Rechtsprechung Bayern

Anordnung eines Rinderhaltungsverbots wegen tierschutzwidriger Fütterungs- und Haltungsbedingungen

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Diese Themen sind Gegenstand des unten vermerkten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) vom 11.8.2022. Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen vor dem Verwaltungsgericht (VG) erfolglosen Eilantrag weiter, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners wiederherzustellen, mit dem ihm und seiner Ehefrau die Haltung und das Betreuen von Rindern sofort vollziehbar untersagt wurden.

Das VG hatte auszugsweise Folgendes ausgeführt: Nach summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage erweise sich das gegenüber dem Antragsteller verfügte Rinderhaltungs- und Betreuungsverbot gemäß § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG voraussichtlich als rechtmäßig. Dass der Antragsteller zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids den Vorschriften des § 2 TierSchG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nrn. 2, 3, 4 und 10 TierSchNutzV wiederholt zuwidergehandelt habe, stehe aufgrund der vom Amtstierarzt durchgeführten Kontrollen sowie des Befundes/Gutachtens des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) zur Überzeugung des Gerichts fest.

Die Ergebnisse der Kontrollen seien durch zahlreiche Lichtbilder dokumentiert. Danach sei durch den Amtstierarzt hinter dem Stall ein festliegendes Rind vorgefunden worden, dessen gesamter Klauenbereich am vorderen linken Lauf stark geschwollen und wegen eitriger Wunden auch eröffnet gewesen sei. Die Körpertemperatur habe 38,5 °C betragen und die Kuh sei abgemagert und zu euthanasieren gewesen.

Der VGH wies die Beschwerde zurück und führt Folgendes aus:

1. Ausreichende Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit

„In den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO hat die Behörde die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO besonders zu begründen …Diesen Erfordernissen entspricht die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit in Ziffer VII. des angefochtenen Bescheids…Die Begründung führt bezogen auf den Einzelfall aus, dass bei einem Zuwarten mit dem Vollzug der streitgegenständlichen (Verbots-)Verfügungen…bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens angesichts der festgestellten wiederholten und trotz behördlicher Anordnungen und strafrechtlicher Verfahren nicht durchgreifend und nachhaltig abgestellten Verstöße gegen die Pflichten eines Tierhalters sowie angesichts der fehlenden Einsicht des Antragstellers weiterhin mit einer Rinderhaltung zu rechnen sei, die den tierschutzrechtlichen Anforderungen deutlich widerspreche.

Damit wird deutlich, dass sich die anordnende Behörde der Ausnahmesituation ihres Handelns bewusst war. Entgegen der Annahme der Beschwerde ist für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit in formeller Hinsicht nicht erforderlich, dass die Verstöße ,über Jahre hinweg‘ stattgefunden haben. Es ist zwar zutreffend, dass die Behörde diese Formulierung verwendet hat, sie stützt ihre Entscheidung für die Anordnung des Sofortvollzugs jedoch nichtmaßgeblich auf diesen Umstand, sondern auf die fehlenden ,durchgreifenden und nachhaltigen Maßnahmen‘ sowie die ,fehlende Einsicht‘ und das ,nur unzureichend geänderte Verhalten‘ des Antragsstellers, sodass in einer Gesamtschau wiederholte Verstöße gegen tierschutzgerechte Anforderungen zu erwarten seien…“

2. Voraussetzungen für die Anordnung der Euthanasie eines Rinds

„Nicht durchdringen kann der Antragsteller mit dem Vorbringen, das Verwaltungsgericht verkenne, dass der Anordnung zur Euthanasie des Rindes kein Gutachten eines Amtsarztes zugrunde liege. An ein solches Gutachten sind keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Zwar ist es zweifellos vorzugswürdig, wenn sich das Gutachten in einem Dokument unter der Überschrift ,Gutachten des beamteten Tierarztes‘ bei den Behördenakten befindet und der Bescheid dies aufgreift. Es besteht jedoch kein derartiges Formerfordernis. Es reichen dokumentierte Aussagen des beamteten Tierarztes zu dem Zustand des Tieres bzw. zu den Bedingungen vor Ort, wo das Tier gehalten wird, die einzelfallbezogen den Schluss auf eine erhebliche Vernachlässigung zulassen.

Diese können beispielsweise die Form eines Vermerks, eines Protokolls oder auch von Fotoaufnahmen annehmen … Dabei kann auch ausreichen, dass der beamtete Tierarzt sich tierärztliche Untersuchungsergebnisse von dritter Seite durch Aufnahme in die Behördenakten erkennbar zu eigen macht. Im Übrigen ist ein Gutachten entbehrlich, wenn das betroffene Tier überhaupt nicht versorgt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.1.2012 – 7 C 5.11 – juris Rn. 17; BayVGH; Beschluss vom 12.3.2020 – 23 CS 19.2486 – juris Rn. 22 ff.).

Gemessen daran liegt ein Gutachten im vorgenannten Sinne vor. Im vorliegenden Fall enthält die Behördenakte die von dem beamteten Tierarzt erstellte Fotodokumentation, in der auch das festliegende Rind hinter dem Stall sowie dessen linkes, geschwollenes, vereitertes und offenes Fußwurzelgelenk dokumentiert ist.

Auch die Köpertemperatur der Kuh ist festgehalten … Dies ist bereits als ausreichend anzusehen. Dazu kommt die ausführliche gutachterliche Stellungnahme des Veterinäramts …, aus der sich nochmals ergibt, dass auch der Hoftierarzt des Antragstellers die Kuh untersuchte und die Prognose bestätigte. Auch liegt der Sektionsbericht des … LGL … vor …, der den reduzierten Ernährungszustand sowie die eitrigen Verletzungen am linken Fußgelenk bestätigt und zudem eine eitrige Lungenentzündung bei dieser Kuh diagnostiziert.“

3. Zufügung länger andauernder Leiden

„Zu Recht ist das Verwaltungsgericht … davon ausgegangen, dass dem Rind durch das Unterlassen der erforderlichen Behandlung länger andauernde Leiden zugefügt wurden. Notwendig, aber auch ausreichend für die Annahme von Leiden ist, dass das Wohlbefinden des Tieres über schlichtes Unbehagen, schlichte Unlustgefühle oder einen bloßen vorübergehenden Zustand der Belastung hinaus für eine nicht ganz unwesentliche Zeitspanne beeinträchtigt ist (vgl. BGH, Urteil vom 18.2.1987 – 2 StR 159/86 – NJW 1987, 1833, 1834; …).

Der tierschutzrechtliche Leidensbegriff setzt weiterhin nicht voraus, dass die Beeinträchtigung des Wohlbefindens nachhaltig ist … Das Verwaltungsgericht hat insoweit überzeugend ausgeführt, dass die über mehrere Tage andauernde beträchtliche Einschränkung des linken Fußgelenks mit eitrigen offenen Wunden über ein bloßes Unbehagen hinausgegangen und das Wohlbefinden des Rindes erheblich beeinträchtigt gewesen sei. Aufgrund des zeitlichen Umfangs der dem Rind verweigerten erforderlichen Behandlung von mehr als fünf Tagen handele es sich auch um länger anhaltende Leiden.“

Entnommen aus der Fundstelle Bayern 5/2023, Rn. 56.