Gesetzgebung

EU-Kommission: Zurück zu Schengen – Kommission schlägt Fahrplan für vollständige Wiederherstellung des Schengen-Systems vor

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Die Kommission legte heute einen ausführlichen Fahrplan mit den konkreten Schritten vor, die erforderlich sind, um einen geordneten Schutz der Außen- und Binnengrenzen der EU wiederherzustellen. Von der Einrichtung des grenzfreien Schengen-Raums haben Europas Bevölkerung und seine Wirtschaft gleichermaßen sehr profitiert, doch in den letzten Monaten wurde Schengen durch die Flüchtlingskrise ernsthaft auf den Prüfstand gestellt. Der Europäische Rat hat am 18./19. Februar eindeutig den Auftrag erteilt, einen normal funktionierenden Schengen-Raum in konzertierter Weise wiederherzustellen und Mitgliedstaaten, die sich in einer besonders schwierigen Lage befinden, uneingeschränkte Unterstützung zu gewähren.

Der Erste Vizepräsident, Frans Timmermans, erklärte dazu:

Schengen ist eine der wertvollsten Errungenschaften der europäischen Integration, und die Kosten seiner Abschaffung wären enorm. Unser Ziel ist es, alle Binnengrenzkontrollen so schnell wie möglich aufzuheben, spätestens im Dezember 2016. Dafür brauchen wir ein abgestimmtes europäisches Konzept für vorübergehende Grenzkontrollen im Rahmen der Schengen-Bestimmungen anstatt des Flickwerks unilateraler Entscheidungen, mit dem wir es derzeit zu tun haben. Bis dahin müssen wir die Maßnahmen in unserem Fahrplan vollständig umsetzen, damit die Kontrolle unserer Außengrenzen gestärkt wird und unser Asylsystem besser funktioniert. Außerdem müssen wir weiter mit der Türkei zusammenarbeiten, um den gemeinsamen Aktionsplan umzusetzen und den Zustrom der Neuankömmlinge deutlich zu reduzieren.“

Dimitris Avramopoulos, Kommissar für Migration, Inneres und Bürgerschaft, fügte hinzu:

Mit diesem Fahrplan legen wir die nächsten Schritte vor, die nötig sind, damit wir gemeinsam so schnell wie möglich die Normalität im Schengen-Raum wiederherstellen. Das erfordert einige wichtige Maßnahmen. Erstens müssen alle Mitgliedstaaten die Regeln anwenden: Sie müssen das ‚Durchwinken‘ beenden und Asylsuchenden Zugang gewähren, aber denjenigen, die nur in ein anderes Land durchreisen wollen, die Einreise verweigern. Zweitens müssen wir die schwerwiegenden Mängel an unseren Außengrenzen beheben – denn ein gemeinsamer Raum ohne Grenzkontrollen ist nur möglich, wenn wir unsere Außengrenzen wirksam schützen. Dafür muss der Vorschlag für eine Europäische Grenz- und Küstenwache, den die Kommission im Dezember vorgelegt hat, unverzüglich von den Mitgliedstaaten angenommen werden, damit sie bereits im Sommer operativ ist. Die Mitgliedstaaten müssen jetzt im gemeinsamen Interesse auch gemeinsam handeln, um eine der wertvollsten Errungenschaften der EU zu wahren.“

Die Kosten eines Europas ohne Schengen

Vorübergehende Grenzkontrollen beeinträchtigen nicht nur den freien Personenverkehr, sie bringen auch erhebliche wirtschaftliche Kosten mit sich. Eine vollständige Wiederherstellung der Grenzkontrollen im Schengen-Raum würde nach Schätzungen der Kommission unmittelbare direkte Kosten in Höhe von 5 bis 18 Mrd. EUR jährlich (0,05 % bis 0,13 % des BIP) verursachen. Diese Kosten würden sich zwar auf einige Akteure und Regionen konzentrieren, hätten aber unweigerlich Auswirkungen auf die EU-Wirtschaft insgesamt. Einige Beispiele:

  • Auf Mitgliedstaaten wie Polen, die Niederlande oder Deutschland kämen zusätzliche Kosten in Höhe von über 500 Mio. EUR für den Güterverkehr auf der Straße zu.
  • Die Wirtschaft in Spanien oder der Tschechischen Republik hätte mehr als 200 Mio. EUR Zusatzkosten zu tragen.
  • Grenzkontrollen hätten für die 1,7 Millionen Grenzgänger oder die Unternehmen, die sie beschäftigen, einen Zeitverlust zur Folge, der mit Kosten zwischen 2,5 und 4,5 Mrd. EUR zu beziffern wäre.
  • Im Tourismus könnte die Zahl der Übernachtungen um 13 Millionen oder mehr abnehmen, was die Branche insgesamt 1,2 Mrd. EUR kosten würde.
  • Durch das für Grenzkontrollen zusätzlich benötigte Personal entstünden den Staaten Verwaltungskosten in Höhe von mindestens 1,1 Mrd. EUR.

Schutz der Außengrenzen

In einem Raum des freien Personenverkehrs müssen unbedingt die Außengrenzen gesichert und effiziente Grenzkontrollen durchgeführt werden. Dafür sind die beteiligten Staaten gemeinsam verantwortlich. Im Dezember hat die Kommission einen ehrgeizigen Vorschlag für eine Europäische Grenz- und Küstenwache vorgelegt. Es ist dringend notwendig, dass das Europäische Parlament und der Rat diesen Vorschlag spätestens im Juni annehmen, damit er im Sommer umgesetzt werden kann. Die Kommission ruft die Mitgliedstaaten und Frontex auf, bereits jetzt mit den Vorbereitungen für die Einführung des neuen Systems zu beginnen und dabei insbesondere den Personalbedarf und die notwendigen technischen Ressourcen zu bestimmen. In der Zwischenzeit fordert die Kommission die Mitgliedstaaten auf, die laufenden Frontex-Einsätze stärker zu unterstützen.

Sofortige Unterstützung für Griechenland

Der massive Zustrom von Migranten würde die Kontrolle der Außengrenzen jedes Mitgliedstaats einem erheblichen Druck aussetzen. An den griechischen Außengrenzen ist dieser Druck derzeit immens, und die dort bestehenden Schwachstellen müssen dringend behoben werden. Einige klar definierte Schritte sind in den nächsten Monaten erforderlich:

  • Sachverständige der Kommission sollten weiter mit den griechischen Behörden zusammenarbeiten und für die Abstimmung mit anderen beteiligten Akteuren sorgen.
  • Bei allen Einreisen sollte eine 100%ige Identitätsfeststellung und Registrierung erfolgen (einschließlich systematischer Sicherheitsüberprüfungen mit Datenbankabfrage).
  • Griechenland sollte einen Aktionsplan vorlegen, in dem es auf die Empfehlungen aus der Schengen-Bewertung eingeht, sowie eine Bedarfsanalyse, damit die Mitgliedstaaten, die EU-Agenturen und die Kommission rechtzeitig Unterstützung leisten können.
  • Falls erforderlich, sollte Frontex unverzüglich den weiteren Einsatz europäischer Grenzschutzteams vorbereiten und bis zum 22. März weitere Hilfeersuchen zur Abstellung von Ressourcen stellen.
  • Die anderen Mitgliedstaaten sollten ihrer Verantwortung nachkommen und innerhalb von 10 Tagen nach den Hilfeersuchen Personal und technische Ausrüstung bereitstellen.

Die Umsetzung des gemeinsamen Aktionsplans EU-Türkei und der Regelung betreffend die Türkei über die freiwillige Aufnahme aus humanitären Gründen werden ebenfalls weiter verfolgt, damit die Zahl der Neuankömmlinge in Griechenland rasch zurückgeht. Außerdem dürften eine effektivere Anwendung der Notfall-Umverteilungsmechanismen und mehr Rückführungen in die Türkei und in die Herkunftsländer dazu führen, dass der Druck auf Griechenland abnimmt.

In der Zwischenzeit sind die Grenzkontrollen auf der Balkanroute wieder strenger geworden, während der Zustrom der Migranten nach Griechenland anhält, so dass sich dort immer mehr Flüchtlinge ansammeln. Deshalb ist es umso dringender und notwendiger, dass die Mitgliedstaaten die Umverteilungsbeschlüsse schneller umsetzen. Die Kommission wird bei den Anstrengungen für eine raschere Umverteilung Unterstützung leisten und monatlich über die Fortschritte berichten. In dieser Woche hat die Kommission Vorschläge für ein neues Soforthilfeinstrument für schnellere Krisenreaktion innerhalb der EU vorgelegt.

Die Regeln anwenden und das „Durchwinken“ abstellen

Der Europäische Rat hat in seinen Schlussfolgerungen vom 18./19. Februar klar festgehalten, dass die derzeitige Politik des „Durchwinkens“ weder rechtlich noch politisch akzeptabel ist. Die Mitgliedstaaten müssen jeder Person, die an ihren Grenzen einen entsprechenden Antrag stellt, Zugang zu einem Asylverfahren gewähren. Die Entscheidung darüber, welcher Mitgliedstaat für einen bestimmten Antrag zuständig ist, sollte dann nach EU-Recht, insbesondere nach dem bestehenden Dublin-System, getroffen werden. Es muss also eine reale Möglichkeit geben, Asylbewerber in das erste Einreiseland zurückzuführen. Die Kommission plant daher, ihre Stellungnahme zu einer möglichen Wiederaufnahme der Dublin-Überstellungen nach Griechenland vor dem Europäischen Rat im Juni abzugeben.

Gleichzeitig sollte ein Mitgliedstaat Drittstaatsangehörigen, die die Einreisevoraussetzungen des Schengener Grenzkodexes nicht erfüllen und keinen Asylantrag gestellt haben, obwohl sie dazu Gelegenheit hatten, an der Grenze die Einreise verwehren. Es ist zu bedenken, dass nach EU-Recht Asylbewerber nicht berechtigt sind, sich auszusuchen, welcher Mitgliedstaat ihnen Schutz gewährt. So sollte an den Schengen-Außengrenzen und an den Grenzen der Mitgliedstaaten, die vorübergehende Binnengrenzkontrollen durchführen, verfahren werden. Eine wirkungsvolle Umsetzung dieser Politik wird das Schengen– und das Dublin-System sowie den Notfall-Umverteilungsmechanismus stärken.

Kontrollen an den Binnengrenzen: vom Stückwerk zu einem kohärenten Konzept

Vorübergehende Kontrollen an den Binnengrenzen sollten die Ausnahme bleiben und verhältnismäßig sein, mit dem Ziel, so schnell wie möglich zur Normalität zurückzukehren. Seit September 2015 haben acht Länder im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise wieder Kontrollen an den Binnengrenzen eingeführt. Bisher geschah dies unilateral im Rahmen des Schengener Grenzkodexes (Artikel 23-25).

Sollten der derzeitige Migrationsdruck und die schwerwiegenden Mängel bei den Kontrollen an den Außengrenzen über den 12. Mai hinaus bestehen bleiben, müsste die Kommission dem Rat einen Vorschlag nach Artikel 26 Absatz 2 des Schengener Grenzkodexes unterbreiten, in dem ein kohärentes Vorgehen der EU bei den Binnengrenzkontrollen empfohlen wird, bis die Strukturschwächen behoben worden sind. Die Kommission wird dann vorbereitet sein und erforderlichenfalls unverzüglich handeln, wobei sie Kontrollen nur an den Grenzabschnitten vorschlagen würde, an denen sie notwendig und verhältnismäßig sind.

Das Ziel wäre dann, alle Binnengrenzkontrollen bis Dezember wieder aufzuheben, so dass der Schengen-Raum spätestens Ende 2016 wieder ordnungsgemäß funktioniert.

Weitere Informationen

ANLAGE: FAHRPLAN

Der Fahrplan für eine vollständige Rückkehr zu Schengen sieht folgende Schritte vor:

  • 4. März 2016 (und danach im Monatsabstand): Fortschrittsbericht Griechenlands über die Maßnahmen in Befolgung der Empfehlung über die Wiederaufnahme der in der Dublin-Verordnung vorgesehenen Überstellungen
  • bis spätestens 12. März 2016: Vorlage eines Aktionsplans zur Umsetzung der Ratsempfehlungen mitsamt einer Bedarfsschätzung durch Griechenland
  • 16. März 2016: Mitteilung der Kommission über eine Reform der Dublin-Verordnung mit dem Ziel einer solidarischen und fairen Lastenteilung zwischen den Mitgliedstaaten
  • 16. März 2016: Erster Bericht der Kommission über die Umsiedlungs- und Neuansiedlungszusagen
  • bis spätestens 22. März 2016: zusätzliches Hilfeersuchen von Frontex zur Abstellung von Ressourcen für eine weitere Entsendung europäischer Grenzschutzteams zur Unterstützung Griechenlands
  • bis spätestens 1. April 2016: Abstellung von Personal und Material durch die Mitgliedstaaten auf den Aufruf von Frontex hin
  • bis spätestens 12. April 2016: Bewertung des griechischen Aktionsplans durch die Kommission
  • 16. April 2016: Zweiter Bericht der Kommission über die Umsiedlungs- und Neuansiedlungszusagen
  • 11.-17. April 2016: Schengen-Evaluierung der griechischen Luft-, Land- und Seegrenzkontrollen durch die Kommission und Sachverständige der Mitgliedstaaten
  • bis spätestens 12. Mai 2016: Bericht Griechenlands über die Umsetzung der Ratsempfehlungen
  • 12. Mai 2016: Vorlage eines auf Artikel 26 Absatz 2 des Schengener Grenzkodexes gestützten Kommissionsvorschlags, falls die schwerwiegenden Mängel bei der Außengrenzkontrolle fortbestehen
  • 13. Mai 2016: Annahme einer auf Artikel 26 Absatz 2 des Schengener Grenzkodexes gestützten Empfehlung des Rates über ein kohärentes unionsweites Vorgehen bei vorübergehenden Binnengrenzkontrollen, falls die schwerwiegenden Mängel bei der Außengrenzkontrolle fortbestehen
  • 16. Mai 2016: Dritter Bericht der Kommission über die Umsiedlungs- und Neuansiedlungszusagen
  • bis spätestens Juni 2016: politische Einigung der gesetzgebenden Organe über eine Europäische Grenz- und Küstenwache und Verabschiedung des betreffenden Rechtsakts
  • Juni 2016: Stellungnahme der Kommission zu einer möglichen Wiederaufnahme der Dublin-Überstellungen nach Griechenland
  • Bis spätestens August 2016: Einsatzfähigkeit der Europäischen Grenz- und Küstenwache
  • bis spätestens September 2016: vollständige Einsatzreife der europäischen Grenz- und Küstenwache und Abschluss der ersten Anfälligkeitstests, damit die erforderlichen Präventionsmaßnahmen getroffen werden können
  • Dezember 2016: falls es die Gesamtlage zulässt, Auslaufen der außergewöhnlichen Schutzmaßnahmen

EU-Kommission, Pressemitteilung IP/16/585 v. 04.03.2016

Redaktioneller Hinweis: Zur Stellungnahme aus dem Freistaat vgl. hier.