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Ausländerrecht: Zur Unmöglichkeit der Abschiebung aufgrund des Verhaltens des Herkunftsstaates

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Ausländerrecht: Zur Unmöglichkeit der Abschiebung aufgrund des Verhaltens des Herkunftsstaates

§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG

Duldung; Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen Gründen; Verhalten des Herkunftsstaates; Aufnahmebereitschaft; Kooperationswille

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 28.11.2022, Az. 10 CE 22.2250, 10 C 22.2252

Orientierungssätze

1. Nicht jede geringe zeitliche Verzögerung infolge der notwendigen verwaltungsmäßigen Vorbereitungen einer Abschiebung führt schon zu deren Unmöglichkeit im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG.

2. Tatsächliche Unsicherheiten im Verkehr zwischen Herkunftsstaaten und Staaten, die Abschiebungen durchzuführen wünschen, sind grundsätzlich für sich allein nicht geeignet, die Unmöglichkeit einer Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu begründen.

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

1. Abschiebungen sind auf den Kooperationswillen und die Aufnahmebereitschaft des Herkunftsstaates (oder u.U. eines Drittstaates – vgl. nur BayVGH, Beschluss vom 25.07.2014, Az. 10 ZB 14.633, juris Rn. 6) angewiesen. Zu dieser Kooperation gehören in der Praxis auf Seiten des Herkunftsstaates insbesondere völkerrechtlich erforderliche Mitwirkungshandlungen, wie etwa Landeerlaubnisse bei Luftabschiebungen oder Rückführungsgenehmigungen bezüglich bestimmter Personen. Mitunter sind Abschiebungen durch die deutschen Behörden zwar bereits innerstaatlich vorbereitet, jedoch stehen diese Mitwirkungshandlungen durch den Herkunftsstaat noch aus, so dass dessen Aufnahmebereitschaft noch nicht abschließend geklärt ist.

2. Der vorliegende Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) befasst sich in Rn. 6 mit diesen Fragen im Rahmen der Prüfung einer Duldung wegen Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen Gründen (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG). So stellt er fest, dass nicht jede geringe zeitliche Verzögerung infolge der notwendigen verwaltungsmäßigen Vorbereitungen einer Abschiebung schon zu deren Unmöglichkeit führt (vgl. auch Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 60a AufenthG Rn. 22).

Solche tatsächlichen Unsicherheiten im Verkehr zwischen Herkunftsstaaten und Staaten, die Abschiebungen durchzuführen wünschen, seien für sich allein nicht geeignet, die Unmöglichkeit einer Abschiebung zu begründen. Anders liegt der Fall für den BayVGH – im Anschluss an die Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 02.06.2022, Az. 11 S 883/22, juris Rn. 22 = BeckRS 2022, 13329 Rn. 16) – aber dann, wenn angesichts konkreter Tatsachen davon auszugehen wäre, dass eine Abschiebung mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit an der fehlenden Aufnahmebereitschaft des Herkunftsstaates scheitern würde und lediglich eine durch Tatsachen nicht untermauerbare Hoffnung der zuständigen Ausländerbehörde besteht, eine geplante Abschiebung – bei objektiver Betrachtung wider Erwarten – doch noch zum angestrebten Abschluss zu bringen.

3. Der VGH Baden-Württemberg führt in dem vom BayVGH zitierten Beschluss vom 02.06.2022 (a.a.O.) hierzu noch weiter aus, dass zu solchen tatsächlichen Umständen es etwa zähle, wenn im konkreten Einzelfall für den betroffenen Ausländer notwendige Einreisedokumente (insbesondere ein Pass oder Passersatzpapier) nur unvollständig vorliegen oder ganz fehlten.

Auch die grundsätzliche Uneinigkeit der bilateral beteiligten Stellen über die Art und Weise der Durchführung von Abschiebungen, die generelle Weigerung des betreffenden Herkunftsstaats, bei Abschiebungen zu kooperieren, oder der auf eine bestimmte Person oder bestimmte Personengruppen bezogene Unwille des Herkunftsstaats, diesen eine Einreise zu ermöglichen, seien Anhaltspunkte, die auf die Unmöglichkeit einer bestimmten Abschiebung hindeuten können.

Zur Abgrenzung weist der VGH Baden-Württemberg (a.a.O.) darauf hin, dass die Unmöglichkeit einer Abschiebung im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aber nicht bereits dann anzunehmen ist, wenn Bemühungen um Abschiebungen in einen bestimmten Herkunftsstaat erfahrungsgemäß häufig scheitern.

4. Zusammenfassend kann also bildlich gesprochen werden: Steht in Bezug auf das Verhalten des Herkunftsstaates die Ampel für die Abschiebung auf „Grün“ (aufnahmebereit) oder jedenfalls auf „Gelb“ (Kooperation noch offen bzw. nicht abschließend geklärt) ist eine Abschiebung möglich, steht sie indes auf „Rot“ (keine Aufnahmebereitschaft) ist von einer Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen Gründen im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszugehen.

 

Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl ist bei der Landesanwaltschaft Bayern Ständiger Vertreter des Generallandesanwalts und schwerpunktmäßig u.a. zuständig für Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrecht, Polizei- und Sicherheitsrecht.

 

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