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BayVerfGH: Verbot für Richter, Staatsanwälte und Landesanwälte, in Verhandlungen religiös oder weltanschaulich geprägte Symbole oder Kleidungsstücke zu tragen

I. Gegenstand des Popularklageverfahrens ist eine Regelung, wonach Richter und Richterinnen, Staatsanwälte und Staatsanwältinnen sowie Landesanwälte und Landesanwältinnen in Verhandlungen sowie bei allen Amtshandlungen mit Außenkontakt keine sichtbaren religiös oder weltanschaulich geprägten Symbole oder Kleidungsstücke tragen dürfen, die Zweifel an ihrer Unabhängigkeit, Neutralität oder ausschließlichen Bindung an Recht und Gesetz hervorrufen können.

II.

1. Die Antragsteller, eine islamische Religionsgemeinschaft und deren Präsident, rügen Verstöße gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie gegen den Gleichheitssatz. Die Regelung sei mit dem Ziel geschaffen worden, Richterinnen mit Kopftuch von den Verhandlungen auszuschließen. Jedoch werde weiterhin das Kreuz in den Verhandlungsräumen erlaubt. Ein Gesetz allein für eine bestimmte Religionsgruppe zu schaffen, verstoße gegen die Grundsätze der Bayerischen Verfassung.

2. Der Bayerische Landtag und die Bayerische Staatsregierung halten die Popularklage für unbegründet.

III.

Der BayVerfGH hat die Popularklage am 14. März 2019 abgewiesen.

1. Art. 11 Abs. 2 BayRiStAG, der Richtern und Richterinnen, Staatsanwälten und Staatsanwältinnen sowie Landesanwälten und Landesanwältinnen unter bestimmten Voraussetzungen das Tragen religiös oder weltanschaulich geprägter Symbole oder Kleidungsstücke in Verhandlungen sowie bei Amtshandlungen mit Außenkontakt verbietet, ist mit der Bayerischen Verfassung vereinbar.

2. Das Verbot greift in die durch Art. 107 Abs. 1 und 2 BV verbürgte Glaubens- und Gewissensfreiheit der betroffenen Amtsträger ein. Im Widerstreit hierzu stehen die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Prozessbeteiligten und die Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität im Bereich der Justiz. Bei der Abwägung der kollidierenden Verfassungsgüter durfte der Gesetzgeber insbesondere berücksichtigen, dass die Person des Amtsträgers bei der Ausübung der übertragenen Funktion tendenziell hinter dem Amt zurücktritt.

Zu der Entscheidung im Einzelnen

1. Art. 11 Abs. 2 BayRiStAG verstößt nicht gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 107 Abs. 1 und 2 BV).

a) Das Grundrecht der Amtsträger auf freie Bekundung ihres Glaubens steht im Widerstreit zur negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Prozessbeteiligten. Hieraus ergibt sich zwar grundsätzlich kein Anspruch darauf, fremde Glaubensbekundungen oder Symbole zu unterbinden oder durch den Staat vor der Konfrontation mit fremden Glaubensbezeugungen geschützt zu werden. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Einzelne durch eine vom Staat geschaffene Lage ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens oder seiner Symbole ausgesetzt wird. Für die Prozessbeteiligten stellt es eine unausweichliche Situation in diesem Sinn dar, wenn sie dem Zwang ausgesetzt werden, an einer Gerichtsverhandlung teilzunehmen, an der staatliche Repräsentanten mitwirken, die ein religiöses oder weltanschauliches Bekenntnis nach außen kundtun. Bei der Tätigkeit in der Gerichtsverhandlung oder bei sonstigen gerichtlichen Amtshandlungen mit Außenwirkung tritt die Wahrnehmung der staatlichen Funktion in den Vordergrund. Daher kann das Tragen religiös konnotierter Kleidung oder Symbole auch nicht dem Bereich der privaten Selbstdarstellung des Amtsträgers zugeordnet werden.

b) Das Grundrecht der Amtsträger auf freie Bekundung ihres Glaubens steht ferner im Widerstreit zur Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität, die in besonderer Weise für den Bereich der Justiz gilt. Der Staat muss gewährleisten, dass die Gerichte mit Richtern besetzt sind, die unabhängig und unparteilich sind und die Gewähr von Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bieten. Im Gegensatz dazu steht das Tragen religiös oder weltanschaulich konnotierter Kleidungsstücke oder Symbole. Da es grundsätzlich geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des jeweiligen Amtsträgers zu begründen, wird das verfassungsrechtliche Gebot der Neutralität der Gerichte beeinträchtigt.

c) Der Gesetzgeber hat im Fall des Aufeinandertreffens widerstreitender Verfassungsgüter einen möglichst schonenden Ausgleich zwischen den kollidierenden verfassungsrechtlich geschützten Werten zu schaffen. Hier hat er bei seiner Abwägung die institutionelle Neutralität der Justiz in Übereinstimmung mit der verfassungsrechtlichen Wertordnung als besonders schützenswertes Gut angesehen. Auf der anderen Seite durfte er berücksichtigen, dass die Person des Amtsträgers bei der Ausübung der ihm übertragenen Funktion tendenziell hinter seinem Amt zurücktritt und bei der privaten Selbstdarstellung im Rahmen der Amtstätigkeit das Gebot der Mäßigung gilt. Dementsprechend ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber den Verfassungsgütern, die mit dem Verbot geschützt werden, größeres Gewicht beigemessen hat als der mit der angegriffenen Regelung verbundenen Beeinträchtigung des Grundrechts der Amtsträger auf freie Bekundung ihres Glaubens.

2. Der Gleichheitssatz des Art. 118 Abs. 1 BV ist nicht verletzt.

Der Popularklage ist nicht zu entnehmen, woraus die Antragsteller einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz herleiten wollen. Sie zeigt insbesondere nicht auf, dass das angegriffene Verbot zwischen einzelnen Religionen oder Weltanschauungen unterscheiden würde. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz kann nicht damit begründet werden, Kreuze seien in Verhandlungsräumen weiterhin erlaubt. Die Ausstattung von Verhandlungsräumen betrifft ersichtlich einen anderen Sachverhalt als das Tragen von religiösen oder weltanschaulichen Symbolen durch die betroffenen Amtsträger. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Ausstattung des Verhandlungsraums Angelegenheit der Gerichtsverwaltung und daher nicht geeignet ist, Zweifel an der Unabhängigkeit und Neutralität des einzelnen Amtsträgers hervorzurufen.

3. Gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 118 Abs. 2 Satz 1 BV wird nicht verstoßen.

Die angegriffene Regelung knüpft nicht am biologischen Geschlecht des jeweiligen Amtsträgers an. Es ist auch nicht ersichtlich, dass in erster Linie Frauen beeinträchtigt würden. Art. 11 Abs. 2 BayRiStAG betrifft nicht nur das Tragen eines Kopftuchs aus religiösen Gründen, sondern vielmehr alle religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke oder Symbole, die Zweifel an der Unabhängigkeit, Neutralität oder ausschließlichen Bindung ihrer Trägerin oder ihres Trägers an Recht und Gesetz hervorrufen können. Hiervon umfasst sind auch Kleidungsstücke, die ausschließlich oder vorwiegend von Männern getragen werden, wie etwa die Kippa oder der Dastar. Im Übrigen verfolgt der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise das Ziel, Beeinträchtigungen des verfassungsrechtlichen Gebots der Neutralität der Justiz zu verhindern und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Gerichte zu bewahren. Die angegriffene Regelung hat angesichts dieses Normziels objektiv nichts mit einer Differenzierung aufgrund des Geschlechts zu tun.

Pressemitteilung des BayVerfGH v. 18.03.2019 zur Entsch. v. 14.03.2019 – Vf. 3-VII-18

Redaktionelle Hinweise

Der BayVerfGH hat folgende Leitsätze formuliert:

1. Art. 11 Abs. 2 BayRiStAG, der Richtern und Richterinnen, Staatsanwälten und Staatsanwältinnen sowie Landesanwälten und Landesanwältinnen unter bestimmten Voraussetzungen das Tragen religiös oder weltanschaulich geprägter Symbole oder Kleidungsstücke in Verhandlungen sowie bei Amtshandlungen mit Außenkontakt verbietet, ist mit der Bayerischen Verfassung vereinbar.

2. Das Verbot greift in die durch Art. 107 Abs. 1 und 2 BV verbürgte Glaubens- und Gewissensfreiheit der betroffenen Amtsträger ein. Im Widerstreit hierzu stehen die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Prozessbeteiligten und die Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität im Bereich der Justiz. Bei der Abwägung der kollidierenden Verfassungsgüter durfte der Gesetzgeber insbesondere berücksichtigen, dass die Person des Amtsträgers bei der Ausübung der übertragenen Funktion tendenziell hinter dem Amt zurücktritt.