Aktuelles

Zu den Maßstäben sicherheitsrechtlicher Duldungsanordnungen in Dreiecksverhältnissen

© studio v-zwoelf – stock.adobe.com

Sicherheitsrecht: Zu den Maßstäben sicherheitsrechtlicher Duldungsanordnungen in Dreiecksverhältnissen

Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 4 LStVG, Art. 13 GG, Art. 106 Abs. 3 BV, § 16 Abs. 3 TierSchG

Bestandskräftige Duldung der Tötung von Hunden; Betretensduldung; Öffnungsgebot; Sedierungsduldung; Duldung des Abtransports; Unverletzlichkeit der Wohnung; Betriebsräume

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 27.12.2022, Az. 10 CS 22.1799

Orientierungssätze der LAB
  1. Zur Übertragbarkeit der für baurechtliche Dreieckskonstellationen entwickelten Maßstäbe auf sicherheitsrechtliche Duldungsanordnungen.
  2. Zum Beschränkungsverbot des Art. 7 Abs. 4 LStVG i.V.m. Art. 13 GG und Art. 106 Abs. 3 BV.
Hinweise

Im vorliegenden Beschluss hatte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) Gelegenheit, auf die Maßstäbe sicherheitsrechtlicher Duldungsanordnungen in Dreiecksverhältnissen (siehe I.) sowie auf das Beschränkungsverbot des Art. 7 Abs. 4 LStVG i.V.m. Art. 13 GG und Art. 106 Abs. 3 BV (siehe II.) einzugehen.

Anlass war eine gegenüber dem Halter und Eigentümer erlassene, bestandskräftige behördliche Anordnung zur Duldung der Tötung zweier Hunde, die von der Behörde vorübergehend in einem Tierheim untergebracht worden sind, dessen Betreiberin mit der Euthanasierung nicht einverstanden war. Die Behörde (im Folgenden: Antragsgegnerin) erließ sodann entsprechende Duldungsanordnungen gegen die Betreiberin des Tierheims (im Folgenden: Antragstellerin), die im vorliegenden gerichtlichen Eilverfahren hiergegen vorging.

I. Zu den Maßstäben sicherheitsrechtlicher Duldungsanordnungen in Dreiecksverhältnissen

1. Zum Rechtsinstitut der Duldungsanordnung in Dreiecksverhältnissen fasst der BayVGH die Rechtslage in Rn. 35 f. – instruktiv – zusammen:

Um Konflikte aufzulösen, die sich in der Dreieckskonstellation zwischen der Behörde, dem Adressaten einer (bestandskräftigen) Grundverfügung und einem von dem Regelungsgegenstand der Grundverfügung mitbetroffenen Dritten ergeben, habe sich das gesetzlich nicht kodifizierte Rechtsinstitut der Duldungsanordnung herausgebildet. Dazu habe sich im Baurecht eine Rechtsprechung entwickelt, die sich an der Funktion der Duldungsanordnung orientiere und nach dem Gewicht der betroffenen Interessen differenziere.

Danach ermögliche eine Duldungsanordnung die Zwangsvollstreckung der (bestandskräftigen) Grundverfügung. Im baurechtlichen Standardfall sei die gegenüber dem Eigentümer erlassene Beseitigungsanordnung zwar diesem gegenüber nach Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG vollstreckbar, könne jedoch gegenüber einem privaten Dritten, der in Bezug auf den Regelungsgegenstand dinglich oder obligatorisch berechtigt ist, mangels übereinstimmender Adressatenstellung und damit Vollstreckungsschuldnerschaft nicht vollstreckt werden (vgl. Art. 37 Abs. 1 Satz 1 VwZVG: „Verpflichtung“ und Art. 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG: „Pflichtigen“). Ohne eine Duldungsanordnung an den Dritten fehle es diesem gegenüber in der Zwangsvollstreckung an dem erforderlichen zu vollstreckenden Verwaltungsakt, dem Grundverwaltungsakt.

Die Duldungsanordnung habe daher den Zweck, tatsächlich und rechtlich den Widerstand zu überwinden, den der Dritte der Durchsetzung der Grundverfügung entgegensetze. Dabei werde im Falle einer Duldungsanordnung gegenüber einem dinglich Berechtigten nicht nur die Wirksamkeit, sondern auch die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Beseitigungsanordnung geprüft. Dagegen werde bei einer Duldungsanordnung gegenüber einem lediglich obligatorisch Berechtigten lediglich die Wirksamkeit, nicht aber die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Beseitigungsanordnung geprüft (vgl. grundlegend BayVGH, Beschluss vom 12.03.2012, Az. 1 CS 12.282, juris Rn. 16 unter Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 13.07.1994, Az. 4 B 129.94, juris Rn. 4).

Diese nach dem Gewicht der betroffenen Interessen differenzierende Auffassung erlaube es, die verschiedenen Interessen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Die Auffassungen, wonach stets die Rechtmäßigkeit (vgl. BayVGH, Beschluss vom 16.04.2007, Az. 14 CS 07.275, juris Rn. 17) beziehungsweise stets nur die Wirksamkeit der bestandskräftigen Grundverfügung (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 147. EL August 2022, Art. 76 Rn. 415 m.w.N.) zu prüfen ist, hätten sich in der Rechtsprechung nicht durchgesetzt.

2. Hieraus zieht der BayVGH (Rn. 38) für den vorliegenden Fall den Schluss, dass die vorgenannten für baurechtliche Dreieckskonstellationen entwickelten Maßstäbe auf die vorliegende Konstellation sicherheitsrechtlicher Duldungsanordnungen angesichts der vergleichbaren Interessenlage weitgehend übertragbar seien. Der gegenüber dem Halter und Eigentümer der Hunde erlassene bestandskräftige Verwaltungsakt sei zwar diesem gegenüber nach Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG vollstreckbar, könne jedoch gegenüber der Antragstellerin mangels übereinstimmender Adressatenstellung und damit Vollstreckungsschuldnerschaft nicht vollstreckt werden (s.o.). Die sicherheitsrechtlichen Anordnungen hätten im vorliegenden Fall den Zweck, den Widerstand der Antragstellerin, welche die Hunde in tatsächlichem Gewahrsam habe, zu überwinden.

3. Im Folgenden (Rn. 39) stellt der BayVGH fest, dass die Antragstellerin aktuell weder dinglich noch obligatorisch zum Besitz der Hunde berechtigt ist und insoweit auch sonst keine schützenswerte Rechtsposition mehr erkennbar ist.

a. Zwar sei sie zunächst infolge der von der Antragsgegnerin vorgenommenen Sicherstellung von dieser abgeleitet zum unmittelbaren (Fremd-)Besitz der Hunde berechtigt gewesen. Die Antragstellerin sei jedoch in dem Moment, als sie gegenüber der Antragsgegnerin erklärte, dass sie die Hunde nicht herausgeben würde, zum unberechtigten (Eigen-)Besitzer geworden (wird in Rn. 39-42 ausgeführt). Aus dieser Stellung heraus sei es der Antragstellerin erst recht verwehrt, sich gegenüber der Antragsgegnerin auf die geltend gemachte Rechtswidrigkeit der an den Eigentümer und Halter gerichteten
Tötungsduldung zu berufen.

b.  Eine schützenswerte Rechtsposition ergebe sich auch nicht aus den Vorschriften des Tierschutzgesetzes (TierSchG), u.a. auch deswegen, weil diese Dritten kein subjektives Recht auf Durchsetzung der Schutzbestimmungen gewährten (vgl. Rn. 43).

c.  An der Sache vorbei gehe der Einwand, der Tierschutz sei, obwohl es sich um ein Rechtsgut der Allgemeinheit handele, strafrechtlich notstands- und not-
hilfefähig. Die Frage, ob ein Tun oder Unterlassen einer Person nachträglicher strafrechtlicher Sanktionierung unterfalle, stelle ein aliud dar zu der hier zu klärenden Frage der Rechtmäßigkeit einer präventiv zur Gefahrenabwehr erlassenen Duldungsanordnung (vgl. Rn. 44).

4.  Damit wäre im vorliegenden Fall das Prüfprogramm des Gerichts bei den gegen über dem Tierheim ergangenen Duldungsanordnungen auf die Wirksamkeit der Grundverfügung (Tötungsduldung) beschränkt, ihre Rechtmäßigkeit würde nicht geprüft. Trotzdem erörtert der BayVGH – im Rahmen des nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO allein zu prüfenden Beschwerdevorbringens – auch noch deren Rechtmäßigkeit, die er mit umfangreicher Begründung (Rn. 45-59) bejaht.

II. Zum Beschränkungsverbot des Art. 7 Abs. 4 LStVG i.V.m. Art. 13 GG und Art. 106 Abs. 3 BV

Als weiteres Problem stellten sich die beiden (zeitlich bestimmten) Anordnungen dar, dass die Betreiberin des Tierheims verpflichtet sei, das Betreten der Grundstücke und Räumlichkeiten im Tierheim durch Vertreter der Behörde zu dulden, und verschlossene Türen und Zwinger zu öffnen seien, da nach Art. 7 Abs. 4 LStVG durch Maßnahmen auf Grund von Art. 7 Abs. 2 und Abs. 3 LStVG unter anderen die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG und Art. 106 Abs. 3 BV) nicht eingeschränkt werden darf.

Daher hatte der BayVGH zu prüfen, ob die Grundstücke und Räumlichkeiten des Tierheims überhaupt in den Schutzbereich des Art. 13 GG bzw. Art. 106 Abs. 3 BV fallen (siehe 1.) und ob – wenn ja – in diesen Schutzbereich eingegriffen wird (siehe 2.). Beides wird vom Gericht mit ausführlicher Begründung (Rn. 62-75) bejaht.

1. Dabei legt der BayVGH zugrunde, dass der Schutzbereich der Wohnung mit Blick auf die Entstehungsgeschichte sowie den Sinn und Zweck der Norm weit auszulegen ist und – neben der Wohnung im engeren Sinne – auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume umfasst (Rn. 64). Hiervon geschützt seien auch diejenigen Teile der Betriebsräume oder des umfriedeten Besitztums, die der Inhaber aus eigenem Entschluss der Öffentlichkeit zugänglich gemacht habe. Im Rahmen der Prüfung der Rechtfertigung von Eingriffen und Beschränkungen würden dann allerdings abgestufte Anforderungen gelten. Je größer die Offenheit der Räume nach außen sei und je mehr sie zur Aufnahme sozialer Kontakte für Dritte bestimmt seien, desto schwächer werde der grundrechtliche Schutz (vgl. Rn. 65).

Schließlich gelangt der BayVGH zu dem Schluss, dass die durch die beiden Anordnungen betroffenen Bereiche im Tierheim der Antragstellerin vom Schutz des Art. 13 Abs. 1 GG umfasst seien (wird in Rn. 67 ausgeführt und zu Art. 106 Abs. 3 BV offengelassen).

2. Die beiden Anordnungen würden – so der BayVGH (Rn. 68) – auch in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG eingreifen. Eingriffe und Beschränkungen staatlicher Stellen seien zu bejahen, wenn das Betreten oder Verweilen in der Wohnung bzw. geschützten Räumen und Flächen vom Willen des (zivilrechtlich) Berechtigten nicht gedeckt sei. Die fehlende Einwilligung sei gleichsam ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Die Behörde erzwinge im vorliegenden Fall Zugang zu den geschützten Bereichen.

Auf entsprechende Einwände der Antragstellerin stellt der BayVGH (Rn. 70, 72) fest:

a. Der Anwendbarkeit des Art. 7 Abs. 4 LStVG stehe insbesondere nicht ein Betretungsrecht der Behörde aus 16 Abs. 3 TierSchG entgegen. Zwar könne die zuständige Tierschutzbehörde, die nach § 16a TierSchG eine Duldungsanordnung erlasse, sich auf das Betretungsrecht des § 16 Abs. 3 TierSchG berufen, die Behörde habe den streitbefangenen Bescheid jedoch auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG gestützt und halte daran offenkundig fest.

Der konkrete Lebenssachverhalt zeichne sich im vorliegenden Fall dadurch aus, dass die Behörde zur Abwehr von Gefahren durch Hunde, nicht zur Abwehr von Gefahren für die Hunde tätig geworden sei, und auch nicht lediglich zur (Routine-) Kontrolle eines Tierheims. Wäre dies anders, ginge das besondere Sicherheitsrecht nach Art. 7 Abs. 2 LStVG der allgemeinen sicherheitsrechtlichen Generalklausel vor, mit der Folge, dass sämtliche getroffenen Regelungen und Zwangsmittel aus diesem Grunde materiell rechtswidrig wären (vgl. zur Abgrenzung: BayVGH, Urteil vom 25.10.2022, Az. 10 B 21.2747, juris Rn. 24 ff.).

b. Die Behörde könne sich ferner nicht auf 13 Abs. 7 GG berufen (vgl. Rn. 73). Zum einen würde dies bereits nichts daran ändern, dass der bayerische Gesetzgeber die allgemeine Sicherheitsbehörde, die aufgrund von Art. 7 Abs. 2 und Abs. 3 LStVG agiere, durch Art. 7 Abs. 4 LStVG von Beschränkungen und Eingriffen in Art. 13 GG ausgeschlossen habe, zum andern erfasse Art. 13 Abs. 7 GG lediglich diejenigen Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG, die nicht als Durchsuchungen (oder Einsatz technischer Mittel) zu qualifizieren seien. Dies sei indes hier nicht der Fall (wird in Rn. 74 f. ausgeführt).

 

Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl ist bei der Landesanwaltschaft Bayern Ständiger Vertreter des Generallandesanwalts und schwerpunktmäßig u.a. zuständig für Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrecht, Polizei- und Sicherheitsrecht.

 

Weitere Beiträge der LAB.

Die auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisierten Juristinnen und Juristen der Landesanwaltschaft Bayern stellen monatlich eine aktuelle, für die Behörden im Freistaat besonders bedeutsame Entscheidung vor.