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Rezension: Weigelt, Die wachsende Stadt als Herausforderung für das Recht (Mohr Siebeck 2016)

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rezension_fotolia_91184109_s_copyright-passvon Prof. Dr. Gerrit Manssen, Universität Regensburg

Die im Baugesetzbuch (BauGB) den Kommunen zur Verfügung gestellten Handlungsinstrumente der Bauleitplanung sind nur in sehr geringem Maße abschließend final programmiert. Die normativen Vorgaben des § 1 Abs. 5 BauGB in Gestalt von allgemeinen städtebaulichen Zielen sowie die Auflistung zu berücksichtigender Belange in § 1 Abs. 6 BauGB ermöglichen es den Gemeinden, Bauleitplanungen mit quasi jeder rechtlich legitimen Zielsetzung zu verfolgen, soweit die Kommunen ihren verfassungsrechtlich und einfachrechtlich vorgegebenen Kompetenzbereich auf die Regelung örtlicher Angelegenheiten einhalten.

Eine juristische Arbeit, die sich mit der Umsetzung einer konkreten städtebaulichen Idee befasst, darf deshalb besondere Aufmerksamkeit erwarten. Thomas Weigelt beschäftigt sich in einer an der Fakultät für Rechtswissenschaft in Hamburg eingereichten Doktorarbeit mit den rechtlichen Herausforderungen einer „wachsenden Stadt“, und zwar vor allem unter dem Aspekt der Erhaltung bzw. Schaffung sog. heterogener Bevölkerungsstrukturen durch Instrumente des öffentlichen Baurechts. Die Arbeit entstand zunächst unter Betreuung des (leider früh) verstorbenen Hamburger Staats- und Verwaltungsrechtlers Arnd Schmehl. Der Autor Weigelt war während der Anfertigung der Arbeit Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Arbeit hat möglicherweise deshalb einen starken „Berliner“ Akzent. Im Vordergrund der Untersuchung stehen Probleme, die durch den starken Zuzug und hohe bauliche Aktivitäten in unserer Bundeshauptstadt zu Änderungen der Bevölkerungsstruktur führen. Auch bezüglich der Zuständigkeits- und Kompetenzfragen liegt der Fokus der Untersuchung ganz auf der Berliner Situation.

Die Arbeit beginnt mit der Darlegung eines planerischen Grundanliegens, das die dann folgenden juristischen Ausführungen quasi lenkt. Der Autor hält es für richtig, wünschenswert und sogar notwendig, dass die planenden Stellen darauf hinzuwirken versuchen, eine heterogene Bevölkerungsstruktur zu erhalten oder zu schaffen. Dies sei ein wesentlicher Beitrag zur „Gefahrendiversifikation“ (etwa im Hinblick auf sozialen Abstieg durch Arbeitslosigkeit, die dann bei Problemen in einer bestimmten Branche nicht das ganze Stadtviertel betreffen würden). Heterogene Strukturen gäben zudem den Bewohnern die Möglichkeit, die „Chancen der Urbanität wahrzunehmen“. Als Auslöser für eine oft zu beobachtende unerwünschte „Segregation“ wird vor allem die Mietentwicklung ausgemacht. In bestimmten „In-Vierteln“ könnten sich nur noch Besserverdienende das Wohnen leisten, einkommensschwächere Bewohner würden quasi „vertrieben“. Damit besteht das grundsätzliche Erkenntnisziel der Arbeit in folgender Fragestellung: Wie kann über bauplanungsrechtliche Instrumente des allgemeinen und besonderen Städtebaurechts ein sozial verträgliches Mietniveau gesichert werden, das Prozessen der Segregation entgegen wirkt?

Ein nachbarliches Nebeneinander etwa von Hartz-IV-Empfängern einerseits und Beamten, Ingenieuren und Ärzten samt Familien andererseits kann bauplanungsrechtlich auf verschiedene Weise gefördert werden. Die in Betracht kommenden Instrumente behandelt Weigelt in seiner Arbeit mit Präzision und Übersicht. Ein zentrales politisches Anliegen in einer Wachstumsstadt ist stets die Schaffung von Wohnraum, vor allem durch eine entsprechende Bauleitplanung. Daraus ergibt sich allerdings alleine noch kein sozial adäquates Mietniveau und keine heterogene Bevölkerungsstruktur, so dass weitere Instrumente anzuwenden sind, vor allem eine Beeinflussung der privatrechtlichen Vermietungsentscheidungen durch hoheitliche Interventionen, etwa in städtebaulichen Verträgen vereinbarte Bindungen von Investoren. De lege ferenda schwebt dem Autor vor, das Städtebaurecht und das privatrechtliche Mietrecht in einer Weise zu verbinden, die es erlauben würde, das Ziel der Schaffung heterogener Bevölkerungsstrukturen besser zu erreichen als bisher. Hinsichtlich der Details der Überlegungen muss der interessierte Leser an dieser Stelle auf die Lektüre der Arbeit verwiesen werden.

Zur Kritik: Die Untersuchung hat eine verengende Perspektive, die ihren Wert für die allgemeine bundesdeutsche Diskussion mindert. So ist nicht nur Berlin oder Hamburg eine „wachsende Stadt“, andere Regionen wie etwa München, Stuttgart oder Frankfurt stehen ebenfalls vor der Frage, wie eine angemessene Versorgung mit Wohnraum gesichert werden kann. Die Probleme des Berliner Bezirks Prenzlauer Berg sind eher spezifisch als bundesweit typisch. Bezüglich des Schutzes der gewachsenen Bevölkerungsstruktur würde dem süddeutschen Leser das Stichwort „Einheimischenmodelle“ einfallen, welches im Sachverzeichnis der Arbeit von Weigelt gar nicht auftaucht. Damit fehlt auch eine Erörterung der Probleme, die in Flächenländern mit dem Begriff „Speckgürtel“ verbunden werden, also dem Wegzug vor allem von Familien in die Umlandgemeinden und den damit verbundenen Fragen der Schaffung der notwendigen Infrastrukturen durch kommunale Zusammenarbeit und auch durch Raumordnung, die Weigelt in diesem Zusammenhang erstaunlicherweise für vollkommen irrelevant hält (S. 88).

Noch störender bei der Lektüre ist allerdings die weitgehende Unterwerfung der juristischen Betrachtung unter die These, bezüglich der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung sei Heterogenität anzustreben, also Homogenität zu vermeiden. Man muss sie nicht als grundsätzlich falsch verwerfen, aber eine gewisse Homogenität mag auch städtebauliche Reize und Vorteile haben (Beispiel: viele Familien mit Kindern ermöglichen die kostengünstige Schaffung von wohnungsnahen Betreuungseinrichtungen). Das eine oder das andere mag in der konkreten örtlichen Situation richtig sein, es ist nicht recht einleuchtend, warum eine Blickverengung, wie Weigelt sie in seiner Arbeit weitgehend vornimmt, erkenntnisfördernd sein soll.

Schließlich – und das sei an dieser Stelle der letzte Kritikpunkt – besteht der Kern der Arbeit in Überlegungen zu der Frage, wie ein sozial möglicherweise unverträglicher Mietpreisanstieg durch kommunale Planung abgemildert werden kann. Dieses sozialstaatliche Anliegen dürfte für nahezu jedermann einsichtig sein, es bedarf keiner maßgeblichen Flankierung durch das Argument der Schaffung oder Erhaltung von „Heterogenität“. Denn auch bei homogenen Bevölkerungsstrukturen müssen die Mieten bezahlbar sein. Den „Kollateralschaden“ des Wegzugs von bestimmten Bevölkerungsgruppen bei steigenden Mieten stellt der Titel der Arbeit zu sehr in den Vordergrund.

Fazit: Die Arbeit regt zu mancher Kritik an. Die Lektüre ist gerade deshalb durchaus erkenntnisfördernd.

Thomas Weigelt, Die wachsende Stadt als Herausforderung für das Recht – Rechtliche Instrumente zum Erhalt und zur Schaffung heterogener Bevölkerungsstrukturen in der Innenstadt; Mohr Siebeck 2016, Studien und Beiträge zum Öffentlichen Recht, Bd. 26, XXIII, 389 Seiten, fadengeheftete Broschur, ISBN 978-3-16-154564-1, € 74,00

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Redaktionelle Anmerkung

Prof. Dr. Gerrit Manssen02_Prof. Manssen_neu_pass_ ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht an der juristischen Fakultät der Universität Regensburg. Die Forschungsinteressen des Lehrstuhls beziehen sich u.a. auf die Regulierung der Bodennutzung; untersucht werden neben den klassischen bauplanungsrechtlichen Instrumenten auch die ergänzenden Einflussmöglichkeiten, mit denen eine Kommune die wirtschaftliche Aktivität auf dem Gemeindegebiet beeinflussen kann.

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