Rechtsprechung Bayern

Kostenüberdeckung durch fehlerhafte Gebührenkalkulation

Im unten vermerkten Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 27.6.2023 ging es um einen Normenkontrollantrag gegen eine Abfallgebührensatzung. Der Antragsteller trug vor, die zugrundeliegende Gebührenkalkulation für die Jahre 2015 bis 2018 sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft gewesen, so dass sich eine erhebliche Kostenüberdeckung ergebe.

Mit Urteil vom 17.8.2017 (Az. 4 N 15.1695, GKBay Randnummer 17/ 2018, BayVBl 2018, 343) lehnte der VGH den Antrag ab und führte zur Begründung aus, die Sollvorschrift des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 KAG eröffne dem Satzungsgeber einen Spielraum dahingehend, dass geringfügige Überschreitungen als unbeabsichtigte Folge prognostischer Unsicherheiten in Höhe von bis zu 12 % grundsätzlich keine Verletzung des Kostenüberdeckungsverbots darstellten; diese Fehlertoleranz sei hier nicht ausgeschöpft worden. Auf die Revision des Antragstellers hob das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 27.11.2019 (Az. 9 CN 1.18, BVerwGE 167, 117) das Normenkontrollurteil vom 17.8.2017 auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurück. Einer Toleranzschwelle in Höhe von 12 % fehle es mit Blick auf die damit verbundene Einschränkung der Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) an einer nachvollziehbaren Rechtfertigung. Der VGH führte daraufhin das Verfahren fort und stellte mit Urteil vom 27.6.2023 die Unwirksamkeit der Abfallgebührensatzung fest. Seine Entscheidung beruht auf folgenden, über den konkreten Fall hinausweisenden Gründen:

Bei der gerichtlichen Prüfung, ob eine Gebührenkalkulation für eine Benutzungsgebühr gegen das Kostenüberdeckungsverbot des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 KAG verstößt, ist der Zeitpunkt des Satzungserlasses maßgeblich

Einleitend stellt das Gericht klar, dass es auch nach Ablauf einer Kalkulationsperiode weiterhin auf die ursprünglich bestehenden Umstände ankommt: „Die zugrundeliegende Gebührenkalkulation ist am Maßstab des kommunalabgabenrechtlichen Kostenüberdeckungsverbots zu messen. Die Kalkulation für die streitgegenständliche Satzung widerspricht dieser gesetzlichen Vorgabe. Sie enthält Kalkulationsfehler, aus denen sich eine nicht nur geringfügige Kostenüberdeckung ergibt.

Das Aufkommen aus den Benutzungsgebühren für eine öffentliche Einrichtung soll zum einen gemäß Art. 8 Abs. 2 Satz 1 KAG die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten decken. Es soll zum anderen nach Satz 2 dieser Vorschrift die Kosten nach Satz 1 nicht übersteigen, wenn die Schuldner zur Benutzung verpflichtet sind.

Das Kostenüberdeckungsverbot ist auf die Gebührenerhebung aufgrund der angegriffenen Satzung vom 30.7.2014 für die Benutzung der öffentlichen Abfallentsorgungseinrichtung des Antragsgegners anzuwenden (Art. 7 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 BayAbfG i.V.m. Art. 8 Abs. 2 Satz 2 KAG). Bei der Prüfung, ob eine Gebührenkalkulation gegen dieses gesetzliche Verbot verstößt, ist der Zeitpunkt des Satzungserlasses maßgeblich. Der Satzungsgeber hat auf Grundlage der zu diesem Zeitpunkt bekannten Tatsachen eine vertretbare Prognose darüber anzustellen, mit welchem Gebührenbedarf und -aufkommen im Bemessungszeitraum zu rechnen ist, und bei der Gebührenkalkulation das Überdeckungsverbot als Veranschlagungsmaxime zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass die im Zeitpunkt des Satzungserlasses vorhersehbaren Gebühreneinnahmen nicht höher sein sollen als die zum gleichen Zeitpunkt vorhersehbaren Kosten (BayVGH, U. v. 29.3.1995 – 4 N 94.235 – juris Rn. 20). Eine Kostenüberdeckung, die nicht auf einem Kalkulationsfehler, sondern auf einer Abweichung der tatsächlichen Entwicklung der Ausgaben und Einnahmen im Bemessungszeitraum von einer vertretbaren Prognose beruht, begründet keinen Verstoß gegen das Kostenüberdeckungsverbot. Ein Verstoß liegt jedoch stets dann vor, wenn der Satzungsgeber mit der Kostenschätzung und Beitragsbemessung nicht die Einhaltung des Kostenüberdeckungsverbots, sondern die Erzielung eines Überschusses anstrebt.“

Verstöße gegen das Kostenüberdeckungsverbot aufgrund von Kalkulationsfehlern dürfen gerichtlich nicht beanstandet werden, wenn der fehlerbedingte Überschuss geringfügig ist

Dies ergibt sich aus den Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung: „Die Sollvorschrift des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 KAG ist dahingehend auszulegen, dass eine geringfügige Kostenüberdeckung infolge unbeabsichtigter Kalkulationsfehler keinen Rechtsverstoß begründet, der die Unwirksamkeit der betreffenden Beitragssatzung zur Folge hätte.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 27.11.2019 – 9 CN 1.18 – BVerwGE 167, 117 Rn. 33 ff.; U. v. 17.4.2002 – 9 CN 1.01 – BVerwGE 116, 188 Rn. 38) muss bei der Bemessung einer solchen Fehlertoleranzschwelle ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen dem durch Art. 28 Abs. 2 GG geschützten kommunalen Satzungsermessen einerseits und der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG andererseits gefunden werden. Es müsse möglichst vermieden werden, dass eine allzu rigorose Kontrollpraxis der Gerichte zu einem ,unkalkulierbaren Wagnis‘ für die Satzungsgeber werde. Ein geringfügiger fehlerbedingter Überschuss könne nicht als unzulässig beanstandet werden. Allerdings sei eine Toleranzschwelle, die sich nicht auf geringfügige Überdeckungen infolge von Kalkulationsfehlern beschränke, mit Blick auf die mit der Fehlertoleranz verbundene Einschränkung der Rechtsschutzgarantie ohne nachvollziehbare Rechtfertigung. Für eine Anwendung auf echte Kalkulationsfehler sei die Fehlertoleranzschwelle von 12 %, wie sie in der bisherigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs anerkannt war (vgl. zuletzt U. v. 17.8.2017 – 4 N 15.16854)− BayVBl 2018, 343 Rn. 24), zu hoch. Sie stelle einen ,Ausreißer‘ im Vergleich zu der von anderen Oberverwaltungsgerichten anerkannten Spanne von 3 bis 5 % dar. ,Geringfügig‘ bedeute unbedeutend, nicht ins Gewicht fallend. Das möge auf eine Fehlertoleranz in einer Größenordnung von bis zu 5 % zutreffen.“

[…]

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in Gemeindekasse Bayern Heft 22/2023, Rn. 206.