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Rezension: Hofmann (Hrsg.), Ausländerrecht (2. Aufl., Nomos 2016)

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Rezension_Fotolia_91184109_S_copyright - passvon Dr. Roman Lehner, Georg-August-Universität Göttingen

I. Acht Jahre sind eine lange Zeit, das gilt einmal mehr im Ausländerrecht. Allein im letzten Dreivierteljahr sind zahlreiche gesetzliche Vorschriften etwa aus AufenthG, Asyl(Vf)G oder AsylbLG wiederholt und tiefgreifend verändert worden, nicht selten unter dem Eindruck aktueller politischer und gesellschaftlicher Debattenlagen. Das Novellierungs- und Reformtempo ist dabei atemberaubend. Nimmt man etwa allein das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I, S. 1386), mit dem wichtige Neuerungen zur Aufenthaltslegalisierung (z.B. § 25b AufenthG) oder zur Aufenthaltsbeendigung (v.a. die Neufassung des Ausweisungsrechts der §§ 53 ff. AufenthG mit Wirkung zum 1. Januar 2016) normiert wurden, gewinnt man bereits einen Eindruck über die Dynamik des Rechtsgebiets auch unter dem Einfluss zunehmender europarechtlicher Determinationsdichte (unter Einbeziehung der EMRK). Das neue Ausweisungsrecht etwa spiegelt die komplizierte Judikatur, die – initiiert durch EGMR und EuGH – die bisherigen gesetzlichen Typenvorgaben zur Ausweisung einzelfallspezifisch aufgelöst und zur Einführung einer ganz neuen Systematik geführt hat (typisierende Gesamtabwägung auf Tatbestandsebene bei gebundener Rechtsfolgenentscheidung). Es entbehrt überdies nicht einer gewissen Ironie, dass das neue Ausweisungsrecht in der Silvesternacht in Kraft trat, just in dem Augenblick also, als bestimmte, allseits bekannte strafrechtsrelevante Vorgänge am Kölner Hauptbahnhof (und andernorts) stattfanden, die wiederum den Gesetzgeber auf den Plan rufen sollten. Der Entwurf eines Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern (BT-Drs. 18/7537 [PDF]) ist am 25. Februar vom Bundestag mit einer kleinen Änderung beschlossen worden (vgl. BR-Drs. 85/16 [PDF]), am Folgetag hat der Bundesrat beschlossen (BR-Drs. 85/16(B) [PDF]), den für einen Einspruch obligatorischen Vermittlungsantrag nicht zu stellen. Zeitgleich wurde der Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (BT-Drs. 18/7538 [PDF]) als Herzstück des sog. Asylpakets II vom Bundestag beschlossen (vgl. BR-Drs. 86/16 [PDF]), auch hier machte der Bundesrat den weiteren Weg frei (BR-Drs. 86/16(B) [PDF]). Beide Gesetze wurden heute (16.03.2016) verkündet (BGBl. I, S. 390 bzw. S. 394). Zum zweiten Asylpaket gehört ferner ein Gesetzentwurf zur Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsstaaten (§ 29a AsylG) um Marokko, Algerien und Tunesien (BR-Drs. 68/16 [PDF]), der sich als Regierungsentwurf aktuell im Einleitungsverfahren beim Bundesrat befindet, wobei eine kritische Stellungnahme desletzteren zu erwarten ist (vgl. BR-Drs. 68/1/16 [PDF]).

II. Den Überblick über das Rechtsgebiet zu behalten wird offenkundig immer aufwändiger; im vergangenen Jahr sind bereits hinzugekommen: das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I, S. 1722) (mitsamt der Ausweisung nunmehr aller Westbalkan-Staaten als sichere Herkunftsstaaten) und der dazugehörigen Rechtsverordnung (BGBl. I, S. 1789) u.a. zur Einführung des § 26 Abs. 2 BeschV (Ermöglichung qualifikationsunabhängiger Zustimmung der BA zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu Erwerbszwecken für Personen aus den Westbalkan-Staaten) und das Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher (BGBl. I, S. 1802) betreffend u.a. die Einführung eines länderübergreifenden Verteilungssystems für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (§§ 42b ff. SGB VIII) analog zum Königsteiner Schlüssel. Und wenn man noch gewisse Querverbindungen im Blick behalten will, lohnt auch die Lektüre des Referentenentwurfs für ein Gesetz zur Verbesserung der sexuellen Selbstbestimmung im Strafrecht vom Ende des letzten Jahres (auf der heutigen [16.03.2016] Sitzung des Bundeskabinetts als Regierungsentwurf beschlossen – vgl. zu beiden hier und auch die Nachricht des BMJV), wo jene listige Begehungsvariante bei einer sexuellen Nötigung angesprochen ist (§ 179 Abs. 1 Nr. 2 StGB-E.), auf die letztlich das o.g. jüngst beschlossene Ausweisungserleichterungsgesetz an verschiedenen Stellen (§§ 54 Abs 1 Nr. 1a, Abs. 2 Nr. 1a; 60 Abs. 8 S. 3 AufenthG n.F.) rekurriert. Und allein die Entwurfsgeschichte zum Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren gibt Aufschlüsse über Veränderungspotenzial und Flexibilität des hier interessierenden Gebiets; zunächst sollte die gerade erst durch das o.g. Neubestimmungsgesetz aus dem Sommer 2015 erfolgte Gleichstellung der subsidiär Schutzberechtigten mit den GFK-Flüchtlingen zum privilegierten Familiennachzug (vgl. aktuell § 29 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG) zusammen mit der Aussetzung der Nachzugsregeln gleich wieder gestrichen werden (Ref.-E. 1, Stand 16. November 2015), dann blieb es doch ‚nur’ bei der zweijährigen Suspendierung des Nachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten, zunächst begrenzt auf den Zuzug von Ehegatten und Kindern (Ref.-E. 2, Stand 19. November 2015). Schließlich sieht nun der förmliche Gesetzentwurf diese Begrenzung nicht mehr vor und erfasst somit auch den Zuzug von Sorgeberechtigten, mithin zu subsidiär schutzberechtigten Minderjährigen, was freilich erst nach Kabinettsbeschluss allen beteiligten Ressorts auffiel (schlussendlich wurde der Entwurf als Fraktionsvorlage eingebracht, vgl. BT-Drs. 18/7538 [PDF], dort Art. 2 Nr. 4). Entsprechende ,Schusseligkeiten’ werden dann einfach mit Verweis auf die angeblich eindeutigen Vorgaben aus dem Völkerrecht (v.a. aus der Kinderrechtskonvention) weggewischt, die ja ohnehin Beschränkungen des Elternnachzugs ausschlössen, weswegen inhaltlich alles sowieso beim Alten bleibe. Und tatsächlich gilt bei allen genannten Gesetzeswerken: Was von all den Regelungen nach entsprechender Judizierung durch EuGH/ BVerfG/ EGMR/ Verwaltungsgerichte am Ende übrig geblieben sein wird, steht sowieso auf einem anderen Blatt. Kurzum: Wer wissen will, ‚was gilt’, braucht mehr denn je ein wirklich gutes Werk, ein Standardwerk, in seinen Händen. Ein langer Einstieg für eine Rezension!

III. Acht Jahre sind vergangen, seit der Handkommentar zum Ausländerrecht (HK-AuslR) von Rainer M. Hofmann und Prof. Dr. Holger Hoffmann bei Nomos erschienen ist und seit Anfang dieses Jahres liegt das Werk, das man spätestens jetzt als Standardwerk bezeichnen sollte, endlich in zweiter Auflage vor. Die einleitend erwähnten Rechtsentwicklungen allein der letzten Monate verdeutlichen, dass aktuelles und profundes, zudem systematisch entfaltetes Fachwissen ein großes (und seltenes) Glück ist. Rainer M. Hofmann ist mit der zweiten Auflage des allseits geschätzten „Handkommentars“, die er nach dem Ausscheiden von Holger Hoffmann allein verantwortet, derartiges (neuerlich) gelungen. Das Format des Handkommentars wurde nach Angaben des Herausgebers (s. S. 7 f.) zwar gesprengt, weswegen das Werk von der roten in die blaue Reihe gewechselt ist und nun als Nomos-Kommentar (NK-AuslR) firmiert. Auf knapp 3.000 Seiten geleitet er – wie schon zuvor – durch das AufenthG, das FreizügG/EU, das AsylG und das StAG und erläutert ausgewählte Vorschriften des Verfassungsrechts (Art. 16a GG), des Assoziationsrechts EWG/Türkei (ARB Nr. 1/80, ZP Assoziationsabkommen) und des EU-Rechts (Stabilisierungs-und Assoziierungsabkommen Mazedonien; exemplarisch). In gewohnt souveräner Manier bieten die Kommentatoren (inzwischen 22 an der Zahl) für den Wissenschaftler wie für den Praktiker durchgehend fundierte Darstellungen der entsprechenden Vorschriften. Von den o.g. Regelungskomplexen sind all jene aus dem Jahr 2015 eingearbeitet worden, zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz und zu den Änderungen betreffend unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge wurde überdies ein sehr nützliches einführendes Kapitel der Gesamtkommentierung vorangestellt.

IV. Im Vorwort zu ersten Auflage hieß es noch: „Ein Kommentar, an dem fünfzehn Autorinnen und Autoren mitarbeiten, kann kein Werk ‚aus einem Guss’ sein. Temperamente, Standpunkte und Meinungsfreudigkeit sind sehr unterschiedlich. Als Herausgeber hielten wir es auch für falsch, eine ‚einheitliche Linie’ vorzugeben oder zu fordern.“ Es ist zu begrüßen, dass hieran festgehalten wurde, gerade im Ausländerrecht muss sich, wer fundiert argumentieren will, mit dem ausgeprägten Rechtsmeinungspluralismus auseinandersetzen. An keiner anderen Vorschrift wird dies zur Zeit so deutlich wie an § 18 i.V.m. § 26a AsylG und der aktuell in der Debatte befindlichen Frage (z.B. hier, hier und hier) nach der Berechtigung (oder Verpflichtung?) deutscher Grenzbehörden an der deutsch-österreichischen Grenze systematische Zurückweisungen in Bezug auf Asylsuchende vorzunehmen. Das überaus komplexe Verhältnis EU-Recht/nationales Drittstaatsprinzip muss anhand der einfachgesetzlichen Normen rekonstruiert werden, die vorliegende Kommentierung unternimmt dies (Rn. 14 ff. zu § 26a AsylG; Kommentator: Stefan Keßler) und rekurriert hierzu ausführlich auf die einschlägigen Vorgaben aus der Dublin-III-VO (VO Nr. 604/2013/EU). Aus Gründen des effektiven Flüchtlingsschutzes wird hier etwa für die Anerkennung einer „faktische[n] Zuständigkeit“ Deutschlands in den Fällen plädiert, in denen eine Überstellung in den Staat, der „ ‚eigentlich’ zuständig“ ist, praktisch aussichtslos erscheint (Rn. 15). Das ist folgerichtig, wenn man die eben doch vorhandene ‚Linie’ (besser: Perspektive) des Gesamtkommentars berücksichtigt, nämlich sich „in erster Linie an den Bedürfnissen der Betroffenen“ zu orientieren und in Bezug auf „deren Rechte“ (s. S. 7) zu argumentieren. Damit die hieraus erwachsenden Orientierungen nicht zu sehr in ein Spannungsverhältnis mit der notwendigen Objektivität geraten, ist es freilich unabdingbar, ein hohes Maß an Seriösität und Tiefgang zu erreichen, was dem vorliegenden Werk durchweg gelingt. Dem tut auch das recht launige Vorwort des Herausgebers keinen Abbruch, aus welchem sich eine ausgesprochen skeptische Sicht auf die jüngeren Rechtsentwicklungen ablesen lässt und in welchem die „hektischen Aktivitäten des Gesetzgebers der jüngsten Zeit“ mehr oder minder pauschal für rückgratlos erklärt werden (S. 6).

V. Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz bekommt in dem o.g. vorangestellten Abschnitt, den Hofmann zusammen mit Thomas Oberhäuser verfasst hat, gewissermaßen ‚sein Fett weg’: Die Ausweitung der Herkunftsstaatenregelung auf Albanien, Kosovo und Montenegro? Ausweis eines nur „schwerlich […] vertretbaren Vorgehen[s]“ (Rn. 4). Der neue § 11 Abs. 2 AsylbLG, der keinerlei Leistungen außer der Gewährung von Rückreisekosten vorsieht, wenn entgegen der Residenzpflicht in andere Teile Deutschlands gereist wurde? In Bezug auf womöglich vor Ort zu leistende medizinische Versorgung „verfassungsrechtlich unhaltbar“ (Rn. 30). Das Verbot der Ankündigung des Abschiebetermins? Hindert die Härtefallkommission an ihrer Arbeit, verletzt die Verfahrensautonomie der Länder und das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Rn. 34). Das ist teilweise starker Tobak, aber konsequent bei Zugrundelegung einer optimalen Rechtsschutzposition der Betroffenen. Für den Freistaat und die Rolle einiger Akteure (wer auch immer konkret gemeint sei) in bundespolitischen Auseinandersetzungen nicht uninteressant (und kontrovers): Der Herausgeber wünscht den „Verantwortlichen“ in Deutschland in punkto „Offenheit, Besonnenheit und Willkommenskultur“ nicht weniger als „noch mehr Standfestigkeit gegenüber dem braunen Mob, der weiter Brände legt, sowie gegenüber dessen Stichwortgebern aus südlichen Gefilden Deutschlands.“ Weniger Polemik wäre hier wünschenswert gewesen, denn auch aus Sicht der ‚Betroffenen’ (sind dies nicht ohnehin alle Bürger eines Gemeinwesens?) ist gerade im Angesicht der Flüchtlingskrise die allgemeine Akzeptanz des Rechts und seiner humanitären Schutzmechanismen eine der berühmten Bedingungen, auf welche jedes liberal grundierte Rechtsgebiet angewiesen ist, ohne dass es sie selbst erzeugen könnte. Die strenge Form des Rechts, die im Vorwort unter Rekurs auf die bekannte Sentenz Jherings beschworen wird, steht und fällt damit, dass die Rechtsordnung auf Grundlage eines möglichst breiten und möglichst offenen Diskurses politisch und gesellschaftlich von (fast) allen getragen wird.

VI. Aktuelles und fundiertes Wissen in bewegten Zeiten – anhand einiger Beispiele lässt sich verifizieren, dass der Nomos-Kommentar zum Ausländerrecht dies vermag. So werden Wohnsitzauflagen für anerkannte (!) Flüchtlinge/subsidiär Schutzberechtigte derzeit intensiv diskutiert, ein entsprechendes Gesetzesvorhaben soll dem Vernehmen nach bald schon lanciert werden. Wer sich mit diesem Thema beschäftigt, wie es der Verf. dieser Zeilen just getan hat (zusammen mit Andreas Lippold in ZAR 2016, S. 81-89), kommt an der problemorientieren Kommentierung des § 12 AufenthG mitsamt ihrer adäquaten Orientierung an den einschlägigen völker- und europarechtlichen Vorgaben nicht vorbei. Gleiches gilt für den o.g. Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten bzw. die Frage nach seiner Einschränkbarkeit, ein Blick in die Erläuterungen zu § 29 AufenthG sollte helfen, die maßgeblichen Rechtsprobleme und Debatten rasch zu erfassen. An beiden Beispielen zeigt sich bei alledem der enorme Einfluss europarechtlicher Vorgaben, welche das gesamte Ausländerrecht und vor allem das Asyl- und Flüchtlingsrecht zunehmend durchprägen. Die vorliegende Kommentierung leistet den notwendigen Spagat, bei den Erläuterungen der nationalen Vorschriften den supranationalen (sowie den völkerrechtlichen) Kontext entsprechend einzublenden. Man fragt sich allerdings, ob es angesichts des ohnehin vorhandenen Textumfangs nicht ratsam wäre, zumindest zentrale Vorschriften des europäischen Rechts eigenständig zu kommentieren, sei es Art. 18 GRCh oder ausgewählte Normen des Sekundärrechts (etwa aus der QualifikationsRL oder der Dublin-III-VO). Die aktuellen Debatten um die Möglichkeiten, an der deutschen Grenze systematische Zurückweisungen über § 18 AsylG vorzunehmen, offenbaren, dass die Antwort in der Auslegung der Dublin-III-VO zu suchen ist. Ob man diese nun gleichsam en passant miterläutert oder eigenständig darstellt, mag auch Geschmackssache sein; gute (zumal deutschsprachige) Kommentierungen des einschlägigen Sekundärrechts sind jedenfalls rar, hier könnte ‚der Hofmann’ vielleicht eine Lücke zumindest partiell schließen helfen. Jetzt sprechen wir aber schon über die 3. Auflage, die ganz sicher nicht acht Jahre auf sich warten lassen wird.

Hofmann, Ausländerrecht – AufenthG | AsylG (AsylVfG) | GG | FreizügG/EU | StAG | EU-Abkommen | Assoziationsrecht, 2. Aufl., Nomos 2016, 2880 S., gebunden, ISBN 978-3-8329-5871-8, 165,- EUR

Net-Dokument BayRVR2016031601; Titelfoto: (c) bogdanvija – Fotolia.com

Redaktionelle Anmerkung

Dr. Roman Lehner ist akad. Rat a.Z. und Habilitand am Institut für Öffentliches Recht, Abteilung Staatsrecht (Prof. Dr. Christine Langenfeld) an der Georg-August-Universität Göttingen