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BayVGH zum Erfordernis der Bestimmtheit der Fragestellung bei einem Bürgerbegehren (hier: Verhinderung eines überörtlichen Verkehrsprojekts)

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Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern zu BayVGH, Urt. v. 13.03.2019 – 4 B 18.1851 / Weitere Schlagworte: Täuschungs- und Irreführungsverbot; Maßnahme mit Entscheidungscharakter / Landesrechtliche Normen: BV, GO, BayVwVfG

von Oberlandesanwältin Beate Simmerlein, Landesanwaltschaft Bayern

Leitsätze:

  1. Eine Gemeinde darf sich auch mit einem überörtlichen Straßenbauvorhaben, für das ein bestandskräftiger Planfeststellungsbeschluss vorliegt, jederzeit befassen und ihre aus dem Selbstverwaltungsrecht folgenden Belange gegenüber den für die Bauausführung zuständigen Stellen zur Geltung bringen.
  2. Einem Bürgerbegehren, das sich gegen die Realisierung eines bereits unanfechtbar genehmigten bzw. planfestgestellten Infrastrukturprojekts wendet, fehlt die erforderliche inhaltliche Bestimmtheit, wenn die Fragestellung so formuliert ist, dass „alles“ unternommen werden soll, um den Bau zu verhindern (Klarstellung zu BayVGH, U.v. 16.3.2001 – 4 B 99.318 – BayVBl 2001, 565).

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

Die Entscheidung bot dem BayVGH Gelegenheit, seine Rechtsprechung zum Bestimmtheitsgebot bei Fragestellungen von Bürgerbegehren fortzuentwickeln.

Gegenstand der Entscheidung war die Zulässigkeit der zur Abstimmung gestellten Forderung, dass die Beklagte „alles unternimmt, damit der planfestgestellte ***-Tunnel in unserer Stadt nicht gebaut wird“.

In der Begründung des Bürgerbegehrens wurde ausgeführt: „Der Tunnel löst nicht das S***er Verkehrsproblem. Im Gegenteil, er zieht zusätzlichen Verkehr in die Stadt. Abgase und Feinstaub werden ungefiltert aus dem Tunnel geleitet. Dies stellt eine Gefahr für die Gesundheit der S***er Bürger dar. Er bewirkt während der Bauzeit eine unverhältnismäßige Belastung der S***er Bürger, der Schulen und der Geschäftswelt. Die Zustimmung des S***er Stadtrats zum Planfeststellungsbescheid (Baugenehmigung) zum Bau des ***-Tunnels widerspricht dem Mehrheitsvotum der Wähler der 2015 wiederholten Kommunalwahl und der offiziellen Stellungnahme der Stadt vom 02.05.2016 zum Bundesverkehrswegeplan 2030“.

1. Nach Auffassung des BayVGH verstößt weder die Fragestellung noch die Begründung des Bürgerbegehrens gegen das aus der verfassungsrechtlich gewährleisten Abstimmungsfreiheit (Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 3 BV) folgende Täuschungs- und Irreführungsverbot. Die zur Abstimmung gestellte Frage besitzt auch den erforderlichen Entscheidungscharakter.

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des BayVGH (vgl. Urt. v. 17.05.2017 – 4 B 16.1856, Rn. 25 m.w.N.) bei der Prüfung der Zulässigkeit der Fragestellung von Bürgerbegehren der Grundsatz der wohlwollenden Auslegung gilt.

2. Der Fragestellung fehlt jedoch im vorliegenden Fall die hinreichende Bestimmtheit. Diese ist eine ungeschriebene, aber aus dem Sinn und Zweck des Bürgerbegehrens folgende Voraussetzung für die Zulassung eines Bürgerbegehrens (vgl. BayVGH, Urt. v. 19.02.1997 – 4 B 96.2928, BayVBl 1997, 276-278).

Die bei auf eine Negativentscheidung abzielenden Bürgerbegehren häufig verwendeten Formulierungen der Abstimmungsfragen, mit denen die Organe der Gemeinde verpflichtet werden sollen, zur Verhinderung des Vorhabens „alle rechtlichen Mittel“ einzusetzen (vgl. BayVGH, Urt. v. 19.02.1997 – 4 B 96.2928, BayVBl 1997, 276-278) oder „alle zulässigen rechtlichen Möglichkeiten“ auszuschöpfen (vgl. BayVGH, Urt. v. 14.10.1998 – 4 B 98.505) wurden vom BayVGH, bezogen auf ein laufendes fachplanungsrechtliches oder sonstiges Zulassungsverfahren, als ausreichend bestimmt erachtet. Für die Abstimmungsberechtigten sei hier ohne weiteres erkennbar, dass vor allem das Beschreiten des (Verwaltungs-)Rechtswegs, sofern aus juristischer Sicht nicht offensichtlich aussichtslos, gemeint sei.

Bei Vorhaben, die – wie hier – bereits unanfechtbar genehmigt bzw. planfestgestellt sind, könne hingegen nicht anhand einer allgemein üblichen Vorgehensweise bestimmt werden, welche konkreten Aktivitäten gemeint seien. Da auch nicht auf „rechtliche“ Mittel oder Maßnahmen abgestellt werde, würden von der Fragestellung sämtliche irgendwie erfolgversprechenden (nicht verbotenen) Handlungen, wie Anträge verfahrensrechtlicher Art, politische Appelle, Petitionen, Zeitungsanzeigen etc. erfasst.

Selbst ein umfassend informierter Bürger könne bei seiner Stimmabgabe nicht überblicken, welche Maßnahmen durch die Beklagte veranlasst seien, damit buchstäblich „alles“ getan sei. Worin der plebiszitär erteilte Auftrag zur Verhinderung des Tunnelbaus im Wesentlichen bestehen soll und wonach sich das Maß seiner Erfüllung bestimmt, bleibe nach der Formulierung des Bürgerbegehrens gänzlich unklar.

Net-Dokument: BayRVR2019051501 (über die ohne Leerzeichen einzugebende Net-Dokumenten-Nummer ist der Beitrag über die BayRVR-interne Suche und i.d.R. auch über Google jederzeit eindeutig identifizierbar und direkt aufrufbar)

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Anmerkung der Redaktion

Oberlandesanwältin Beate Simmerlein ist bei der Landesanwaltschaft Bayern schwerpunktmäßig u.a. für das Kommunalrecht, das Schul- und Prüfungsrecht, das Medienrecht, das Sozialrecht sowie für das Personalvertretungsrecht zuständig.

Die auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisierten Juristinnen und Juristen der Landesanwaltschaft Bayern stellen zum 15. eines jeden Monats (ggfls. am darauf folgenden Werktag) eine aktuelle, für die Behörden im Freistaat besonders bedeutsame Entscheidung vor: Beiträge der LAB.