Rechtsprechung Bayern

Lichtimmissionen von Dächern und Solaranlagen sind zumutbar

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Dem unten vermerkten rechtskräftigen[1] Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach (VG) vom 16.8.2021 lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Kläger begehren die Beseitigung von spiegelnden Bauelementen auf dem Nachbargrundstück. Beide Grundstücke liegen in einem Bebauungsplangebiet der Gemeinde. In den Verfahrensvermerken des Bebauungsplans ist festgehalten, dass dieser mit Gemeinderatsbeschluss vom 8.6.2015 als Satzung beschlossen, am 14.9.2015 vom Ersten Bürgermeister ausgefertigt wurde und bereits am 1.9.2015 ortsüblich bekannt gemacht worden war.

Mit ihrer Klage beantragten die Kläger die Beseitigung der Eindeckung des Daches mit Trapezblech und der auf dem Dach aufgeständerten Solaranlage auf dem Nachbargrundstück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Dacheindeckung mit Trapezblech und die aufgeständerte Solaranlage nicht dem Bebauungsplan entsprächen. Die Dacheindeckung verletze zudem das Gebot der Rücksichtnahme, weil hiervon gesundheitsgefährdende bzw. belästigende schädliche Umwelteinwirkungen ausgingen.

Bei Niederschlägen komme es zu einer Lärmbelästigung und bei Sonneneinfall zu einer massiven Lichtreflexion auf die Terrasse, in die Küche und ins Ess- und Wohnzimmer der Kläger, da sich das Dach genau auf der Höhe der klägerischen Wohnräume befinde. Eine Befreiung hätte nicht erteilt werden dürfen, weil die Grundzüge der Planung betroffen seien. Die Terrasse der Kläger sei in den Sommermonaten nicht nutzbar.

Das VG lehnte einen Anspruch der Kläger auf bauaufsichtliches Einschreiten ab und führt auszugsweise Folgendes aus:

1. Unwirksamkeit eines Bebauungsplans, wenn die Ausfertigung erst nach der Bekanntmachung erfolgt

„Das Strahltrapezdach ist … materiell rechtmäßig, was einem bauaufsichtlichen Einschreiten … entgegensteht. Eine materielle Rechtswidrigkeit ergibt sich nicht aus einem Verstoß gegen Ziffer 3.1 des Bebauungsplans … bzw. aus einer fehlerhaften Befreiung gegen die Festsetzungen zur Dachneigung und zum zulässigen Material der Dacheindeckung. Der Bebauungsplan … ist nämlich formell fehlerhaft und deshalb unwirksam und nicht zu beachten.

Der Bebauungsplan wurde von der Gemeinde laut den Verfahrensvermerken und telefonischer Bestätigung der Gemeindeverwaltung gegenüber dem Gericht am 8.6.2015 vom Gemeinderat als Satzung beschlossen und am 1.9.2015 ortsüblich bekanntgemacht und damit in Kraft gesetzt. Die Ausfertigung durch den ersten Bürgermeister erfolgte jedoch erst am14.9.2015 und damit nach der Bekanntmachung.

Gemäß Art. 26 Abs. 2 Bayerische Gemeindeordnung (GO) und dem allgemeinen verfassungsrechtlich verankerten Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 3 Abs. 1 BV) sind Bebauungspläne wie alle Satzungen aber auszufertigen, bevor sie durch Bekanntmachung in Kraft gesetzt werden (BayVGH, Urteil vom 4.4.2003 – 1 N 01.2240 – juris Rn. 17).

Mit der Ausfertigung wird nämlich eine Satzung als Originalurkunde hergestellt und vom Bürgermeister als zuständigem Organ beglaubigt, dass die Satzung, so wie sie vorliegt, vom Gemeinderat auch beschlossen worden ist (sog. Identitätsfunktion, BayVGH, Urteil vom 10.11.2020 – 1 N 17.333 – juris, Rn. 20; BVerwG, Beschluss vom 21.6.2018[2] – 4 BN 34.17 – juris). Eine Ausfertigung nach Bekanntmachung kann diese Funktion nichtmehr erfüllen.

Dieser Verfahrensfehler führt zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans; der Fehler ist nicht gem. §§ 214 ff. BauGB unbeachtlich. Eine Unbeachtlichkeit nach § 214 Abs. 1 BauGB kommt nach dessen ausdrücklichem Wortlaut nur für einzelne Verstöße gegen spezielle bauplanungsrechtliche Verfahrensregelungen, nicht aber bei einem Verstoß gegen Art. 26 GO bzw. das Rechtsstaatsgebot in Betracht. Es handelt sich dabei um einen offensichtlichen Fehler, der vom erkennenden Gericht von Amts wegen auch ohne Aufgreifen seitens der Parteien zu berücksichtigen war.

Ob die Regelungen zur Dachgestaltung im Bebauungsplan … zugunsten der Kläger einen Abwehranspruch begründet hätten – was nicht regelmäßig, sondern nur ausnahmsweise der Fall ist – kann deshalb dahinstehen.“

2. (Keine) Unzumutbarkeit der bei Sonnenschein von einem Stahltrapezblechdach ausgehenden Lichtreflexionen

„Die Dachgestaltung verstößt auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme nach § 34 Abs. 1 BauGB oder gegen ein alternativ einschlägiges bauordnungsrechtliches Rücksichtnahmegebot nach Art. 11 BayBO. Der inhaltliche Maßstab beider Regelungen unterscheidet sich dabei nicht.

Das Maß der gebotenen Rücksichtnahme hängt stets von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Bei der in diesem Zusammenhang anzustellenden Interessensbewertung ist ausschlaggebend, was den Rücksichtnahmebegünstigten und den zur Rücksichtnahme Verpflichteten nach der jeweiligen Situation, in der sich die betroffenen Grundstücke befinden, im Einzelfall zuzumuten ist.

Im Rahmen einer Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigung sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten in billiger Weise zumutbar oder unzumutbar ist, gegeneinander abzuwägen…Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen.

Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit seinem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen…

Immissionen sind dann als unzumutbar anzusehen, wenn sie nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen, § 3 Abs. 1 BImSchG.

Anders als bei Lärmimmissionen … existiert keine verbindliche Regelung dazu, wann Lichtimmissionen, Reflexionen und Blendwirkungen schädliche Umwelteinwirkungen darstellen. Die Hinweise zur Messung, Beurteilung und Minderung von Lichtimmissionen der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz vom 13.9.2012 (LAI) haben weder quasi-normativen Charakter (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.3.2012 – 3 S 2658/10; VG Neustadt, Urteil vom 17.12.2012 – 4 K 481/12.NW – juris Rn. 29), noch erfassen sie Reflexionen von Sonnenlicht, sondern beschäftigen sich alleinmit lichtemittierenden künstlichen Anlagen wie Leuchtreklamen, Scheinwerfern oder Lasern (vgl. dort unter 2. Anwendungsbereich). Die Aussagen können deshalb nur bedingt zugrunde gelegt werden und allenfalls einen groben Anhalt für die Beurteilung geben (VG Augsburg, Urteil vom 27.10.2011 – Au 5 K 11.595 – juris Rn. 55).

Die LAI unterscheiden – was insoweit als allgemeine fachliche Aussage herangezogen werden kann – zwischen einer physiologischen und psychologischen Blendwirkung. Während die physiologische Blendung eine Minderung des Sehvermögens verursacht, ist die psychologische Wirkung durch eine ständige und ungewollte Ablenkung der Blickrichtung zur Lichtquelle hin gekennzeichnet.

Von Belang sind diese Wirkungen nach den LAI vor allem für besonders schutzwürdige Wohnräume und Terrassen. Neben der Art, Stärke und Dauer der Lichteinwirkungen sind nach der Rechtsprechung auch die Herkömmlichkeit, die soziale Adäquanz und die allgemeine Akzeptanz von lichtemittierenden oder -reflektierenden Anlagen zu berücksichtigen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11.6.2010 – 1 a 10474/10.OVG – juris; VG Augsburg, a.a.O Rn. 54; VG Neustadt, a.a.O. Rn. 29; VG Düsseldorf, Urteil vom 18.3.2008 – 16 K 3722/07 – juris).

Dies zugrunde gelegt, ergibt sich für das Gericht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung für die Lichtreflexionen, die vom Stahltrapezblech-Dach ausgehen, keine unzumutbare Belästigung für die Kläger. Eine Gesundheitsgefährdung ist erst recht nicht zu erkennen.

Die Sonnenlicht-Reflexionen, die vom Hausdach ausgehen, geben die Kläger mit einer Zeitdauer von 9.30 bis 16.30 Uhr an. Realistischerweise erfolgt eine Reflexion von Sonnenlicht aber nicht auf die gesamte Terrasse und in alle Wohnräume gleichzeitig, sondern ist zu jedem Zeitpunkt immer nur ein Teilbereich betroffen.

Das klagegegenständliche Dach ist außerdem in jeder Hinsicht sozialadäquat, seine Ausgestaltung ist nicht rücksichtslos. Stahltrapezblechdächer in schwarz sind weder allgemein noch speziell im Wohngebiet der Kläger ungewöhnlich, noch sind diese grundsätzlich mehr belastend als Ziegeldächer, die ebenso wie Blechdächer matt oder glänzend ausgestaltet sein können. Hier wurde ein nicht glänzendes Material verwendet.

Das gleiche Material haben die Kläger auch für ihr Garagendach, ebenfalls ein Flachdach, verwendet. Die Betroffenheit der Kläger ergibt sich eher aus den unterschiedlichen Höhenlagen der beiden Häuser zueinander und der niedrigen Höhe des Hauses der Beigeladenen.

Die Bungalow-Bauweise stellt jedoch ebenfalls eine gängige und grundsätzlich zulässige Bauweise in einem Wohngebiet dar. Auch Nebengebäude wie Garagen haben regelmäßig ähnliche Höhen und ebenfalls Flachdächer. Mit niedrigeren Gebäuden in Wohngebieten muss also stets gerechnet werden.

Eine auf seine eigene Wandhöhe angepasste Bebauung kann der Nachbar grundsätzlich nicht beanspruchen, schon gar nicht bei vorhandenen Geländesprüngen oder selbst vorgenommenen Geländeauffüllungen (für die umgekehrte und in der baurechtlichen Praxis deutlich häufigere Fallgestaltung einer zu hoch empfundenen Nachbarbebauung – ,Einmauerungseffekt‘, ,erdrückende Wirkung‘, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 33 f.: 12-geschossiges neben 2-geschossigem Gebäude oder BVerwG, Urteil vom 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris Rn. 2 und 15: 11,5 m hohe Siloanlage neben Wohngebäude).

Eine Blendwirkung auf Augenhöhe können die Kläger vor allem aber auch durch eigene Sonnenschutz-Maßnahmen wie Markisen, Jalousien, Sonnenschirm, Sicht- und damit Sonnenschutzwand, Bepflanzung gut und zuverlässig ausschließen. Da Lichtimmissionen bei jeder Form der Wohnbebauung typisch und nahezu unvermeidbar sind, müssen diese grundsätzlich akzeptiert werden und ist ein Nachbar regelmäßig auf den Eigenschutz zu verweisen (so auch VG Neustadt, a.a.O. Rn. 32).“

3. Die Spiegelung des Sonnenlichts am Gestänge des Metallständers einer Solaranlage in der Zeit von ca. 16.30 bis 19.00 Uhr ist hinzunehmen

„Eine Beseitigungsanordnung nach Art. 76 Satz 1 BayBO kommt bei baugenehmigungsfreien Vorhaben wie nachträglichen Solaranlagen auf Gebäuden, vgl. Art. 57 Abs. 1 Nr. 3a) aa) BayBO, bei Vorliegen materiell-rechtlicher Baurechtsverstöße in Betracht. Ein solcher Verstoß ist aber nicht gegeben. Das Gebot der Rücksichtnahme im Hinblick auf Lichtreflexionen ist auch insoweit nicht verletzt.

Nach Aussage der Klägerseite spiegelt sich das Sonnenlicht lediglich am Gestänge des Metallständers und dies auch nur für die Zeit von ca. 16.30 bis 19.00 Uhr. Diese Beeinträchtigung haben die Kläger hinzunehmen. Sie ist vom Ausmaß her zeitlich mit nur wenigen Stunden am Tag und nur an Sonnentagen überhaupt und bei der Entfernung der Blendquelle vom Einwirkungsort als nicht besonders erheblich anzusehen.

Metallische Ständer in einer Breite von wenigen Zentimetern zur Befestigung von Solarmodulen sind allgemein üblich und sozialadäquat. Vergleichbare Reflexionswirkungen gehen etwa von Straßenlaternen und Verkehrsschildern aus, treffen damit eine Vielzahl von Wohnraum- und Terrassennutzern und sind hinzunehmen.

Eine gegebenenfalls bestehende besondere Sensibilität der Kläger für Lichteinwirkungen ist nicht zu berücksichtigen. Die Belästigungswirkung ist vielmehr am Empfinden eines durchschnittlichen Betroffenen zumessen (VG Augsburg, a.a.O. Rn. 55 mit Hinweis auf die zivilgerichtliche Rechtsprechung).

Die Klage ist damit insgesamt unbegründet. Da die Voraussetzungen der Beseitigungsanordnung nach Art. 76 Satz 1 BayBO schon nicht erfüllt sind, erübrigen sich Überlegungen zu einer Ermessensreduzierung auf Null, die ein bauaufsichtliches Begehren eines Nachbarn grundsätzlich erfordert (VG Ansbach, Urteil vom 29.1.2004 – AN 9 K 03.00966 – juris Rn. 37).“

Verwaltungsgericht Ansbach, Urteil vom 16.8.2021 – AN 17 K 20.00311

 

Entnommen aus FStBy 19/2022, Rn. 232.

[1] Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 27.4.2022 – 9 ZB 21.2792 den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des VG abgelehnt.

[2] FStBay Randnummer 90/2019