Dabei handelt es sich nämlich nicht um eine Maßnahme eines Organs der Europäischen Union
Am 18.03.2016 wurde auf der gemeinsamen Website des Europäischen Rates und des Rates der Europäischen Union eine Erklärung in Form einer Pressemitteilung[1] veröffentlicht, in der dargelegt wird, in welcher Weise die Mitgliedstaaten der Union und die Türkei die gegenwärtige Migrationskrise bewältigen und die Schleusertätigkeit zwischen der Türkei und Griechenland bekämpfen wollen („Erklärung EU-Türkei“). Die wesentlichen Punkte dieser Erklärung lauten:
- Alle neuen irregulären Migranten, die ab dem 20.03.2016 von der Türkei auf die griechischen Inseln gelangen, werden in die Türkei zurückgeführt.
- Migranten, die auf den griechischen Inseln ankommen, werden ordnungsgemäß registriert, und alle Asylanträge werden von den griechischen Behörden gemäß der Asylverfahrensrichtlinie[2] auf Einzelfallbasis bearbeitet.
- Migranten, die kein Asyl beantragen oder deren Asylantrag als unbegründet oder unzulässig abgelehnt wird, werden in die Türkei zurückgeführt.
- Für jeden von den griechischen Inseln in die Türkei zurückgeführten Syrer wird ein anderer Syrer aus der Türkei in der Union neu angesiedelt.
Zwei pakistanische Staatsangehörige und ein afghanischer Staatsangehöriger hatten sich aus der Türkei nach Griechenland begeben und dort Asylanträge gestellt. In ihren Anträgen legten sie dar, dass sie im Fall der Rückkehr in ihr jeweiliges Herkunftsland aus verschiedenen Gründen der Gefahr der Verfolgung ausgesetzt seien. Angesichts dessen, dass bei einer Ablehnung ihrer Asylanträge nach der „Erklärung EU-Türkei“ die Möglichkeit einer Rückführung in die Türkei besteht, beschlossen sie, beim EuG Klagen zu erheben, mit denen die Rechtmäßigkeit der „Erklärung EU-Türkei“ in Frage gestellt wird. Ihrer Ansicht nach stellt diese Erklärung eine internationale Übereinkunft dar, die der Europäische Rat als ein im Namen der Union handelndes Organ mit der Republik Türkei abgeschlossen habe. Die Übereinkunft verstoße aber u.a. gegen die Regeln des AEU-Vertrags über den Abschluss internationaler Übereinkünfte durch die Union. Der Europäische Rat erhob daraufhin eine Einrede gemäß Art. 130 der Verfahrensordnung des Gerichts, mit der er geltend macht, dass das Gericht nicht für die Entscheidung über die Klagen zuständig sei.
In seinen heutigen Beschlüssen erklärt sich das Gericht für unzuständig, gemäß Art. 263 AEUV über die Klagen zu entscheiden, und weist diese daher ab.
In seinen Beschlüssen stellt das Gericht zunächst fest, dass die Pressemitteilung vom 18.03.2016 Ungenauigkeiten in Bezug auf die Urheber der „Erklärung EU-Türkei“ enthält, da es darin heißt, dass die Union (und nicht deren Mitgliedstaaten) die in der Erklärung genannten zusätzlichen Maßnahmen beschlossen habe und dass bei dem Treffen vom 18.03.2016, auf das sich die Pressemitteilung bezieht, die „Mitglieder des Europäischen Rates“ mit ihrem türkischen Amtskollegen zusammengekommen seien.
Wie aus den vom Europäischen Rat vorgelegten Belegen in Bezug auf die Treffen, die in den Jahren 2015 und 2016 zwischen den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten und ihrem türkischen Amtskollegen zur Migrationskrise stattfanden, hervorgeht, wurden die Verhandlungen mit der Türkei auf diesem Gebiet aber nicht von der Union, sondern von deren Mitgliedstaaten als völkerrechtliche Akteure geführt, und zwar auch am 18.03.2016.
Insoweit bestätigen mehrere vom Europäischen Rat vorgelegte offizielle Dokumente, dass am 17. und 18.03.2016 am Sitz dieses Organs in Brüssel parallel zwei verschiedene Veranstaltungen in Anwesenheit von Vertretern der Mitgliedstaaten der Union auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs stattfanden. Diese beiden Veranstaltungen waren in juristischer, protokollarischer und organisatorischer Hinsicht voneinander getrennt. Zum einen fand am 17.03.2016 eine Sitzung des Europäischen Rates als Unionsorgan statt, an der die Vertreter der Mitgliedstaaten in ihrer Eigenschaft als Mitglieder dieses Organs teilnahmen. Zum anderen wurde am Tag darauf ein internationales Gipfeltreffen in Anwesenheit des Ministerpräsidenten der Republik Türkei und derselben Vertreter der Mitgliedstaaten abgehalten, die dabei in ihrer Eigenschaft als Staats- und Regierungschefs auftraten.
In der letztgenannten Eigenschaft sprachen die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten am 18.03.2016 mit ihrem türkischen Amtskollegen über die Migrationskrise und nahmen die „Erklärung EU-Türkei“ an, deren wesentliche Punkte in der Pressemitteilung vom selben Tag zusammengefasst wurden.
Das Gericht kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass weder der Europäische Rat noch ein anderes Unionsorgan beschlossen hat, eine Übereinkunft mit der türkischen Regierung zur Migrationskrise abzuschließen. Da keine Handlung eines Unionsorgans vorliegt, deren Rechtmäßigkeit das Gericht gemäß Art. 263 AEUV prüfen könnte, erklärt es sich für unzuständig, über die Klagen der drei Asylbewerber zu entscheiden.
Ergänzend äußert sich das Gericht zu der Formulierung in der „Erklärung EU-Türkei“, „die EU und die Türkei“ hätten „zusätzliche Maßnahmen vereinbart“. Es führt aus, selbst wenn bei dem Treffen vom 18.03.2016 informell eine internationale Übereinkunft geschlossen worden sein sollte – was im vorliegenden Fall vom Europäischen Rat, vom Rat der Europäischen Union und von der Europäischen Kommission bestritten wird –, würde es sich dabei um eine von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Union und dem türkischen Ministerpräsidenten geschlossene Übereinkunft handeln. Im Rahmen einer Klage nach Art. 263 AEUV ist das Gericht aber nicht befugt, über die Rechtmäßigkeit einer von den Mitgliedstaaten geschlossenen internationalen Übereinkunft zu entscheiden.
EuG, Pressemitteilung v. 28.02.2017 zu den Beschl. v. 28.02.2017 – T-192/16, T-193/16 und T-257/16 (NF, NG und NM / Europäischer Rat)
[1] Pressemitteilung Nr. 144/16.
[2] Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 60-95).