Gesetzgebung

BVerfG: Unzulässige Richtervorlage im Zusammenhang mit dem Bau einer Kohlenmonoxid-Pipeline

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG die Unzulässigkeit einer Richtervorlage des OVG Nordrhein-Westfalen festgestellt. Das Verfahren der konkreten Normenkontrolle betrifft die Frage, ob das Gesetz über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Dormagen und Krefeld-Uerdingen mit Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar sei. Der Vorlagebeschluss entspricht nicht den Begründungsanforderungen. Er begründet die angenommene Verfassungswidrigkeit des Gesetzes nur unzureichend.

Sachverhalt

Das Gesetz über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Dormagen und Krefeld-Uerdingen (RohrlG) regelt die Zulässigkeit von Enteignungen zugunsten Privater für die Errichtung der dort beschriebenen Rohrleitungsanlage. Die Kläger des Ausgangsverfahrens sind Eigentümer von Grundstücken in der Trasse der Rohrleitungsanlage, mittels derer im Chemiepark Dormagen produziertes gasförmiges Kohlenmonoxid zum Chemiepark Krefeld-Uerdingen transportiert werden soll. Sie wenden sich gegen den Planfeststellungsbeschluss für die Errichtung und den Betrieb der Rohrfernleitungsanlage. Auf die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung hat das OVG das Verfahren mit Beschluss vom 28.08.2014 ausgesetzt und dem BVerfG die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 1 Satz 1 RohrlG zur Entscheidung vorgelegt.

Wesentliche Erwägungen der Kammer

1. Dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügt ein Vorlagebeschluss nur, wenn die Ausführungen des Gerichts erkennen lassen, dass es sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat. In diesem Zusammenhang muss das vorlegende Gericht seine für die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit maßgeblichen Erwägungen für das BVerfG nachvollziehbar und erschöpfend darlegen.

2. Diesen Anforderungen wird die Vorlage nicht gerecht.

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a) Das zur Enteignung ermächtigende Gesetz muss hinreichend bestimmt regeln, zu welchem Zweck, unter welchen Voraussetzungen und für welche Vorhaben enteignet werden darf. Wie konkret der Gesetzgeber in dem jeweiligen Enteignungsgesetz das die Enteignung legitimierende Gemeinwohl benennen muss, lässt sich nicht allgemein festlegen. Den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen genügt eine Regelung jedoch nicht, die die Entscheidung, für welche Vorhaben und zu welchen Zwecken enteignet werden darf, faktisch in die Hand der Verwaltung legt. Bei Enteignungen zugunsten Privater, die nur mittelbar dem gemeinen Wohl dienen, sind erhöhte Anforderungen an die Klarheit und Bestimmtheit der gesetzlichen Enteignungsregeln zu stellen. Der Gesetzgeber hat unzweideutig zu regeln, ob und für welche Vorhaben eine solche Enteignung statthaft sein soll. Die Sicherung der dauerhaften Gemeinwohlnutzung des enteigneten Gutes ist durch Gesetz zu gewährleisten. Diese in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gesicherten Grundsätze zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Enteignung hat das vorlegende Gericht seiner Prüfung zugrunde zu legen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Dem wird das OVG nicht gerecht.

b) Das OVG weicht mit den von ihm aufgestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Zulässigkeit einer Enteignung wesentlich von diesen sich aus der Rechtsprechung des BVerfG ergebenden Vorgaben ab.

aa) Soweit das OVG die Gemeinwohltauglichkeit der Enteignungszwecke in Abrede stellt, trägt es dem weiten Spielraum des Gesetzgebers bei der Bestimmung des Gemeinwohlziels und dem dementsprechend begrenzten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab nicht hinreichend Rechnung. Auch daran, dass die genannten Zwecksetzungen grundsätzlich geeignet und hinreichend gewichtig sind, die für die Erreichung dieser Ziele typischerweise in Betracht kommenden Enteignungen zu rechtfertigen, zeigt der Vorlagebeschluss keine durchgreifenden Zweifel auf. Die Verwirklichung der Rohrleitung wird in der Regel nicht mehr als die Bestellung einer durch eine vergleichsweise geringe Belastungsintensität gekennzeichnete Grunddienstbarkeit erfordern. Hinzu kommt, dass die vom Rohrleitungsgesetz zugelassene Enteignung nicht nur dem die Anlage betreibenden Unternehmen dient, sondern einer Vielzahl von Kohlenmonoxid verarbeitenden Betrieben in der Region zugutekommt.

bb) Hinsichtlich der Bestimmtheit der gesetzlichen Umschreibung der Enteignungszwecke zieht das OVG zu weitgehende Schlüsse aus Ausführungen des BVerfG im Urteil zum Braunkohletagebau Garzweiler. Durch das vorgelegte Gesetz werden das Vorhaben und der Gemeinwohlzweck, zu deren Verwirklichung Enteignungen grundsätzlich zulässig sein sollen, hinreichend bestimmt. Das Vorhaben wird seiner Art, seiner geographisch räumlichen Einbettung und Größenordnung sowie seiner Funktion nach in einer Weise gekennzeichnet, die unter anderem der bezweckten Erhöhung der Sicherheit und Zuverlässigkeit der Kohlenmonoxidversorgung und damit auch der Förderung wirtschaftlicher Strukturen eine klare Kontur gibt.

cc) Die weitere Annahme des OVG, dass die gebotene Gesamtabwägung nicht der Behörde überlassen werden dürfe, entspricht ebenfalls nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Das BVerfG hat im Urteil zum Tagebau zur Braunkohlegewinnung in Garzweiler zwar verlangt, dass eine Gesamtabwägung der für das Vorhaben sprechenden Gemeinwohlgründe mit den durch seine Verwirklichung beeinträchtigten öffentlichen und privaten Belangen gesetzlich vorgesehen sein muss. Diesem Erfordernis ist hier jedoch Genüge getan. Die für das vorliegende Vorhaben erforderliche Planfeststellung umfasst eine Gesamtabwägung der betroffenen Belange. Das BVerfG hat keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers gesehen, diese Gesamtabwägung bereits selbst vorzunehmen.

dd) Das OVG überzeichnet schließlich die von der Verfassung vorgegebenen Erfordernisse, wenn es den Gesetzgeber auf die Sicherung des Erfolges der Zwecke der Rohrleitungsanlage verpflichten will. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist nicht die Sicherung eines Erfolges, sondern die Sicherung des Enteignungszwecks erforderlich. Die gebotene dauerhafte Gemeinwohlsicherung verlangt gesetzliche Regelungen, die sicherstellen, dass begünstigte Private das enteignete Gut zur Verwirklichung des die Enteignung legitimierenden Zwecks verwenden und dass diese Nutzung dauerhaft erfolgt. Inwieweit mit dieser Nutzung das mit der Enteignung verfolgte Gemeinwohlziel erreicht wird, ist keine Frage der Sicherung des Enteignungszwecks, sondern ist im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter dem Aspekt der Eignung gerichtlicher Überprüfung zugänglich.

BVerfG, Pressemitteilung v. 13.01.2017 zum Beschl. v. 21.12.2016 – 1 BvL 10/14