Aktuelles

BayVGH: Fürther Gustavstraße – Stadt muss über Lärmschutzfragen neu entscheiden

©pixelkorn - stock.adobe.com

Mit Urteil vom 25. November 2015, zu dem die Entscheidungsgründe jetzt vorliegen, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) die Stadt Fürth verpflichtet, über das Lärmschutzbegehren eines Hauseigentümers in der dortigen Gustavstraße nach gerichtlichen Maßgaben neu zu entscheiden. Ein vorangegangenes Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 11. Juli 2013 hat der BayVGH teilweise abgeändert.

Bei der Fürther Gustavstraße handelt es sich um eine beliebte „Kneipenmeile“ in der Altstadt. Zugleich liegt die Gustavstraße im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 001 der Stadt Fürth aus dem Jahr 1988, dessen zentrales Anliegen es ist, Wohnnutzungen vor unzumutbarem Lärm zu bewahren, der von Gaststätten ausgeht.

Der BayVGH stellt klar, dass hinsichtlich der Innengastronomie die Grenzwerte der TA Lärm maßgeblich seien. Hinsichtlich der Außengastronomie einschließlich der Freischankflächen von Gaststätten gelte die TA Lärm demgegenüber nicht. Insoweit bedürfe es einer Einzelfallbetrachtung. Im vorliegenden Fall seien insoweit sowohl der Schutzzweck des Bebauungsplans Nr. 001 als auch der Charakter der Gustavstraße als „Kneipenmeile“ zu würdigen.

Hinsichtlich des Hinausschiebens des Beginns der Nachtzeit von 22.00 Uhr auf 23.00 Uhr bedürfe es in verfahrensmäßiger Hinsicht eines Beschlusses des Stadtrats, der bislang nicht vorliege. Die inhaltlichen Voraussetzungen für ein solches Hinausschieben lägen gegenwärtig jedoch ebenfalls nicht vor. Es sei allerdings denkbar, dass solche Voraussetzungen wenigstens teilweise geschaffen werden könnten. Jedoch müsse eine achtstündige Nachtruhe gewährleistet bleiben. Darüber hinaus müssten im fraglichen Bereich besondere örtliche Verhältnisse gegeben sein. Bezogen auf die Gustavstraße komme ein Hinausschieben des Beginns der Nachtzeit auf 23.00 Uhr grundsätzlich hinsichtlich derjenigen Nächte in Betracht, die einem Samstag oder einem Sonn- oder Feiertag vorausgingen. Allerdings sei ausweislich der im Bereich Gustavstraße auftretenden Lärmbelastungen offenbar noch nicht hinreichend sichergestellt, dass die Freischankflächen die Nachtruhe ab 23.00 Uhr tatsächlich einhielten. Auch die Lärmbelastung durch nicht gaststättenbezogene Feierlichkeiten an Wochenenden sei von Bedeutung.

Gegen Raucherlärm müssten die Behörden jedenfalls in Dorf-, Misch- und Kerngebieten zwar regelmäßig nicht selbst einschreiten. Allerdings seien die Gastwirte hier behördlich dazu zu verpflichten, selbst oder durch Beauftragte auf vor dem Lokal verweilende Gäste gegebenenfalls lärmmindernd einzuwirken. Das Anbringen von Hinweisschildern genüge insoweit nicht.

Der BayVGH hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Revision kann beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Beschwerde eingelegt werden.

BayVGH, Pressemitteilung v. 11.02.2016 zum U. v. 25.11.2015, 22 BV 13.1686 (PDF)

Redaktionelle Hinweise

a) Leitsätze

Der BayVGH hat folgende Leitsätze formuliert:

  1. Die TA Lärm ist nach ihrer Nummer 1 Abs. 2 Buchst. b nicht nur auf eigenständige Freiluftgaststätten, sondern auch auf solche Freischankflächen unanwendbar, die sich als Bestandteil einer in geschlossenen Räumen betriebenen Gaststätte darstellen.
  2. Bei von Besuchern von ansonsten rechtmäßig betriebenen Gaststätten in Dorf-, Misch- und Kerngebieten, die sich zum Zwecke des Rauchens vor einem Lokal aufhalten, hervorgerufenen Geräuschimmissionen dürfen die zuständigen Behörden auch für die Nachtzeit von einem Einschreiten gegen den Gastwirt wegen Überschreitungen des einzuhaltenden Beurteilungspegels aufgrund des Raucherlärms ermessensfehlerfrei absehen, sofern sowohl der Gastwirt als auch die zuständigen Behörden selbst alle von Rechts wegen in Betracht kommenden Möglichkeiten zur Minimierung des Raucherlärms ausgeschöpft haben und der Gesundheitsschutz gewahrt bleibt.
  3. Will eine Kommune von der durch die Nummer 6.4 Abs. 2 TA Lärm eröffneten Möglichkeit Gebrauch machen, den Beginn der Nachtzeit für das ganze Gemeindegebiet oder einen größeren Teil hiervon auf einen nach 22.00 Uhr liegenden Zeitpunkt festzusetzen, so liegt für eine solche Entscheidung jedenfalls dann, wenn sie vor dem Hintergrund eines tiefgreifenden Konflikts getroffen werden muss, der in dieser Gemeinde zwischen dem Ruhebedürfnis der betroffenen Wohnbevölkerung einerseits und dem Wunsch nach möglichst unbegrenzter Nutzung von Gaststätten andererseits zutage getreten ist, auch in einer Großstadt die Entscheidungszuständigkeit hierüber gemäß Art. 29 GO beim Gemeinderat.
  4. Die Bejahung „besonderer örtlicher Verhältnisse“ im Sinn der Nummer 6.4 Abs. 2 Satz 1 TA Lärm scheidet stets aus, wenn die im betroffenen Gebiet wohnende Bevölkerung nach den Wertungen der Rechtsordnung, insbesondere bauplanungsrechtlicher Normen, schutzwürdig erwarten darf, bereits ab 22.00 Uhr ungestörten Schlaf zu finden.
  5. „Nachtruhe“ im Sinn der Nummer 6.4 Abs. 2 Satz 2 TA Lärm ist dann zu bejahen, wenn an allen maßgeblichen Immissionsorten in dem Gebiet, für das ein Hinausschieben des Beginns der Nachtzeit angeordnet wurde oder verfügt werden soll, sowohl die in diesem Gebiet in Bezug auf die Nachtzeit jeweils geltenden Immissionsrichtwerte der TA Lärm als auch (hinsichtlich der von der TA Lärm nicht erfassten Geräusche) die Richt- oder Grenzwerte der jeweils einschlägigen anderen, dem Lärmschutz dienenden Regelwerke eingehalten werden und auch bei einer Summation der verschiedenen Geräuscharten die Grenze zu einer gesundheitsschädlichen Lärmbelastung nicht überschritten wird.
  6. Auch in Fällen, in denen eine Verlegung des Beginns der Nachtzeit auf einen nach 22.00 Uhr liegenden Zeitpunkt mit Rücksicht auf den gebotenen Schutz einer im betroffenen Gebiet zulässigen Wohnnutzung grundsätzlich ausscheidet, kann es rechtens sein, hinsichtlich bestimmter Wochentage dann eine auf die Nummer 6.4 Abs. 2 TA Lärm in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung gestützte Entscheidung zu treffen, wenn dem insoweit keine schutzwürdigen Belange der im Einwirkungsbereich emittierender Anlagen wohnenden Bevölkerung entgegenstehen.

b) Sonstiges

Die Gustavstraße in Führt war bereits Gegenstand zahlreicher Auseinandersetzungen. Vgl. etwa die weiteren Meldungen im Kontext „Gaststätten/Ruhestörung“.