Gesetzgebung

BMJV: Stärkung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

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Das Bundeskabinett hat heute den Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften beschlossen.

Mit den Neuregelungen soll dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei Unterbringungen nach § 63 StGB stärker zur Wirkung verholfen werden.

Mit der Reform bringen wir unterschiedliche Interessen in Einklang: Die steigende Zahl der nach § 63 StGB untergebrachten Personen zeigt, dass der bereits vom Bundesverfassungsgericht betonte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gestärkt werden muss. Ganz wichtig ist dabei auch, dass wir die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit nicht aus dem Auge verlieren“, betont Bundesminister Heiko Maas.

„Die Neuregelungen sollen in Zukunft dafür sorgen, dass vor allem unverhältnismäßig lange Unterbringungen möglichst vermieden werden können. Dies gilt zum Beispiel für solche Fälle, in denen vom Betroffenen lediglich geringere wirtschaftliche Schäden drohen. Außerdem sollen die regelmäßigen Überprüfungen intensiviert werden. Womöglich lebenslange Unterbringungen sollen auf die wirklich schweren Fälle beschränkt werden, in denen von der untergebrachten Person Straftaten drohen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.“

Hintergrund

In den letzten Jahren ist ein kontinuierlicher Anstieg der Zahl der nach § 63 StGB untergebrachten Personen und vor allem der Dauer ihrer Unterbringung zu verzeichnen, ohne dass es Belege für einen parallelen Anstieg der Gefährlichkeit der Untergebrachten gibt. Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften soll daher dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei Unterbringungen stärker zur Wirkung verholfen werden. Dabei greift der Gesetzentwurf in weitem Umfang Vorschläge auf, die eine im letzten Jahr vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe erarbeitet hat.

Konkret sieht der Entwurf insbesondere folgende Änderungen vor:

Konkretisierung der Anordnungsvoraussetzungen nach § 63 StGB, insbesondere
  • Anhebung der Voraussetzungen, soweit Taten drohen, durch die nur wirtschaftlicher Schaden entsteht.
  • Konkretisierung der Voraussetzungen, soweit Taten drohen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich geschädigt oder gefährdet werden.
  • Normierung der Darlegungsanforderungen, wenn aus nicht erheblichen Anlasstaten auf die Gefahr erheblicher Taten geschlossen wird.
Konkretisierung der Anforderungen an die Fortdauer der Unterbringung über sechs und zehn Jahre hinaus nach § 67d Absatz 6 StGB, insbesondere
  • Fortdauer über sechs Jahre grundsätzlich nur noch, wenn Taten drohen, durch die die Opfer körperlich oder seelisch schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren seelischen oder körperlichen Schädigung gebracht werden; insbesondere die Gefahr rein wirtschaftlicher Schäden reicht für eine Fortdauer in der Regel nicht mehr.
  • Fortdauer über zehn Jahre nur noch – wie bei der Sicherungsverwahrung – bei der Gefahr von Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Ausbau der prozessualen Sicherungen zur Vermeidung unverhältnismäßig langer Unterbringungen in § 463 Absatz 4 und 6 StPO:
  • Konkretisierung der Anforderungen an die jährlichen gutachterlichen Stellungnahmen der Klinik.
  • Erhöhung der Frequenz für externe Gutachten von fünf auf drei Jahre und für Unterbringungen ab sechs Jahren auf zwei Jahre.
  • Pflicht zum Wechsel der externen Gutachter: Gutachter soll nicht das letzte vorangegangene externe Gutachten im Erkenntnis- oder Vollstreckungsverfahren erstellt haben.
  • Klarstellung, dass mit der Begutachtung nur ärztliche oder psychologische Sachverständige beauftragt werden sollen, die über forensisch-psychiatrische Sachkunde und Erfahrung verfügen.
  • Zwingende mündliche Anhörung des Untergebrachten vor jeder Entscheidung, in der es um die Fortdauer bzw. Beendigung der Unterbringung geht, also auch bei der Entscheidung über die Erledigung der Unterbringung.
Außerdem sieht der Entwurf zwei weitere wichtige Regelung im Recht der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung vor:
  • In Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts soll in Härtefallen die Zeit des Vollzugs der Maßregel auch auf eine „verfahrensfremde“, also in einem anderen Verfahren angeordnete Freiheitsstrafe möglich sein.
  • Für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB soll klargestellt werden, dass sie in Fällen, in denen sich die Unterbringungszeit wegen der gleichzeitigen Verhängung einer Freiheitsstrafe verlängert, auch dann erfolgen kann, wenn die Behandlung des Untergebrachten voraussichtlich mehr als zwei Jahre dauern wird.

Zum Gesetzentwurf

RegE: Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften (PDF, 629 KB, Datei ist nicht barrierefrei).

BMJV, Pressemitteilung v. 04.11.2015

Redaktionelle Hinweise

Zur Stellungnahme des StMJ im Vorfeld vgl. hier.

Zur Unterbringung (zivil-, straf- oder öffentlich-rechtlich) vgl. das entsprechende Dossier mit Kurzerläuterungen.