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Tagungsbericht zur 23. Jahresarbeitstagung Verwaltungsrecht des DAI in Leipzig

von Rechtsanwalt Prof. Dr. Fritz Böckh, Augsburg

Das Deutsche Anwaltsinstitut e.V. veranstaltete vom 27.01. bis 28.01.2017 bereits die 23. verwaltungsrechtliche Jahresarbeitstagung im Großen Sitzungssaal des BVerwG in Leipzig. Wie jedes Jahr gab die Tagung unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Quaas einen breiten Überblick zu aktuellen Entwicklungen und der Rechtsprechung in ausgewählten verwaltungsrechtlichen Themenebereichen. Wie Quaas in seiner Begrüßung ausführte, zeugten über 200 Teilnehmer aus Verwaltung, Verwaltungsgerichtsbarkeit und Anwaltschaft von der Attraktivität des Programms.

1. Themenblock: Rechtsmittelrecht

Der Präsident des BVerwG, Prof. Dr. Dr. hc. Klaus Rennert, eröffnete die Tagung mit seinem Grußwort. In dem von Prof. Dr. Jost Hüttenbrink moderierten ersten Block zum verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz referierte Rennert „Zur Reform des Rechtsmittelrechts in der Verwaltungsgerichtsbarkeit – Thesen und Reformvorschläge“. Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Jörg Birk legte in seinem Vortrag „Stärken und Schwächen des Rechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten aus anwaltlicher Sicht“ den Blickwinkel der Anwaltschaft an. Rennert sprach sich für die Abschaffung der Berufungszulassung als gesondertes Zwischenverfahren aus, allerdings mit der Möglichkeit der Verwerfung der Berufung durch das Berufungsgericht bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit. Auch Birk forderte eine diesbezügliche Abhilfe durch den Gesetzgeber. Allerdings schlug er vor, dass die Berufungszulassung gesetzlich fingiert wird, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist abgelehnt wird. Bemerkenswert war auch der Vorschlag von Birk, dass die Kosten der Revision von der Staatskasse übernommen werden sollten, weil die Revision der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortbildung des Rechts diene. Wie Moderator Hüttenbrink feststellte, hatten die Referenten den anwesenden Anwälten aus dem Herzen gesprochen, was durch die anschließenden Diskussionsbeiträge bestätigt wurde.

2. Themenblock: Flüchtlingsrecht

Moderator Michael Funke-Kaiser, Vorsitzender Richter am VGH Baden-Württemberg, begrüßte Prof. Dr. Uwe Berlit, Vorsitzender Richter am BVerwG, und Rechtsanwalt Reinhard Marx zu ihrem gemeinsamen Thema „Entwicklung des Flüchtlingsrechts seit 2015 – Flüchtlingsrecht in der Krise“. Abwechselnd gingen die Referenten auf unterschiedliche Aspekte der Thematik ein, wobei ihnen bewusst war, dass der Großteil der Zuhörerschaft nicht in diesem Themengebiet tätig ist. Marx erläuterte daher eingangs das bestehende „Dublin-System“ und die von der EU-Kommission geplanten Änderungen, wodurch das AsylG überholt wäre. Berlit stellte anschließend die Entwicklung der jüngeren Rechtsprechung zum Dublin-Verfahren vor und widmete sich danach der Gesetzgebungsaktivität der letzten beiden Jahre (Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz aus 2015, Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren aus 2016 und Integrationsgesetz aus 2016), die er als hyperaktiv und dadurch bedingt sinnvoll erachtete. Marx ging bei den Neuregelungen konkret auf die in § 60a Abs. 2c S. 1 AufenthG enthaltene gesetzliche Vermutung, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, ein und verwies auf die rechtlichen Probleme, die mit der Widerlegung der Vermutung entstehen. Zum Abschluss wies Berlit auf die große Bedeutung des Migrationsfolgenrechts (Integrationsverwaltung und Rückführung) hin.

Die anschließenden Fragen bezogen sich zum Teil nicht unmittelbar auf das Referat, aber nicht minder spannend auf die „Rechtmäßigkeit der Grenzöffnung“, die „Rechtmäßigkeit einer Obergrenze“ und die künftige Bedeutung des Art. 16a GG. Die Einführung einer Obergrenze erachtete Berlit durch die vorher notwendige Beseitigung verfassungs- und europarechtlicher Garantien als ein ambitioniertes Vorhaben.

3. Themenblock: Schul- und Prüfungsrecht

Im Co-Referat zum Schul- und Prüfungsrecht wechselten sich Edgar Fischer, Vorsitzender Richter in der für das Prüfungsrecht zuständigen Kammer des VG Berlin, und Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Birnbaum unter der Moderation von Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Kirchberg in ausgewählten Bereichen des Prüfungsrechts ab.

Fischer übernahm zunächst die interessante Fragestellung, ob eine prüfungsrechtliche Leistungsbewertung ein Verwaltungsakt ist und leitete aus der bisherigen Rechtsprechung des BVerwG zu Diplomprüfungen (insbesondere Urt. v. 23.05.2012 – BVerwG 6 C 8.11 und Beschl. v. 25.03.2003 – BVerwG 6 B 8.03) ab, dass eine bessere Note auch im Bachelor- oder Masterstudium mangels Verwaltungsaktsqualität (anders bei der Regelung des Nichtbestehens) wohl nicht erstritten werden könne. Der Prüfling ist dann auf die Anfechtung des Abschlusszeugnisses angewiesen. Dadurch komme dem sog. Überdenkungsverfahren als verfassungsrechtlich gebotener Möglichkeit, den Bewertungsspielraum des Prüfers zu hinterfragen, eine besondere Bedeutung zu. Bei den Ausführungen zum Nachteilsausgleich stießen, wie dann auch die Nachfragen in der anschließenden Diskussion zeigten, die Ausführungen zur Prüfungszeitverlängerung bei Legasthenie (Urt. v. 29.07.2015 – BVerwG 6 C 35.14) auf großes Interesse der Zuhörerschaft.

Birnbaum nahm sich der Anerkennung von Prüfungsleistungen und der Rechtsfragen im Zusammenhang mit Täuschungen an. Er ging hierbei vor allem auf den, wie er es bezeichnete, „Hammer“ des BVerwG (Beschl. v. 22.06.2016 – BVerwG 6 B 21.16) ein, mit dem letztlich jeder Anerkennungsantrag abgelehnt werden könne. Zur Erheiterung trugen seine zahlreichen Beispiele aus der Rechtsprechung zur Täuschungspraxis der Studenten und Doktoranden bei.

4. Themenblock: Planungs- und Baurecht

Moderator Rechtsanwalt Prof. Dr. Bernhard Stüer kündigte es als Höhepunkt der Veranstaltung an und Prof. Dr. Rüdiger Rubel (Vorsitzender des 4. Senats am BVerwG) wurde einmal mehr seinem Ruf als hervorragender Experte mit Entertainertalent gerecht. In seinem Vortrag „Aktuelle Probleme bei der Planfeststellung von Höchstspannungsleitungen“ machte er deutlich, dass die Planfeststellung von Elektrizitätsleitungen sich zum „enfant terrible“ des Fachplanungsrechts entwickle. Die Rechtsfragen des jungen Rechtsgebiets könnten aber mit aus anderen Infrastrukturbereichen gewohnter Dogmatik gelöst werden. Als spezielle Problematik der Höchstspannungsleitungen machte Rubel aber den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen (elektromagnetische Felder und Koronageräusche) und die umwelt- und naturschutzrechtliche Ermittlung der Mortabilitätsrate von Vögeln aus. Nach der Erörterung interessanter Rechtsschutzfragen verwies der Referent auf „neue gesetzliche Phänomene“, z.B. den Erdkabelvorrang in §§ 2 Abs. 5, 3 Abs. 1 BBPlG oder das Gebot der  Geradlinigkeit von Erdkabeltrassen in § 5 Abs. 2 NABEG und kündigte für das 1. Halbjahr 2017 einige Entscheidungen seines Senats zu 380 kV-Höchstspannungsfreileitungen an.

Die anschließenden Fragen drehten sich um die Kontrolldichte der sog. Uckermark-Entscheidung des BVerwG (Urt. v. 21.01.2016 – BVerwG 4 A 5.14) und die prozessuale Stellung der Naturschutzverbände im Gegensatz zur Stellung der eigentlich Betroffenen.

Im baurechtlichen Teil kümmerte sich Rechtsanwältin Dr. Sigrid Wienhues unter „Die Mischung macht’s – Rechtliche Aspekte einer gewünschten Durchmischung städtischer Quartiere“ um die geplante Änderung der BauNVO durch Einführung einer neuen Gebietsart (§ 6a „Urbane Gebiete“). Die bestehenden Rechtsgrundlagen seien, mit wenigen Ausnahmen, durch den Trennungsgrundsatz auf ein „Mischen impossible“ ausgerichtet. Insbesondere in Mischgebieten verlange das BVerwG in qualitativer und quantitativer Hinsicht ein ausgewogenes Mischungsverhältnis zwischen Wohnen und gewerblicher Nutzung. Neue gesellschaftliche Trends erforderten aber eine größere Flexibilität. Erste Reaktionen habe der Gesetzgeber schon bei den Neuregelungen zur Flüchtlingsunterbringung in § 246 BauGB gezeigt und nun mit der geplanten Städtebaunovelle 2017 durch die Kreation des neuen Gebietstyps „Urbane Gebiete“.

5. Themenblock: Beamtenrecht

„Aktuelle Probleme aus der Rechtsprechung zum Dienstrecht“ erläuterte im letzten Teil der Veranstaltung der Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Markus Kenntner. Er zeigte auf, dass sich der Gesetzgeber beim beamtenrechtlichen Auswahlverfahren sehr zurückhalte und insbesondere die Gestaltung des Auswahlverfahrens und die Auswahlkriterien in das Ermessen des Dienstherrn stelle. Dies vorausgeschickt stellte Kenntner zahlreiche neue Entscheidungen des BVerwG zur Organisationsgewalt des Dienstherrn und zum Konkurrentenstreitverfahren vor. Auf besondere Aufmerksamkeit des Fachpublikums stieß hierbei – auch durch den einleitenden Hinweis („Paukenschlag“) von Moderator Prof. Dr. Jan Bergmann (Vorsitzender Richter am VGH Baden-Württemberg) – der Beschluss des BVerwG vom 10.05.2016 (BVerwG 2 VR 2.15). Das Gericht hatte in dieser Entscheidung den Grundsatz, wonach ein höherwertiger Dienstposten während eines gerichtlichen Eilrechtsschutzverfahrens nicht vorläufig besetzt werden dürfe, aufgegeben.

Rechtsanwalt Dr. Christian-Dietrich Bracher ging in seinem Vortrag „Beamtenrechtliche Probleme aus anwaltlicher Sicht – Einzelne aktuelle Fragen des Auswahlverfahrens und der dienstlichen Beurteilungen“ selbstverständlich auch auf diese neueste Rechtsprechung aus Leipzig ein. Er begrüßte diese ausdrücklich, weil die Blockade der Stellenbesetzung durch langwierige Verfahren beendet werde. Bracher legte den Blick auch auf weitere umstrittene Entscheidungen aus der letzten Zeit, z.B. den Beschluss des BVerwG vom 20.06.2013 (BVerwG 2 VR 1.13), der eine Entkoppelung der Dienstpostenvergabe von der Vergabe des Statusamts fordere. Er fragte, warum man z.B. bei der Suche nach einem Personalchef bei der Auswahl die Personalerfahrung nicht berücksichtigen sollte. Zudem verwies Bracher auf neueste Entscheidungen des höchsten Verwaltungsgerichts zur dienstlichen Beurteilung der Beamten, die vor allem auf Dienstherrenseite auf Unverständnis gestoßen seien (z.B. Angabe eines Gesamturteils in der Beurteilung, Urt. v. 17.09.2015 – BVerwG 2 C 27.14).

Vor allem die von der neuesten Rechtsprechung selbst tangierten Teilnehmer beteiligten sich durch zahlreiche Beiträge an der anschließenden Diskussion.

6. Fazit

Die Veranstaltung zeichnete sich – wie jedes Jahr – durch die Aktualität der Themen und die Auswahl hervorragender Referenten aus. Besonders zum Gelingen der kurzweiligen und informativen Veranstaltung trug auch die Kombination der Themenblöcke mit je einem Referenten aus der Anwaltschaft und der Verwaltungsgerichtsbarkeit bei. Für alle Teilnehmer erfreulich ist die Verschriftlichung der Tagungsbeiträge in einer gebundenen Ausgabe. Speziell für die Fachanwälte für Verwaltungsrecht erfreulich ist, dass durch das „Fortbildungsplus“ am Vortag der Arbeitstagung (dieses Jahr zum vorläufigen Rechtsschutz nach der VwGO aus anwaltlicher und richterlicher Sicht) die Möglichkeit besteht, die gesamte nach der FAO notwendige Jahresfortbildung in Leipzig zu absolvieren.

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Net-Dokument: BayRVR2017020701 (über die ohne Leerzeichen einzugebende Net-Dokumenten-Nummer ist der Beitrag über die BayRVR-interne Suche und i.d.R. auch über Google jederzeit eindeutig identifizierbar und direkt aufrufbar)

Anmerkung der Redaktion

Prof. Dr. Fritz Böckh ist Professor für Recht an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München (Abteilung Benediktbeuern), Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Vor seiner juristischen Ausbildung studierte er an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Rechtspflege in Hof und war anschließend mehrere Jahre als Diplom-Verwaltungswirt (FH) in einem bayerischen Landratsamt tätig.