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Anordnung zur (amts-)ärztlichen Untersuchung im Zurruhesetzungsverfahren nach BVerwG nicht isoliert angreifbar

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Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern zu BVerwG, Beschl. v. 14.03.2019 – 2 VR 5.18 / Weitere Schlagworte: Dienstunfähigkeit; gesetzliche Vermutungsregel; Zurruhesetzungsverfahren; behördliche Verfahrenshandlung

mitgeteilt von Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl, Landesanwaltschaft Bayern

Leitsätze:

  1. Eine Untersuchungsanordnung zur Feststellung der Dienstfähigkeit eines Beamten im Rahmen eines Zurruhesetzungsverfahrens ist gemäß § 44a VwGO nicht isoliert angreifbar, sondern – falls der Beamte der Anordnung nicht folgt – nur im Rahmen des (Eil- oder Klage-)Verfahrens gegen die nachfolgende Zurruhesetzungsverfügung (inzidenter) gerichtlich überprüfbar.
  2. Bei einer auf die gesetzliche Vermutungsregel nach § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG (§ 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) wegen längerer Fehlzeiten des Beamten gestützten Untersuchungsanordnung gelten die zu Fällen einer Untersuchungsanordnung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG (§ 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG) in der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen nicht.
  3. Auch bei einer Untersuchungsanordnung, bei der der Dienstherr seine Zweifel an der Dienstfähigkeit auf § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG (§ 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG) stützt, können – unterhalb der zeitlichen Mindestgrenze des § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG (§ 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) liegende – Fehlzeiten eine Untersuchungsanordnung rechtfertigen.
  4. Auch eine auf bloßen Fehlzeiten beruhende Untersuchungsanordnung nach § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG (§ 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) kann sich auf psychiatrische Untersuchungen erstrecken.
  5. Eine Untersuchungsanordnung kann sich – wenn erforderlich – auf mehrere Termine und thematisch verschiedene (fach-)ärztliche Untersuchungen erstrecken. Sie kann insbesondere beinhalten, dass sich der Beamte ggf. einer von dem beauftragten (Amts-)Arzt für erforderlich gehaltene Zusatzbegutachtung zu unterziehen hat.

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

Mit Leitsatz 1 der vorliegenden Entscheidung klärt das BVerwG die bislang umstrittene Frage, ob eine Anordnung zur (amts-)ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Dienst(un)fähigkeit eines Beamten selbständig oder nur im Rahmen der nachfolgenden bzw. die Untersuchung voraussetzenden Sachentscheidung (hier: Zurruhesetzungsverfügung) angegriffen werden kann. Mehrere OVG (darunter auch der BayVGH – s. nachfolgend Ziff. 1d) waren bislang von der Möglichkeit isolierten (und vorläufigen) Rechtsschutzes gegen eine derartige Anordnung ausgegangen. Das BVerwG hatte zwar in seinem Beschl. v. 10.04.2014 (2 B 80.13) die Frage der isolierten Anfechtbarkeit (amts-)ärztlicher Untersuchungsanordnungen aufgeworfen, aber dagegen gerichtete Anträge nach § 123 VwGO, für die es selbst erst- und letztinstanzlich zuständig ist (vgl. § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO), bisher nicht wegen Unzulässigkeit abgelehnt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.05.2018 – 2 VR 3/18). Daher muss mit vorliegender Entscheidung insoweit von einer Änderung der Rechtsprechung des BVerwG ausgegangen werden.

Zudem nutzte das BVerwG hier die Gelegenheit für klarstellende Hinweise zum Verhältnis von Untersuchungsanordnungen, die auf bestimmten tatsächlichen (und Zweifel an der Dienstfähigkeit begründenden) Feststellungen nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG (in Bayern [BY]: Art. 65 Abs. 2 Satz 1 BayBG) beruhen einerseits und solchen, die auf die gesetzliche Vermutungsregel wegen längerer Fehlzeiten gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG (BY: Art. 65 Abs. 1 BayBG) gestützt sind, andererseits (Leitsätze 2 bis 5).

Im Einzelnen

1. Das BVerwG hat den vorliegend gegen eine Anordnung zur fachärztlichen Zusatzuntersuchung gerichteten Antrag nach § 123 VwGO gemäß § 44a VwGO als unzulässig angesehen.

a) Nach § 44a Satz 1 VwGO können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Dies gilt nach Ansicht des BVerwG auch für Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz nach §§ 80, 80a VwGO oder § 123 VwGO. Eine (amts-)ärztliche Untersuchungsanordnung sei eine behördliche Verfahrenshandlung im Sinn des § 44a Satz 1 VwGO. Die Untersuchung diene der Ermittlung der medizinischen Daten, die nötig seien, um festzustellen, ob der Beamte dienstunfähig ist. Auf der Basis dieser vom Dienstherrn zu treffenden Feststellung werde gegebenenfalls das Zurruhesetzungsverfahren fortgeführt. Die Aufforderung zur Untersuchung sei somit lediglich ein erster Schritt in einem gestuften Verfahren, das bei Feststellung der Dienstunfähigkeit mit der Zurruhesetzung ende (Rn. 17 bis 20).

b) Ein Ausnahmefall, in dem nach § 44a Satz 2 VwGO ein isolierter Rechtsbehelf gegen eine behördliche Verfahrenshandlung statthaft ist, sei nicht gegeben. Die Untersuchungsanordnung sei insbesondere nicht vollstreckbar; der Beamte werde nicht zwangsweise der ärztlichen Untersuchung zugeführt (Rn. 21).

c) Auch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gebiete nicht, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in verfassungskonformer Auslegung von § 44a Satz 2 VwGO als statthaft anzusehen. Dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes werde grundsätzlich dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass Mängel im Verwaltungsverfahren, die wegen § 44a VwGO nicht unmittelbar mit Rechtsbehelfen gegen die Verfahrenshandlung geltend gemacht werden können, im Rahmen eines gegen die Sachentscheidung (hier: Zurruhesetzungsverfügung) zulässigen Klageverfahrens gerügt werden könnten und rechtlich geprüft würden. Der Ausschluss isolierten Rechtsschutzes gegen eine Untersuchungsanordnung sei für den Beamten auch nicht unzumutbar (Rn. 22 bis 24).

d) Der Aspekt der möglichen disziplinarrechtlichen Sanktion bei (etwaiger) Nichtbefolgung der Untersuchungsanordnung erfordere ebenfalls keinen isolierten (und vorläufigen) Rechtsschutz gegen letztere. Aufgrund eben dieser Sanktionsmöglichkeit hatten jedoch einige OVG bisher eine Vollstreckbarkeit der Untersuchungsanordnung im Sinn des § 44a Satz 2 VwGO (und damit auch deren isolierte Anfechtbarkeit) angenommen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 23.02.2015 – 3 CE 15.172, juris Rn. 14, und Beschl. v. 14.01.2014 – 6 CE 13.2352, juris Rn. 8, sowie die weiteren, in Rn. 27 der vorliegenden Entscheidung genannten OVG).

Dieser Argumentation folgt das BVerwG ausdrücklich nicht, weil die Wirkungen der Untersuchungsanordnung einer Vollstreckbarkeit nach den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen nicht so nahekämen, dass der Ausschluss isolierten Rechtsschutzes unzumutbar sei. Dem Beamten drohe auch bei Nichtbefolgung der Untersuchungsanordnung in der Praxis nicht ernsthaft eine Disziplinarmaßnahme (sondern „nur“ der Erlass der untersuchungsnachfolgend vorgesehenen bzw. ermöglichten Sachentscheidung [hier: Zurruhesetzung]); es handle sich im Regelfall nur um eine theoretische Möglichkeit (näher ausgeführt in Rn. 28/29).

e) Auch der Aspekt der Grundrechtsrelevanz der ärztlichen Untersuchung erfordere keinen isolierten (und vorläufigen) Rechtsschutz gegen die Untersuchungsanordnung. Auch insoweit drohten dem Beamten keine unzumutbaren Nachteile. Zwar greife eine ärztliche (insbesondere eine fachpsychiatrische) Untersuchung in das Recht auf körperliche Integrität (Art. 2 Abs. 2 GG) und in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ein. Dies gebiete aber keinen isolierten (vorläufigen) Rechtsschutz. Denn maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die insoweit anzustellende Zumutbarkeitsprüfung seien nicht die Eingriffswirkungen einer ärztlichen Untersuchung, sondern – ebenso wie beim disziplinarrechtlichen Aspekt – die Wirkungen ihrer Verweigerung durch den Beamten. Diesem stehe (Hauptsache- und ggf. Eil-) Rechtsschutz gegen eine Zurruhesetzungsverfügung zu. Erweise sich hierbei die Untersuchungsanordnung als rechtswidrig, sei es auch die Zurruhesetzungsverfügung. Zwar trage der Beamte insoweit das Prozess- bzw. Prognoserisiko. Aber dieses Risiko sei für ihn nicht unzumutbar. Denn die Rechtmäßigkeitsanforderungen an eine (amts-) ärztliche Untersuchungsanordnung seien in der Rechtsprechung (auch des BVerwG) geklärt (vgl. dazu im Einzelnen Rn. 41 bis 45). Das gleichwohl vorhandene Restrisiko sei von dem Beamten hinzunehmen. Außerdem könne er sich rechtskundigen Rat (z.B. eines Rechtsanwaltes) zu der Frage einholen, ob die ihm gegenüber ergangene Untersuchungsanordnung rechtmäßig ist (Rn. 30 bis 33).

f) Die vorstehende Wertung wird nach Ansicht des BVerwG bestätigt durch die Rechtsprechung zur Anordnung einer ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Untersuchung im Fahrerlaubnisrecht. Denn für die behördliche Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens zur Klärung der Fahreignung sei anerkannt, dass es sich um eine Verfahrenshandlung handelt, die nicht isoliert angegriffen werden kann (Rn. 35 m.w.N. aus der Rspr.).

2. Des Weiteren stellt das BVerwG klar, dass für Untersuchungsanordnungen nach der gesetzlichen Vermutungsregel des § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG (BY: Art. 65 Abs. 1 BayBG) andere Voraussetzungen gelten als für Anordnungen, bei denen die Zweifel an der Dienstfähigkeit des Beamten auf § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG (BY: Art. 65 Abs. 2 Satz 1 BayBG) gestützt sind (Rn. 46 bis 48).

Nach § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG kann auch als dienstunfähig angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, dass innerhalb weiterer sechs Monate die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Hier seien Anlass für die Untersuchungsanordnung die krankheitsbedingten Fehlzeiten. Für diese Fallgestaltung langdauernder Ausfallzeiten, bei denen auf Seiten des Dienstherrn keine weiteren Erkenntnisse über die zugrunde liegende Erkrankung vorliegen, gälten die zu Fällen der Untersuchungsanordnung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG in der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen (vgl. Rn. 41 bis 45) nicht. Der Dienstherr müsse insbesondere in der auf § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG gestützten Untersuchungsanordnung nicht darlegen, dass und warum die zugrunde liegenden Erkrankungen Zweifel an der Dienstfähigkeit des Beamten begründen. Nachdem die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen Angaben zu Gründen der Dienstunfähigkeit nicht enthalten, könne er dies regelmäßig auch nicht (a.A. OVG Münster, Beschl. v. 12.12.2017 – 1 B 1470/17, juris Rn. 18; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 10.06.2015 – 4 S 6.15, juris Rn. 16 und 19).

3. Auch bei einer Untersuchungsanordnung, bei der der Dienstherr seine Zweifel an der Dienstfähigkeit auf § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG stützt, können nach Auffassung des BVerwG – unterhalb der zeitlichen Mindestgrenze des § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG liegende – Fehlzeiten eine Untersuchungsanordnung rechtfertigen. Das sei dann der Fall, wenn angesichts dieser Fehlzeiten die Dienstunfähigkeit des Beamten nahe liege. § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG entfalte keine Sperrwirkung dahingehend, dass Fehlzeiten für sich betrachtet oder zusammen mit weiteren Erkenntnissen Zweifel an der Dienstfähigkeit nur im Rahmen dieser Bestimmungen, nicht aber nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG begründen könnten (Rn. 49).

4. Eine auf bloßen Fehlzeiten beruhende Untersuchungsanordnung nach § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG könne sich auch auf psychiatrische Untersuchungen erstrecken. Der Umstand, dass damit ein besonders intensiver Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Beamten verbunden ist, erfordere keine Beschränkung von entsprechenden Untersuchungsanordnungen auf die Fälle nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG (so aber OVG Münster, Beschl. v. 03.09.2018 – 6 B 860/18, juris Rn. 35 ff.). Eine Untersuchungsanordnung nach § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG sei – gegenüber einer solchen nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG – keine Untersuchungsanordnung minderen Rechts. Ärztliche Untersuchungen, die im Rahmen des § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG angeordnet werden können, könnten auch im Rahmen des § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG ergehen. Eine schlichte Untersuchungsanordnung, die im Tatbestand die Fehlzeiten des Beamten auflistet und um eine ärztliche Begutachtung mit dem Prognosehorizont bittet, ob zu erwarten ist, dass die Dienstfähigkeit innerhalb von sechs Monaten wieder voll hergestellt sein wird, sei rechtmäßig und eröffne – bei Nichtbefolgung der Anordnung – die Anwendung spezialgesetzlicher Regelungen über die Dienstunfähigkeitsvermutung (BY: Art. 65 Abs. 2 Satz 2 BayBG; Rn. 51/52).

Net-Dokument: BayRVR2019081601 (über die ohne Leerzeichen einzugebende Net-Dokumenten-Nummer ist der Beitrag über die BayRVR-interne Suche und i.d.R. auch über Google jederzeit eindeutig identifizierbar und direkt aufrufbar)

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Anmerkung der Redaktion

Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl ist bei der Landesanwaltschaft Bayern Ständiger Vertreter des Generallandesanwalts.

Die auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisierten Juristinnen und Juristen der Landesanwaltschaft Bayern stellen zum 15. eines jeden Monats (ggfls. am darauffolgenden Werktag) eine aktuelle, für die Behörden im Freistaat besonders bedeutsame Entscheidung vor: Beiträge der LAB.