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Rezension: Burgi, Vergaberecht. Systematische Darstellung für Praxis und Ausbildung (C.H.Beck 2016)

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rezension_fotolia_91184109_s_copyright-passvon Prof. Dr. Ferdinand Wollenschläger, Universität Augsburg

Das Vergaberecht hat sich gerade im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte in Forschung, Lehre und Praxis zu einer zentralen Materie des Öffentlichen Wirtschaftsrechts entwickelt. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Mit einem von der öffentlichen Hand vergebenen Auftragsvolumen von mehr als 2 Billionen Euro, was einem Anteil von ca. 20% des Bruttoinlandsprodukts in der EU entspricht, kommt ihm eine enorme wirtschaftliche Bedeutung zu. Zudem weist sein Anwendungsbereich weit über herkömmliche Einkaufstätigkeiten wie den sprichwörtlichen Bleistiftkauf der Verwaltung hinaus und erfasst namentlich die im Rahmen von Privatisierungsvorgängen notwendige Auswahl Privater, die in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben einbezogen werden sollen. Seine seit Anfang der 1990er Jahre verstärkt einsetzende Europäisierung hat den Vergaberegeln überdies erhebliche Durchschlagskraft verliehen. Rechtspolitisch stellen sich grundlegende Fragen, etwa ob und inwieweit der Staat berechtigt ist, strategisch zu beschaffen, mithin soziale respektive ökologische Zwecke bei der öffentlichen Auftragsvergabe zu verfolgen. Rechtswissenschaftliches Interesse weckt das Vergaberecht schließlich, weil es ein Beispiel für ein durch Europäisierungsprozesse grundlegend verwandeltes Rechtsgebiet darstellt, sich an der Schnittstelle von Öffentlichem Recht und Privatrecht bewegt – etwa mit Blick auf die Sicherstellung öffentlich-rechtlicher Bindungen bei privatrechtsförmigem Verwaltungshandeln – und weil es als Referenzgebiet für den Umgang mit der staatlichen Verteilung knapper Güter fungiert.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass das Vergaberecht mittlerweile Gegenstand einer kaum mehr zu übersehenden Anzahl von Abhandlungen und Monographien sowie kürzeren Darstellungen zumeist in Lehrbüchern zum Öffentlichen Wirtschaftsrecht ist, eigene Fachzeitschriften aufweisen kann, zu den Gebieten der Schwerpunktausbildung an den Juristischen Fakultäten zählt und sich in der Rechtspraxis in einer Vielzahl von Entscheidungen auf nationaler und europäischer Ebene sowie einem großen Beratungsmarkt niederschlägt. Was indes überrascht, ist, dass angesichts dessen auf dem deutschen Markt, anders als etwa im angelsächsischen Bereich (siehe namentlich Sue Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, Bd. 1, 3. Aufl. 2014, und Christopher H. Bovis, EU Public Procurement Law, 2016), noch kein Lehrbuch größeren Zuschnitts existiert. In diese Lücke stößt das anzuzeigende Werk von Martin Burgi, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Umwelt- und Sozialrecht sowie Leiter der Forschungsstelle für Vergaberecht und Verwaltungskooperationen an der LMU München, einem wissenschaftlich sowie praktisch ausgewiesenen Kenner der Materie. Angesichts der Mitte April 2016 in Kraft getretenen Vergaberechtsreform kommt es zur rechten Zeit.

Ein erstes Kapitel legt die Grundlagen: Es führt in das Werk ein (§ 1), bestimmt den Standort des Vergaberechts (§ 2), entfaltet Normenbestand und Systematik sowohl des EU- (§ 3) als auch des nationalen (§ 4) Rechts und skizziert knapp den internationalen Rahmen sowie ausländische Vergaberechtsordnungen (§ 5). Dieses Kapitel vermittelt anschaulich den komplexen, rechtsebenen- und rechtsmaterienübergreifenden Charakter des Vergaberechts; zuzustimmen ist namentlich der Zuordnung des Vergaberechts zum Wirtschaftsverwaltungsrecht unter Betonung des privatrechtsförmigen Verwaltungshandelns (§ 2 Rn. 9 ff., § 4 Rn. 30) sowie der uneingeschränkten Geltung der Grundrechte für letzteres (§ 4 Rn. 5).

Ein zweites Kapitel entfaltet das GWB-Vergaberecht, zunächst seine Zwecke und Grundsätze (§ 6), sodann die Berücksichtigungsfähigkeit von Sekundärzwecken etwa ökologischer oder sozialer Art (§ 7), wobei zu Recht auch Grenzen gerade für die Landesgesetzgeber aufgezeigt werden (§ 7 Rn. 22 f.). Ein erster Teil des zweiten Kapitels widmet sich den Anwendungsvoraussetzungen und klärt die zentralen Begriffe des öffentlichen Auftraggebers (§ 8) und des öffentlichen Auftrags (§ 10), blickt auf die Auftragnehmerseite (§ 9) und erläutert Ausnahmetatbestände, namentlich für In-House-Vergaben und die horizontale (etwa interkommunale) Zusammenarbeit (§ 11); dabei wird deutlich, dass auch nach der Vergaberechtsreform 2014/2016 offene Rechtsfragen bleiben (siehe für die horizontale Zusammenarbeit § 11 Rn. 41). Ein zweiter Teil des zweiten Kapitels behandelt die Leistungsbeschreibung (§ 12) und Verfahrensfragen, namentlich die verschiedenen Verfahrensarten einschließlich ihrer Abläufe (§ 13), die Losvergabe (§ 14) und die besonderen Vergabeverfahren im Gesundheits- und Sozialwesen (§ 15). Vornehmlich materiellen Fragen gewidmet ist der dritte Teil des zweiten Kapitels, der sich mit Eignungskriterien und Ausschlussgründen (§ 16), Zuschlagskriterien (§ 17), der Prüfung und Wertung der Angebote (§ 18) und dem Zuschlag sowie Ausführungsbedingungen (§ 19) befasst. Hier finden sich zahlreiche weiterführende Überlegungen, etwa die Problematisierung von Vergabesperren auf der Basis (auch) des reformierten Rechtsrahmens (§ 16 Rn. 29 ff.). Der vierte Teil des zweiten Kapitels thematisiert den – seit der Europäisierung auch praktisch bedeutsamen – Vergaberechtsschutz, zunächst den Primär- (§ 20) und Sekundärrechtsschutz (§ 21). Zu Recht wird herausgearbeitet, dass Schadensersatzansprüche eine vergleichsweise geringe Rolle spielen, wobei die Ablehnung eines Vorrangs des Primärrechtsschutzes sicherlich hinterfragbar ist (§ 21 Rn. 2 f.). Besonders hervorzuheben ist, dass der Rechtsschutzteil auch Rechtsschutz und Kontrollmechanismen außerhalb des GWB in den Blick nimmt (§ 22), namentlich das praktisch sehr bedeutsame Zusammenspiel von Vergaberecht(sschutz) und Zuwendungsrecht (§ 22 Rn. 10 ff.).

Das dritte Kapitel bietet einen Überblick über weitere EU-Vergaberegimes, nämlich für den Sektoren-, ÖPNV- sowie Verteidigungs- und Sicherheitsbereich (§ 23) und für die nunmehr erstmals kodifizierte Konzessionsvergabe (§ 24). Hinsichtlich letzterer ist die kategorische Ausklammerung der Standplatzvergabe auf Messen und Märkten sowie der energerierechtlichen Wegekonzessionen aus dem sachlichen Anwendungsbereich des GWB-Konzessionsvergaberechts mit einem Fragezeichen zu versehen (§ 24 Rn. 5 f.).

Ein letztes, das vierte Kapitel entfaltet sodann das Haushaltsvergaberecht, das für zahlreiche nicht vom Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts erfasste Auftragsvergaben gilt, namentlich im sog. Unterschwellenbereich. Sowohl Normenbestand und Regime (§ 25) als auch Rechtsschutzmöglichkeiten (§ 26) werden dargestellt. Zu Recht wird auf die im Vergleich zum Status quo strengeren EU-rechtlichen Rechtsschutzvorgaben verwiesen (§ 26 Rn. 2), werden die Defizite des gegenwärtigen Rechtsschutzsystems aufgezeigt (§ 26 Rn. 3 ff.) und werden Reformoptionen erörtert (§ 26 Rn. 6 ff.). Sehr restriktiv gerät die Bestimmung der Reichweite der Bundeskompetenz für die Regelung von Unterschwellenvergaben (§ 26 Rn. 10 f.).

Positiv – gerade mit Blick auf den (auch) an Studierende gerichteten Adressatenkreis – hervorzuheben ist schließlich, dass das Werk mit Übungsfällen zur Rekapitulation des Dargestellten endet (S. 287 ff.).

Als Gesamtfazit bleibt festzuhalten, dass das Werk Martin Burgis nicht nur eine umfassende, gut lesbare und reflektierte Gesamtdarstellung des reformierten Vergaberechts bietet, sondern zugleich eine Lücke in der deutschen Vergaberechtsliteratur schließt. Sowohl dem am Vergaberecht Interessierten als auch dem mit dieser Materie bereits Befassten kann das künftige Standardwerk daher uneingeschränkt zur Lektüre empfohlen werden.

Martin Burgi, Vergaberecht. Systematische Darstellung für Praxis und Ausbildung; C.H.Beck 2016, XXVI, 308 S., kartoniert, ISBN 978-3-406-69589-6, 39,80 €

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Anmerkung der Redaktion

04_Prof. WollenschlägerProf. Dr. Ferdinand Wollenschläger ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht und Öffentliches Wirtschaftsrecht, Universität Augsburg, Co-Direktor des dortigen Instituts für Bio-, Gesundheits- und Medizinrecht sowie Mitglied im Expertenkreis zur Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien (BMWi), im wissenschaftlichen Beirat des forum vergabe e.V., in der Expertengruppe der EU-Kommission zum EU Social Pillar und im FreSsco-Expertennetzwerk der EU-Kommission zur Freizügigkeit.

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