenzen für unerlässlich, um den unkontrollierten Zustrom von Flüchtlingen zu begrenzen. Hierfür sind folgende Maßnahmen erforderlich:• Die vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen ist weiterhin unabdingbar, um ein geordnetes Verfahren bei der Einreise und Aufnahme von Schutzsuchenden zu ermöglichen. Die Bundesregierung muss daher unverzüglich die europarechtlichen Voraussetzungen für den weiteren Fortbestand der Kontrollen schaffen.
    • Bund und EU müssen dafür Sorge tragen, dass das Dublin-Verfahren von allen Mitgliedstaaten wieder konsequent eingehalten wird. Dazu gehört die Einhaltung der EU-Aufnahme- und Verfahrensstandards in allen Mitgliedstaaten, so dass in jeden Mitgliedstaat zurück überstellt werden kann. Das BAMF muss Dublin-Verfahren – auch bei Syrern – vorrangig bearbeiten. Asylbewerber sind konsequent in den für die Durchführung des Verfahrens zuständigen Mitgliedstaat zurück zu überstellen.
    Als Notmaßnahme müssen Zurückweisungen von Flüchtlingen unmittelbar an der Grenze erfolgen. Falls der Bund auch hier nicht tätig werden sollte, behält sich der Freistaat Bayern vor, anlassbezogen eigene Maßnahmen zu ergreifen.
    • Der Familiennachzug für Bürgerkriegsflüchtlinge muss begrenzt werden.
    • Der Bund muss umgehend die gesetzlichen Grundlagen für die Einführung des Landgrenzverfahrens schaffen, um beschleunigte Asylverfahren in Transitzonen durchführen zu können und die Einreise vorläufig zu verweigern.
  4. Sollte der Bund nicht bald wirksame Maßnahmen ergreifen, um den weiteren Zuzug von Asylbewerbern zu begrenzen und dadurch die eigenstaatliche Handlungsfähigkeit der Länder gefährden, behält sich Bayern vor, den Klageweg zum Bundesverfassungsgericht zu beschreiten.
  5. Bund und EU werden aufgefordert, die Grundlagen dafür zu schaffen, schutzbedürftige Bürgerkriegsflüchtlinge im Rahmen von Kontingenten aufzunehmen und nach einem solidarischen Verteilmechanismus mit festen Quoten innerhalb der EU zu verteilen.
  6. Die Verteilung von Flüchtlingen auf andere Länder nach dem Königsteiner Schlüssel muss konsequent umgesetzt werden. Als ultima ratio und deutliches Signal auch an die Bundesregierung schließt Bayern die unmittelbare Weiterleitung aller neu eintreffenden Asylbewerber in die anderen Bundesländer nicht aus.
  7. Abschiebungen und freiwillige Ausreisen müssen konsequent durchgeführt werden.

Eine klare Absage erteilte der Ministerrat im Übrigen einer Erweiterung der Asylverfahrensstandards und Leistungen für Asylbewerber durch eine Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Asylverfahrensrichtlinie, Aufnahmerichtlinie). In der aktuellen Situation mit bis zu 10.000 ankommenden Asylbewerbern pro Tag in Bayern sind die vorgesehenen Leistungsausweitungen und die Mehrbelastungen der Unterbringungsverwaltung der völlig falsche Weg. Eine Umsetzung muss derzeit daher unterbleiben. Das gilt jedenfalls für die Teile, die weitere Zuzugsanreize auslösen, die Asylverfahren verkomplizieren oder höhere Kosten bei der Unterbringung und Versorgung der Asylsuchenden verursachen. Durch den massenhaften Zustrom von Flüchtlingen nach Europa sei die Geschäftsgrundlage für die jetzige Fassung der europäischen Richtlinien entfallen. Deutschland und auch andere EU-Mitgliedsstaaten hätten kein Interesse daran, den Flüchtlingszustrom durch weitere Zuzugsanreize zu verstärken. Darauf muss die Politik reagieren. Bayern wird sich daher auf allen Ebenen für eine Änderung der europäischen Richtlinien einsetzen. Auch die Bundesregierung muss hier tätig werden. Richtschnur muss dabei sein: Straffung und Beschleunigung der Asylverfahren, Mindestmaß an Unterbringungs- und Versorgungsbedingungen, Leistungseinschränkungen bei Missbrauch des Asylrechts, keine Erschwerung von Abschiebungen.

Staatskanzlei, Bericht aus der Kabinettssitzung, Pressemitteilung v. 09.10.2015

Redaktioneller Hinweis: Zur Entwicklung im Kontext „Asyl“ vgl. hier.