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BayVerfGH: Verordnung der Stadt Passau über die Sperrung der Marienbrücke an Silvester

I. Gegenstand des Popularklageverfahrens ist das in der Verordnung geregelte, mit Bußgeld bewehrte Verbot, die Marienbrücke in Passau im Zeitraum vom 31. Dezember ab 23.00 Uhr bis 1. Januar um 1.00 Uhr zu betreten oder mit Fahrrädern zu befahren.

II.

1. Die Antragsteller sind der Auffassung, die Sperrung der Marienbrücke an Silvester schränke die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) verfassungswidrig ein und verstoße gegen das Willkürverbot (Art. 118 Abs. 1 BV). Das Betretungsverbot und dessen Bewehrung als Ordnungswidrigkeit hinderten sie daran, den Jahreswechsel auf der Brücke zu begehen. Das kurzfristige Betreten der Brücke und auch der damit einhergehende etwaige Alkoholkonsum sowie das Abbrennen von Feuerwerk im Rahmen einer traditionellen Veranstaltung unterlägen als jedenfalls gewohnheitsrechtliche Prägung dem Gemeingebrauch. Die angegriffene Verordnung bewirke im Verhältnis zu anderen Flusszugängen und Brücken eine Ungleichbehandlung. Die von der Stadt zur Begründung der Verordnung angeführten Vermutungen und Möglichkeiten entbehrten jeder tatsächlichen Grundlage. Die Verordnung sei weder erforderlich noch angemessen.

2. Nach Auffassung der Stadt Passau ist von einer Gefährdung der auf der Brücke Feiernden auszugehen. Aus der Menge heraus würden Feuerwerkskörper gezündet oder es werde sogar auf Menschen gezielt, wobei die Hemmschwelle durch den Alkoholkonsum sinke. Im Fall einer Massenpanik seien die Reaktionen unvorhersehbar; insbesondere könne es zu Stürzen ins Wasser kommen. Dass noch keine Unfälle passiert seien, sei als glücklicher Umstand anzusehen. Das mehrstündige Abschneiden des Stadtteils Innstadt begründe im Hinblick auf die rettungsdienstliche und notärztliche Versorgung eine Gefahr für Gesundheit und Leben der Bewohner. Maßnahmen wie Zugangskontrollen und ein Verbot von Feuerwerkskörpern könnten nur einen Teil der Gefahren beseitigen. Dem deutlichen Sicherheitsgewinn sowie der Ermöglichung des Verkehrs auf der Brücke durch die Verordnung stehe eine wenig gravierende Einschränkung der Handlungsfreiheit gegenüber, zumal die Antragsteller eine nicht erlaubte Sondernutzung anstrebten. Es bestünden keine Anhaltspunkte für vergleichbare Menschenansammlungen in anderen Teilen der Stadt.

III.

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat am 29. Oktober 2018 entschieden, dass die Popularklage unbegründet ist. § 1 Nr. 1 und § 2 der Verordnung der Stadt Passau über die Sperrung der Marienbrücke an Silvester sind mit der Bayerischen Verfassung vereinbar.

1. Die angegriffenen Regelungen halten sich im Rahmen der Ermächtigungsnorm des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 LStVG; es ist daher auch kein Verstoß gegen die Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) gegeben.

Die Stadt Passau ist bei Erlass der Rechtsverordnung aufgrund sachgerechter Erwägungen davon ausgegangen, dass bei den unorganisierten Silvesterfeierlichkeiten auf der Marienbrücke kein bloßer Gefahrenverdacht, sondern eine abstrakte Gefahr für Leben und Gesundheit der Teilnehmer, aber auch der Bewohner des Stadtteils Innstadt gegeben ist.

Schon vor der erstmaligen Sperrung der Brücke zum Jahreswechsel 2016/2017 hatten sich die Verantwortlichen mehrfach mit der Problematik befasst und zunächst keine Sperrung der Brücke für notwendig gehalten. Im Jahr 2013 wurde ein Sicherheitskonzept der Stadt für die Silvesterfeier unter Mitwirkung von Polizei, Rettungsdienst, Feuerwehr und Deutscher Lebensrettungsgesellschaft erstellt. Es ist von der Einschätzungs- und Beurteilungsprärogative der Stadt gedeckt, wenn sie zu dem Schluss gekommen ist, dass dieses Sicherheitskonzept nicht ausreicht, um den angestrebten Schutz der Teilnehmer an den Feierlichkeiten auf der Brücke und der Bewohner der Innstadt auf Dauer wirksam zu gewährleisten. Durch eine Absperrung der Brücke mit Zugangskontrollen, um die Zahl der Feiernden auf der Brücke notfalls zu begrenzen, erkennbar alkoholisierte Personen vom Betreten auszuschließen und das Mitbringen von Feuerwerkskörpern zu verhindern, könnte allenfalls die Zahl der Menschen auf der Brücke zuverlässig reguliert werden. Für eine Durchsuchung mitgebrachter Taschen und eine Kontrolle jeder Person auf Alkoholisierung wäre ein unverhältnismäßiger Aufwand erforderlich, der zudem zeitliche Verzögerungen zur Folge hätte und dazu führen könnte, dass sich Menschenansammlungen an den Enden der Brücke bilden oder Feiern dann in diesem Bereich stattfinden. Letztlich liegt es auch in der Einschätzung der Sicherheitsbehörden, ob sie Verzögerungen bei Rettungs-, Feuerwehr- und Polizeieinsätzen in Kauf nehmen wollen; die Entscheidung, dies im Gegensatz zu den Vorjahren nicht mehr zu tun, ist jedenfalls nicht willkürlich. Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, seine eigene Einschätzung an die Stelle derjenigen der zur Beurteilung zuständigen Stellen zu setzen.

Angesichts zahlreicher weiterer Möglichkeiten, den Jahreswechsel im Stadtgebiet zu feiern, handelt es sich bei der Sperrung der Marienbrücke für Silvesterfeiern um eine geringfügige Einschränkung, der der Schutz gleichwertiger Interessen (Bewegungs- und Handlungsfreiheit der Bewohner der Innstadt) und höher zu bewertender Rechtsgüter (Leben und Gesundheit) gegenübersteht. Die zugunsten einer Sperrung anzuführenden Argumente überwiegen die dagegen sprechenden Gesichtspunkte, zumal die Nutzung der Brücke zum Feiern des Jahreswechsels zumindest teilweise ihrer Widmung als öffentliche Straße widerspricht.

2. Die angegriffenen Regelungen verstoßen nicht gegen den Gleichheitssatz (Art. 118 Abs. 1 BV). Zwar betreffen sie nur die Marienbrücke, nicht aber andere Brücken in der Stadt Passau; für diese Unterscheidung gibt es jedoch sachliche Gründe. Die Gefahr, dass Personen während der Feiern in der Menge zu Schaden kommen, und die Einschränkungen bei der Erreichbarkeit eines ganzen Stadtteils sind nach der nachvollziehbaren Einschätzung der Stadt nur bei der Marienbrücke gegeben. Der von den Antragstellern angesprochene Innsteg (sog. Fünferlsteg) ist eine reine Fußgängerbrücke, sodass sich die Frage einer Überquerung mit Kraftfahrzeugen nicht stellt; der Steg bietet auch erheblich weniger Menschen Platz und besitzt ein anders gestaltetes Geländer. Bei dem von den Antragstellern ebenfalls angeführten Fest auf einer anderen Brücke handelt es sich um eine organisierte Veranstaltung; schon deshalb fehlt es an einer Vergleichbarkeit.

Pressemitteilung des BayVerfGH v. 31.10.2018 zur Entsch. v. 29.10.2018 – Vf. 21-VII-17