Meinungsverschiedenheit zur Frage, ob § 1 Nrn. 1 und 2 sowie § 2 Nrn. 1, 3 und 4 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über kommunale Wahlbeamte und Wahlbeamtinnen, des Bayerischen Abgeordnetengesetzes und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Staatsregierung vom 24. April 2017 (GVBl S. 81) die Bayerische Verfassung verletzen
I. Sachverhalt
Dem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob Änderungen im Gesetz über kommunale Wahlbeamte und Wahlbeamtinnen und im Bayerischen Abgeordnetengesetz, die die finanzielle Absicherung ausgeschiedener Abgeordneter des Bayerischen Landtags betreffen, gegen die Bayerische Verfassung verstoßen. Diese Gesetzesänderungen haben zur Folge, dass die Zeiten als Abgeordneter und als berufsmäßiger kommunaler Wahlbeamter (umfasst sind damit auch jeweils die weiblichen Bezeichnungen) zusammengerechnet werden können; ein Versorgungsanspruch ergibt sich, wenn insgesamt zehn Jahre erreicht sind.
Die Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN macht als Antragstellerin in einer Meinungsverschiedenheit gegenüber der CSU-Landtagsfraktion als Antragsgegnerin geltend, die angegriffenen Regelungen verstießen aus den bereits im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens angesprochenen Gründen gegen die Bayerische Verfassung (BV). Die neu geschaffene Anrechnungsmöglichkeit verletze in mehrfacher Hinsicht den formalisierten Gleichheitsgrundsatz, der bei allen Entschädigungsleistungen an Abgeordnete, so auch bei der Altersversorgung, zu beachten sei. Diejenigen Abgeordneten, die in ihrer beruflichen Karriere zwischen Abgeordnetentätigkeit und kommunalem Wahlamt wechselten, würden gegenüber den Abgeordneten bessergestellt, die vor Ablauf der Zehnjahresfrist in eine andere berufliche Tätigkeit wechselten oder keine solche mehr aufnähmen. Je nachdem, welches Wahlamt zuletzt ausgeübt werde, ergäben sich auch erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem ein Anspruch auf Altersversorgung entstehe.
II. Entscheidung
Der BayVerfGH hat den Antrag am 30. Juli 2018 abgewiesen:
1. Die angegriffenen Gesetzesänderungen zur Abgeordnetenversorgung sind mit der Bayerischen Verfassung vereinbar. Sie haben zur Folge, dass die Zeiten als Mitglied des Landtags und als berufsmäßiger kommunaler Wahlbeamter zusammengerechnet werden können und ein Versorgungsanspruch besteht, wenn insgesamt zehn Jahre erreicht sind.
2. Aus Art. 13 Abs. 2 BV ist das Prinzip der egalitären Repräsentation abzuleiten. Hieraus ergibt sich, dass alle Mitglieder des Landtags einander formal gleichgestellt sind; allen Abgeordneten steht grundsätzlich eine gleich hoch bemessene Entschädigung sowie Versorgung zu.
3. Die Grundentscheidung des Gesetzgebers, die Tätigkeiten eines Landtagsabgeordneten und eines Beamten auf Zeit im kommunalen Wahlbeamtenverhältnis im Hinblick auf den Erwerb eines (Mindest-)Versorgungsanspruchs als Einheit zu betrachten, ist nicht als sachwidrig zu beanstanden.
4. Es handelt sich lediglich um eine Fortentwicklung und punktuelle Ergänzung des bestehenden Systems der Abgeordnetenversorgung, das bereits derzeit keine absolute Gleichbehandlung aller ehemaligen Mitglieder des Landtags in versorgungsrechtlicher Hinsicht vorsieht. Ein Systembruch oder -wechsel ist nicht ansatzweise erkennbar.
5. Dass der Gesetzgeber die Randunschärfe einer gesetzlichen Regelung modifiziert, gehört auch im Geltungsbereich des formalisierten Gleichheitssatzes typischerweise zu seinem Gestaltungsermessen.
Zu der Entscheidung im Einzelnen
1. Der wesentliche Regelungsgehalt der von der Antragstellerin beanstandeten Vorschriften besteht darin, dass die Zeiten als Abgeordneter und als berufsmäßiger kommunaler Wahlbeamter – sofern nicht bereits aufgrund einer der Tätigkeiten eine Versorgung in Betracht kommt – zusammengerechnet werden können und sich ein Versorgungsanspruch bzw. eine Anwartschaft ergibt, wenn insgesamt zehn Jahre erreicht sind. Für die Beurteilung des Anspruchs im Einzelnen ist das Recht der Tätigkeit maßgeblich, die zuletzt ausgeübt wurde.
a) War jemand zunächst in einem kommunalen Wahlbeamtenverhältnis und später als Landtagsabgeordneter tätig, kann die Zeit als kommunaler Wahlbeamter auf Antrag als Zeit der Mitgliedschaft im Landtag angerechnet werden (Art. 14 a Satz 1 des Bayerischen Abgeordnetengesetzes – BayAbgG). Die Höhe des Anspruchs auf Altersentschädigung nach dem Abgeordnetenrecht ist in einem solchen Fall gemäß Art. 14 a Satz 2 BayAbgG gedeckelt. Es wird Altersentschädigung in Höhe der nach zehn Jahren vorgesehenen Mindestentschädigung von 33,5 v. H. gezahlt (Art. 13 Satz 1 BayAbgG), und zwar auch dann, wenn die Addition der Zeiten beider Tätigkeiten mehr als zehn Jahre ergibt. Es gelten die Altersgrenzen des Abgeordnetenrechts mit der Folge, dass ein Anspruch auf Altersentschädigung grundsätzlich mit Vollendung des 67. Lebensjahrs entsteht.
b) Im umgekehrten Fall, wenn also jemand zuerst Parlamentsmitglied und später kommunaler Wahlbeamter war, werden auf die Wartezeit von zehn Jahren, die nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes über kommunale Wahlbeamte und Wahlbeamtinnen (KWBG) Voraussetzung für den Eintritt in den Ruhestand ist, Zeiten als Mitglied des Landtags angerechnet (Art. 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 KWBG). Da im KWBG keine Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand vorgesehen ist, können Versorgungsansprüche unmittelbar im Anschluss an den Ablauf der Amtszeit gegeben sein. Eine Versorgung kann daher in einem jüngeren Lebensalter erreicht werden, als dies der Fall ist, wenn zuletzt die Tätigkeit als Mitglied des Landtags ausgeübt wird. Regelmäßig ergibt sich ein Versorgungsanspruch in Höhe des Mindestsatzes von 35 v. H.
2. Die angegriffenen Regelungen halten sich im Rahmen des dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsspielraums; der formalisierte Gleichheitsgrundsatz (Art. 13 Abs. 2 i. V. m. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV) ist nicht verletzt.
a) Eine unzulässige Gleichbehandlung unterschiedlicher Sachverhalte ist nicht gegeben. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Ausübung der politischen Ämter eines Mitglieds des Landtags und eines Beamten auf Zeit im kommunalen Wahlbeamtenverhältnis für den Erwerb eines (Mindest-)Versorgungsanspruchs als Einheit zu behandeln, kann sich auf sachbezogene Überlegungen stützen. Trotz der statusrechtlichen Unterschiede sowie der Zuordnung der Parlamentsabgeordneten zur Legislative einerseits und der kommunalen Wahlbeamten zur Exekutive andererseits gibt es Ähnlichkeiten; insbesondere setzen beide Tätigkeiten eine Wahl voraus.
b) Ebenso wenig ergeben sich aus den angegriffenen Vorschriften unzulässige Differenzierungen im Hinblick auf verschiedene Gruppen von Abgeordneten.
aa) Dass aufgrund der bisherigen Rechtslage auch ohne die angegriffenen Regelungen Mechanismen bereitstehen, die – wie eine Versorgungsabfindung oder eine Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung – zumindest eine Grundversorgung ermöglichen, hindert den Gesetzgeber nicht, Gesetzesänderungen vorzunehmen.
bb) Zwar führen die angegriffenen Änderungen dazu, dass Abgeordnete, die zwischen den Tätigkeiten als Landtagsabgeordneter und als kommunaler Wahlbeamter wechseln, ein Anrecht auf eine bessere Altersversorgung erwerben, als dies beispielsweise bei einem Wechsel in die Privatwirtschaft der Fall ist. Die beanstandeten Vorschriften stellen jedoch lediglich eine Fortentwicklung und punktuelle Ergänzung des bestehenden Systems der Abgeordnetenversorgung dar, das bereits derzeit keine absolute Gleichbehandlung aller ehemaligen Mitglieder des Landtags in versorgungsrechtlicher Hinsicht vorsieht. Die Änderungen betreffen zudem nur eine geringe Anzahl von Begünstigten, wobei sich die zu erlangende Versorgung jeweils auf einen Anspruch in Höhe des Mindestbetrags beschränkt. Ein Systembruch oder -wechsel bei der Abgeordnetenversorgung ist daher nicht ansatzweise erkennbar. Dass der Gesetzgeber die Randunschärfe einer gesetzlichen Regelung modifiziert, gehört auch im Geltungsbereich des formalisierten Gleichheitssatzes typischerweise zu seinem Gestaltungsermessen.
cc) Die von der Antragstellerin monierte Ungleichbehandlung im Hinblick auf die Reihenfolge der ausgeübten Wahlämter führt ebenfalls nicht zum Erfolg des Antrags. Dies ist Folge der unterschiedlich ausgestalteten Versorgungssysteme der Abgeordneten einerseits sowie der kommunalen Wahlbeamten andererseits, deren Strukturen als solche nicht Gegenstand der Meinungsverschiedenheit sind.
Pressemitteilung des BayVerfGH v. 01.08.2018 zur Entsch. v. 30.07.2018 – Vf. 11-VIII-17