Rechtsprechung Bayern

Bayerischer Verfassungsgerichtshof zum Grundsatz des rechtlichen Gehörs

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Nichtamtliche Leitsätze:

  1. Eine offensichtlich unzulässige Anhörungsrüge gehört nicht zum Rechtsweg im Sinn des Art. 51 Abs. 2 VfGHG.
  2. Offensichtlich ist die Unzulässigkeit eines Rechtsbehelfs, wenn der Beschwerdeführer nach den konkreten Umständen des Falls davon ausgehen musste, dass sein Rechtsmittel als unzulässig verworfen werden würde. Das ist bei einer Anhörungsrüge insbesondere dann der Fall, wenn mit ihr nur durch ein Rechtsbehelfsgericht nicht geheilte, das heißt perpetuierte Gehörsverstöße gerügt werden oder in der Sache gar kein Verstoß gegen das rechtliche Gehör geltend gemacht wird.
  3. Nimmt der Beschwerdeführer zur Begründung seiner Verfassungsbeschwerde auf Schriftstücke Bezug, die weder beigefügt noch bereits zuvor Bestandteile der Akten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens geworden sind, hat er zumindest ihren wesentlichen Inhalt anzugeben. BayVerfGH, Entscheidung vom 23.02.2022, Vf. 81-VI-20

Zum Sachverhalt:

Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden richten sich gegen die Urteile des Verwaltungsgerichts München vom 14. November 2018 – M 29 K 17.4166 und M 29 K 17.4168 in zwei Nachbarstreitverfahren, mit denen die Klagen der Beschwerdeführerinnen gegen eine Baugenehmigung abgewiesen wurden, sowie gegen die Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. Mai 2020 – 2 ZB19.720 und 2 ZB 19.813, mit denen die Anträge auf Zulassung der Berufung gegen diese Urteile abgelehnt wurden. Die Beschwerdeführerin zu 1 ist Eigentümerin des nach dem Wohnungseigentumsgesetz geteilten Grundstücks Flur-Nr. 939/4 in M, Gemarkung M, die Beschwerdeführerin zu 2 Eigentümerin einer Wohnung im Erdgeschoss des auf dem Grundstück errichteten viergeschossigen, in West-Ost-Richtung situierten Gebäudes. An der südwestlichen Ecke schließt sich das ebenfalls im Eigentum der Beschwerdeführerin zu 1 stehende Grundstück Flur-Nr. 939/6 an. Die beiden Grundstücke liegen westlich der E-Straße (früher: H-Straße) im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. 1753 „E-Straße 49−53“ (Teiländerung des Bebauungsplans Nr. 70b) der Stadt M. Südlich der beiden Grundstücke befindet sich ein Teil des Grundstücks Flur-Nr. 939. An dieses schließt sich das Grundstück Flur-Nr. 936 an, das im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. 70b „B-Straße“ liegt. Mit Bescheid vom 3. August 2017 erteilte die Stadt M der Beigeladenen der Ausgangsverfahren im vereinfachten Genehmigungsverfahren die Baugenehmigung für das Objekt Wohnsiedlung M-M zur Aufstockung von Wohngebäuden, Nachverdichtung und Neubau von Tiefgaragen (A-Straße 1−7, 2-12/E-Straße 31−39/M-Straße 94).

Gegenstand der Baugenehmigung ist unter anderem das inzwischen auf dem Grundstück Flur-Nr. 936/0 in einem Abstand von 0,78 bis 0,96 min West-Ost-Richtung entlang der nördlichen Grundstücksgrenze errichtete, circa 44 m lange und 16 m hohe fünfgeschossige Wohngebäude U mit Kellergeschoss, das dem Gebäude der Beschwerdeführerin zu 1 mit der Wohnung der Beschwerdeführerin zu 2 in einer Entfernung von circa 23 bis 24 m nach Westen versetzt südlich gegenüberliegt. Es befindet sich vollständig außerhalb der im Bebauungsplan Nr. 70b festgesetzten Bauräume in einem  Bereich, in dem dieser eine private Zufahrt vorsieht; auch findet sich dort ein Hinweis auf ein bestehendes Nebengebäude (Garagen). Dieser Bereich wird im Westen, Süden und Osten von drei viergeschossigen, U-förmig angeordneten Bestandsbauten (F, G und H) begrenzt. Wegen der Errichtung vollständig außerhalb der im Bebauungsplan Nr. 70b festgesetzten Bauräume wurden Befreiungen gemäß § 31 Abs. 2 BauGB ausgesprochen. Am 4. September 2017 erhoben die Beschwerdeführerinnen Klage gegen die Baugenehmigung zum Verwaltungsgericht München. Das Verwaltungsgericht wies die Klagen nach Einnahme eines Augenscheins mit den angegriffenen Urteilen vom 14. November 2018 ab. Am 2. April 2019 beantragten die Beschwerdeführerinnen beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof jeweils die Zulassung der Berufung gegen die Urteile. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte die Anträge mit den angegriffenen Beschlüssen vom 27. Mai 2020, dem Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerinnen zugestellt am 10. Juni 2020, ab. Am 24. Juni 2020 erhoben die Beschwerdeführerinnen jeweils Anhörungsrüge, die der Verwaltungsgerichtshof mit Beschlüssen vom 30. Juni 2020 (2 ZB 20.1454 und 2 ZB 20.1455), dem Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerinnen zugestellt am 17. Juli 2020, zurückwies. Mit ihren am15. September 2020 eingegangenen, mit Schriftsätzen vom 13. Oktober und 8. Dezember 2020 sowie vom 25. April 2021 ergänzten Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführerinnen, die angegriffenen Entscheidungen verstießen gegen Verfassungsrecht.