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Versammlungsrecht: Kein Fahrradkorso auf der Bundesautobahn A8

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Versammlungsrecht: Kein Fahrradkorso auf der Bundesautobahn A8 nahe Augsburg  

Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 8 Abs. 1 GG, Art. 15 Abs. 1 BayVersG

Versammlungsrechtliche Beschränkung; Fahrraddemonstration auf Autobahnteilabschnitt BAB 8; Änderung der Streckenführung (ohne Autobahnabschnitt); Gefahrenprognose; Abwägung zur Herstellung praktischer Konkordanz

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 12.05.2023, Az. 10 CS 23.847

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

Mit dem vorliegenden Beschluss hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) eine Beschwerde in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zurückgewiesen, mit der die Antragstellerin die Durchführung einer Fahrraddemonstration auf einem Teilabschnitt der Bundesautobahn A8 (kurz: A8) nahe Augsburg durchsetzen wollte.

1. Mit Beschluss vom 24.03.2023 (Az. 10 CS 23.575, juris) hatte der Senat eine Versammlung in Form einer Abseilaktion von einer Brücke über die Bundesautobahn A9 (kurz: A9) sowie eines Fahrradkorsos auf einem Teilstück am Ende der A9 im Stadtgebiet der Landeshauptstadt München mit der Maßgabe einer zeitlichen Beschränkung auf 45 Minuten zugelassen. Dadurch ermutigt, hatte die Antragstellerin u.a. für den 14.05.2023 zwischen 15:00 Uhr und 15:50 Uhr eine Versammlung angezeigt, die als Fahrradkorso über ein Teilstück der A8 zwischen den Anschlussstellen Augsburg-West und Friedberg, mindestens aber zwischen Augsburg-Ost und Friedberg stattfinden sollte unter dem Thema „Für wöchentliche autofreie Tage auf der A8, bei denen die A8 zur Fahrradstraße umgewidmet wird, ein Tempolimit von 80 km/h auf der A8 und für eine Ablehnung des Landes Bayern zum beschleunigten Ausbau der A8, wie er von der Bundesregierung vorgeschlagen wurde, und gegen Verbote von Fahrraddemonstrationen auf der A8“.

Die Stadt Augsburg als Versammlungsbehörde hatte eine alternative Streckenführung des Fahrradkorsos angeordnet und diesen von der A8 auf nachgeordnete Straßen in Sichtweite der Autobahn verlegt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass bei Befahren eines Teilabschnitts der A8 im Bereich zwischen Augsburg-West und Friedberg durch die angezeigte Fahrraddemonstration nach den eingeholten Stellungnahmen der beteiligten Fachstellen eine Vollsperrung der Autobahn von nahezu 4,5 Stunden erforderlich sei, das nachgeordnete Straßennetz als Ausweich- bzw. Umfahrungsstrecke nicht geeignet sei und es infolge der aufgrund der Vollsperrung zu erwartenden massiven Staubildungen und Verkehrsstörungen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu konkreten Gefahren für Leben und Gesundheit, Eigentum, Berufsausübung sowie Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs bei einer Vielzahl unbeteiligter Dritter kommen werde, darunter auch zu einer Beeinträchtigung der An- und Abfahrt des Uniklinikums (mit Kinderklinik) und des Josefinums.

Dieser Bewertung war das Verwaltungsgericht gefolgt. Die der angegriffenen Beschränkung zu Grunde liegende Gefahrenprognose begegne keinen durchgreifenden Bedenken. Es entspreche der praktischen Konkordanz zwischen der Versammlungsfreiheit der Antragstellerin und den durch die Versammlung betroffenen Rechtsgütern, den Streckenverlauf der Fahrraddemonstration wie angeordnet zu verändern. In ihrer Beschwerdebegründung hatte sich die Antragstellerin auf den o.g. Beschluss des Senats vom 24.03.2023 berufen; die Situation sei eindeutig vergleichbar. Auch sei insbesondere keine Sperrung beider Richtungsfahrbahnen geboten. Die Sperrdauer sei zudem künstlich „aufgeblasen“; kurzfristige Autobahnsperrungen entsprächen vielmehr polizeilicher Routine. Die Landesanwaltschaft Bayern hatte sich als Vertreter des öffentlichen Interesses am Verfahren beteiligt und die Kritik der Antragstellerin an der behördlichen Gefahrenprognose zurückgewiesen.

2. Der BayVGH ist dem Beschwerdevorbringen nicht gefolgt.

Die beiden Fälle unterscheiden sich grundlegend in tatsächlicher Hinsicht: Der Münchner Fall war u.a. durch besondere verkehrliche Gegebenheiten geprägt, wegen derer der gewählte, kurze Autobahnabschnitt „funktional eher dem einer großen innerstädtischen Straße“ entsprach (besondere Lage unmittelbar vor dem Ende der Autobahn und innerhalb der bereits geschlossenen Ortslage, ohnehin geltende Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h).

Zudem standen leistungsfähige Ausweichmöglichkeiten im Raum und kam die Prognose einer deutlich geringeren Verkehrslast im innerstädtischen Straßennetz am gewählten Versammlungstag hinzu sowie die Annahme, dass die vorrangig betroffene ortsansässige und ortskundige Bevölkerung Hinweisen zu Umfahrungen grundsätzlich nachkommen könne. Im vorliegenden Fall ging es demgegenüber gerade um den mindestens 2 km langen Teilabschnitt einer Bundesautobahn „im herkömmlichen Sinn“ (sechsspuriger Ausbauzustand, Teilabschnitt „auf freier Strecke“), mit einer hohen Verkehrsbelastung am Versammlungstag und fehlenden leistungsfähigen Bedarfsumleitungen (Rn. 17, Rn. 21; Beschluss vom 24.03.2023, Az. 10 CS 23.575, juris Rn. 19-21).

Hervorzuheben ist weiter, dass der Senat wichtige Bestandteile der behördlichen Gefahrenprognose bestätigt hat: So teilt der Senat zwar – insbesondere wegen der geringeren Fahrzeit sowie des geringeren Aufwands der Sperrmaßnahmen bei verkürzter Streckenführung lediglich zwischen den Anschlussstellen Augsburg-Ost und Friedberg – nicht die behördliche Gefahrenprognose, dass eine Vollsperrung der A8 für einen Zeitraum von bis zu 4,5 Stunden bei Durchführung der Versammlung erforderlich sei.

Das Gericht erkennt aber an, dass die unter ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen notwendigen Schritte für die Vollsperrung der Autobahn und deren Abbau anknüpfend an eingebrachte Erfahrungswerte wahrscheinlich zu einer Sperrdauer von zwei bis zweieinhalb Stunden führen würden (Rn. 19). Dieses Zeitfenster lasse sich auch nicht durch polizeiliche ad hoc-Sperrmaßnahmen (wie bei plötzlichen Verkehrsunfällen oder anderen unvorhergesehenen Vorfällen) verkürzen, denn diese wären zwangsläufig mit einer erhöhten Gefährdung der eingesetzten Polizeikräfte verbunden und stellten daher keine ernsthafte Alternative dar. Die Antragstellerin könne nicht verlangen, dass sich Polizeivollzugsbeamte zur Verwirklichung ihres Anliegens in vermeidbare Gefahren begeben. Auch die Notwendigkeit einer sorgfältigen Kontrolle und gegebenenfalls erforderlichen Fahrbahnreinigung nach Ende einer Fahrraddemonstration von Autobahngegnern sei für den Senat ohne Weiteres einleuchtend (Rn. 20). Zu beiden Punkten hatte die Landesanwaltschaft durch die Vorlage ergänzender polizeilicher Bewertungen vorgetragen.

Klargestellt haben indes sowohl das Verwaltungsgericht als auch der BayVGH, dass die Frage einer Kostenverteilung für ggf. von der Autobahn GmbH veranlasste Sperrmaßnahmen für die Gefahrenprognose keine Rolle spielt (Rn. 20).

Weiter teilt der Senat die behördliche Annahme, dass wegen der Gefahr von Auffahrunfällen eine Vollsperrung des durch die Fahrraddemonstration betroffenen Autobahnabschnitts in beiden Fahrtrichtungen nötig wäre. Auch aufgrund der Erfahrungen mit bisherigen Fahrraddemonstrationen bzw. Fahrrad-Sternfahrten (zuletzt des ADFC München am 23.04.2023 auf einer Teilstrecke der A 96) könne es bei einem Fahrradkorso auf einer Bundesautobahn (auch) hinsichtlich des Verkehrs auf der Gegenfahrbahn gerade bei hoher Verkehrsdichte und hohen Fahrgeschwindigkeiten zu gefährlichen Situationen und Verkehrsunfällen kommen, denen Geschwindigkeitsbegrenzungen auf der Gegenfahrbahn nicht adäquat entgegenwirken könnten (Rn. 16). Die behördliche und erstgerichtliche Gefahrenprognose sei daher im Ergebnis genauso wenig zu beanstanden wie die erfolgte Güterabwägung zur Herstellung praktischer Konkordanz.

Hinsichtlich der Güterabwägung spricht der Senat ausdrücklich die konstituierende Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die freiheitlich- demokratische Grundordnung sowie das Gewicht des Versammlungsanliegens in einer die Gesellschaft wesentlich berührenden Frage an (vgl. bereits Beschluss vom 24.03.2023, Az. 10 CS 23.575, juris Rn. 35). Dem steht aber gegenüber, dass die angeordnete Alternativroute in Sichtverbindung zu der Autobahn einen Beachtungserfolg der Versammlung ermöglicht, so dass die prognostizierten konkreten Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs und in diesem Zusammenhang betroffener Rechte Dritter, insbesondere der höchstrangigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit (s. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) anderer Verkehrsteilnehmer, in der Abwägung überwogen (Rn. 14-15, 22).

3. Die Entscheidung zeigt, dass der o.g. Beschluss des Senats vom 24.03.2023 gerade nicht „Tür und Tor“ für allfällige Versammlungen auf jedweden Abschnitten von Bundesautobahnen unabhängig von den Umständen des Einzelfalles geöffnet hat. Bei tragfähiger behördlicher Gefahrenprognose wird insoweit die Güterabwägung ggf. durchaus zu Lasten der angezeigten Versammlung ausgehen können.

 

Oberlandesanwalt Martin Höfler ist bei der Landesanwaltschaft Bayern schwerpunktmäßig u.a. zuständig für Wasserrecht, Versammlungsrecht, Lotterierecht, Tierseuchenrecht.

 

 

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