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EuGH (GA): Klage der Tschechischen Republik gegen die unionsrechtliche Regelung zur Einführung strengerer Vorschriften über den Erwerb und Besitz von Schusswaffen abzuweisen

Nach einer Reihe tragischer Ereignisse im Jahre 2015, zu denen die Terroranschläge in Paris und Kopenhagen gehörten, erließ die Kommission einen Vorschlag zur Änderung der Schusswaffen-Richtlinie der EU[1]. Im Mai 2017 änderten das Europäische Parlament und der Rat die Schusswaffen-Richtlinie durch den Erlass einer Änderungsrichtlinie[2], um strengere Vorschriften für den Erwerb und Besitz von Schusswaffen einzuführen, einschließlich des Verbots bestimmter halbautomatischer Waffen für den zivilen Gebrauch.

Die Tschechische Republik hat beim Gerichtshof die Gültigkeit der Änderungsrichtlinie angefochten. Sie macht geltend, dass die Änderungsrichtlinie nicht darauf abziele, den freien Verkehr von Schusswaffen in ihrer Eigenschaft als nach Art. 114 AEUV[3] im Binnenmarkt gehandelte konkrete Waren zu gewährleisten, sondern vielmehr unter Verstoß gegen die Verträge den Bereich der Verhütung von Straftaten harmonisieren solle. Ferner trägt die Tschechische Republik vor, dass es der Unionsgesetzgeber beim Erlass der Änderungsrichtlinie völlig versäumt habe, auf die Frage der Verhältnismäßigkeit der streitigen Maßnahmen einzugehen, die zudem offenkundig unverhältnismäßig seien. Darüber hinaus verstoße die Änderungsrichtlinie auch gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung.

In ihren heutigen Schlussanträgen weist Generalanwältin Sharpston zunächst darauf hin, dass Art. 114 AEUV zwar eine Rechtsgrundlage für den Erlass von Maßnahmen zur Beseitigung bestehender Hemmnisse für den freien Warenverkehr oder zur Verhinderung des Auftretens neuer Hemmnisse darstelle, doch könne der Rückgriff auf diesen Artikel als Rechtsgrundlage nicht allein deshalb für ungültig erklärt werden, weil andere Angelegenheiten wie beispielsweise die öffentliche Sicherheit ebenfalls durch die erlassenen Maßnahmen berührt würden.

In dieser Hinsicht ist die Generalanwältin der Ansicht, dass die Änderungsrichtlinie ebenso wie die Schusswaffen-Richtlinie auch ein gewisses Maß an Verkehrsfreiheit für einige Schusswaffen und ihre wesentlichen Bauteile innerhalb der EU gewährleisten solle, und hierzu Sicherheitsvorkehrungen speziell für diese Waren vorsehe. Die Generalanwältin betont, dass es wahrscheinlich gewesen sei, dass die Mitgliedstaaten nach den Terroranschlägen in Europa im Jahre 2015 voneinander abweichende nationale Schutzmaßnahmen erlassen würden, die den freien Verkehr von Schusswaffen innerhalb der EU hätten beeinträchtigen können. Deshalb habe der Unionsgesetzgeber handeln müssen, um auf EU-Ebene den mit der Schusswaffen-Richtlinie der EU erzielten Ausgleich zwischen dem freien Warenverkehr und der öffentlichen Sicherheit anzupassen.

Die Generalanwältin vertritt daher die Ansicht, dass die Änderungsrichtlinie tatsächlich und hauptsächlich den freien Verkehr von Schusswaffen gewährleisten solle, und dass sie, obwohl sie den Bereich der Verhütung von Straftaten zweifellos berühre, diesen Bereich inhaltlich nicht harmonisiere. Folglich habe der Unionsgesetzgeber die Änderungsrichtlinie auf der Grundlage von Art. 114 AEUV erlassen dürfen.

Sodann widerspricht die Generalanwältin dem Argument der Tschechischen Republik, dass die Änderungsrichtlinie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße und für nichtig zu erklären sei, weil der Unionsgesetzgeber vor Erlass der Änderungsrichtlinie keine Folgenanalyse gemäß der Interinstitutionellen Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung durchgeführt habe. Zwar binde diese Vereinbarung die Organe, doch sei eine Folgenabschätzung kein zwingender Bestandteil des Gesetzgebungsverfahrens unter allen Umständen. In diesem Kontext weist die Generalanwältin darauf hin, dass die Notwendigkeit der raschen Bewältigung der sich aus den Terroranschlägen des Jahres 2015 ergebenden Herausforderungen eine Notlage dargestellt habe, und dass der Unionsgesetzgeber andere Berichte und Studien als Grundlage für seine Analyse der Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen herangezogen habe.

Des Weiteren stellt die Generalanwältin fest, dass die Kommission bei der Vorbereitung ihres Vorschlags für den Erlass der Änderungsrichtlinie im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowohl die Ziele des Binnenmarktes als auch die mit diesen Zielen zusammenhängenden Sicherheitsanforderungen gebührend berücksichtigt habe. Die bloße Tatsache, dass die Anwendung der Änderungsrichtlinie unter bestimmten Umständen zur Beschlagnahme bestimmter, im Besitz Einzelner befindlicher Schusswaffen führen könne, greife nicht in das Recht auf Eigentum ein, da dieses Recht im öffentlichen Interesse und unter gesetzlich vorgesehenen Umständen beschränkt werden dürfe: Im Unionsrecht gebe es kein Grundrecht auf den Besitz von Schusswaffen.

Die Generalanwältin ist auch der Ansicht, dass die spezielle Vorschrift der Änderungsrichtlinie, die es der Schweiz[4] gestatte, es Armeereservisten in ihrer Eigenschaft als Sportschützen zu erlauben, die Schusswaffe zu behalten, die sie während ihres obligatorischen Militärdienstes benutzten, auch das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfülle.

Desgleichen ist die Generalanwältin der Ansicht, dass die in der Änderungsrichtlinie vorgenommene Neueinstufung bestimmter halbautomatischer Waffen von genehmigungspflichtigen Schusswaffen zu verbotenen Schusswaffen nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. In diesem Zusammenhang führt sie aus, dass die Mitgliedstaaten das Recht behielten, die Genehmigung für solche Waffen, die vor dem 13. Juni 2017 rechtmäßig erworben und eingetragen worden seien, zu bestätigen, zu erneuern oder zu verlängern, sofern eine angemessene Aufsicht bestehe.

Schließlich stellt die Generalanwältin fest, dass die Änderungsrichtlinie die Grundsätze der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung einhalte.

Daher schlägt die Generalanwältin vor, der Gerichtshof solle die Klage der Tschechischen Republik insgesamt abweisen.

Pressemitteilung des EuGH Nr. 49 v. 11.04.2019 zu den Schlussanträgen der Generalanwältin in der Rs. C-482/17 (Tschechische Republik / Parlament und Rat)


[1] Richtlinie 91/477/EWG des Rates vom 18. Juni 1991 über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (ABl. 1991 L 256, S. 51) in der durch die Richtlinie 2008/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 (ABl. 2008, L 179, S. 5) geänderten Fassung.

[2] Richtlinie (EU) 2017/853 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 91/477/EWG des Rates über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (ABl. 2017, L 137, S. 22).

[3] Art. 114 AEUV gestattet es dem Unionsgesetzgeber, in Bezug auf die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes Harmonisierungsmaßnahmen zu erlassen.

[4] In Bezug auf die Schweiz stellen die Richtlinie 2017/853 und die Richtlinie 91/477 nach Ansicht der Generalanwältin eine Weiterentwicklung der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands dar. Vgl. auch das Abkommen zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, das in die Bereiche falle, die in Art. 1 des Beschlusses 1999/437/EG des Rates (ABl. 1999, L 176, S. 31) in Verbindung mit Art. 3 des Beschlusses 2008/146/EG des Rates (ABl. 2008, L 53, S. 1) genannt seien. Daher gelte die Änderungsrichtlinie auch in Bezug auf die Schweiz.