Rechtsprechung Bayern

Unterbringung

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Sachverhalt:

Die Beschwerde, mit der sich die Beschwerdeführerin gegen die Genehmigung ihrer Unterbringung und ihrer Zwangsbehandlung nach BayPsychKHG richtete, war teilweise erfolgreich. Auf die Beschwerde wurde die Genehmigung der oralen Neuroleptika und der Fixierung zur Gabe der Medikamente aufgehoben. Zudem wurde die Zwangsbehandlung allein im eingeschränkten Umfang angeordnet.

BayPsychKG – Art. 5, 20

Art. 5 Abs. 1 BayPsychKHG ist insofern einschränkend auszulegen, dass die Unterbringung nur möglich ist, wenn die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit aufgehoben ist.

Landgericht Regensburg (Beschl. v. 20.03.2023 – 53 T 76/23 – Verlags-Archiv Nr. 24-01-10)

Aus den Gründen:
[33] Die zulässige Beschwerde führt zur teilweisen Aufhebung und Abänderung des Beschlusses. Hinsichtlich der Anordnung der Unterbringung und der Zwangsbehandlung im Allgemeinen ist die Beschwerde aber nicht erfolgreich. [34] 1. Zur Abweisung der Beschwerde gegen die Unterbringung: [35] Die Beschwerde ist unbegründet, die Entscheidung des Amtsgerichts trifft weiter zu.

[36] Wer auf Grund einer psychischen Störung, insbesondere Erkrankung, sich selbst, Rechtsgüter anderer oder das Allgemeinwohl erheblich gefährdet, kann ohne oder gegen seinen Willen untergebracht werden, es sei denn, seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ist nicht erheblich beeinträchtigt, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayPsychKHG.

[37] Dabei ist der Gesetzestext insofern einschränkend auszulegen, als die Unterbringung nur möglich ist, wenn die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit aufgehoben ist. Dazu der BGH: „Eine öffentlich-rechtliche Unterbringung nach Art. 5 I 1 BayPsychKHG setzt in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift voraus, dass die freie Willensbestimmung des Betroffenen aufgehoben ist.“ (…)

[38] Zum Begriff der erheblichen Gefahr des § 1 UnterbrG hat das BayObLG und weiterhin gültig zutreffend ausgeführt: „Die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ist in erheblichem Maß gefährdet, wenn mit der Beeinträchtigung eines entsprechenden Rechtsguts mit hoher Wahrscheinlichkeit und jederzeit zu rechnen ist und die Schutzwürdigkeit des gefährdeten Rechtsguts der Schwere des mit einer Unterbringung verbundenen Eingriffs in die persönliche Freiheit entspricht.“ (…)

[39] Dieser Gefahrenbegriff ist weiter aktuell, wie sich aus den Ausführungen des Gesetzgebers ergibt: „Da es sich um eine Befugnisvorschrift handelt, ist unter dem Gefahrenbegriff eine konkrete Gefahr zu verstehen. Unter einer konkreten Gefahr ist eine Sachlage zu verstehen, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung der in Abs. 1 Satz 1 genannten Schutzgüter führt. Bei Eingriffen in die Freiheit der Person ist der Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts aus verfassungsrechtlichen Gründen besonders sorgsam zu prüfen. Je bedeutsamer das gefährdete Rechtsgut ist und je größer und folgenschwerer der drohende Schaden ist, desto geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu beachten. Nach dieser Maßgabe gilt Folgendes: Eine Beeinträchtigung von Rechtsgütern muss mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein.

[40] Die Feststellung einer hundertprozentig sicheren Prognose ist nicht erforderlich. Für die Gefahrenprognose maßgeblich sind insbesondere die Persönlichkeit der betroffenen Person, ihr früheres Verhalten, ihre aktuelle Befindlichkeit und die zu erwartenden Lebensumstände. Bei Unberechenbarkeit des Verhaltens einer Person mit einer psychischen Störung im Sinn des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 ist es ausreichend, wenn mit einer Beeinträchtigung von Rechtsgütern jederzeit zu rechnen ist.

[41] Durch die Gesetzesformulierung ‚erheblich‘ wird vorausgesetzt, dass die Gefahr von erheblichem Gewicht sein muss. Die Schutzwürdigkeit der gefährdeten Rechtsgüter muss der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit entsprechen.“ (…)

[42] Diese Gefahr liegt vor. Die Beschwerdeführerin hat auch in der Anhörung durch die Kammer zu erkennen gegeben, dass sie überall Pädophile erkennt und hat auch zugegeben, dass sie den Priester in Amberg geschlagen hatte. Insgesamt erblickt die Beschwerdeführerin Ungerechtigkeiten allerorten und fühlt sich dazu berufen, dagegen einzuschreiten. Es ist daher jederzeit mit der Umsetzung von angekündigter Gewalt gegen vermeintlich Pädophile durch die Beschwerdeführerin zu rechnen, insbesondere wenn sich die Beschwerdeführerin in einem solchen Konflikt bedroht fühlt. Aufgrund dessen, dass die Beschwerdeführerin überall Pädophile erblickt, auch in Amberg in der Fußgängerzone, ist jederzeit mit derartigen Taten zu rechnen, insbesondere nach alkoholbedingter Enthemmung.

[44] Diese Gefahr ist auch eine erhebliche im oben dargestellten Sinn. Zwar ist aktuell in der Unterbringung und aufgrund der Medikation eine gewisse Beruhigung der Beschwerdeführerin eingetreten, die Wahninhalte sind allerdings weiterhin präsent und es ist keinesfalls damit zu rechnen, dass die Beschwerdeführerin nach Entlassung freiwillig Medikamente einnehmen würde. Nur mit der Einnahme solcher Medikamente aber kann die Gefahr unter die Schwelle der Erheblichkeit gesenkt werden.

[45] Angesichts der bedrohten körperlichen Unversehrtheit von unbeteiligten Dritten ist die Unterbringung auch verhältnismäßig angesichts des Freiheitsrechts der Beschwerdeführerin.

[46] Die Unterbringung wird auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil über mehrere Wochen keine Zwangsbehandlung durchgeführt wurde. Eine solche wurde bereits am 17.01.2023 beantragt. Zuvor hatte die Beschwerdeführerin am 12.01, 15.01 und 16.01.2023 zur Einnahme von Medikation überzeugt werden müssen. Angesichts der Notwendigkeit von Überzeugungsversuchen wäre daher ein früherer Antrag nicht zielführend gewesen.

[47] Das gilt auch für die derzeit genehmigte Unterbringungsdauer. Derzeit ist unklar, ob die Beschwerdeführerin sich am 23.03.2023 wiederum freiwillig ein Depot geben lassen wird oder ob sie Einzeldosen verlangen wird. Sollte sie ein Depot akzeptieren, kann nach Ansicht der behandelnden Oberärztin wegen des dann erreichten medikamentösen Schutzes für weitere 2 Wochen eine Entlassung erfolgen. Sollte dies nicht passieren, wird mit einzelnen Dosen die Zwangsmedikation erfolgen müssen, bis die Beschwerdeführerin sich weiter stabilisiert hat. Daher ist die Genehmigung über 6 Wochen aktuell nicht zu beanstanden, weil ungewiss ist, wie sich die Situation insoweit entwickelt.

[48] Diese Gefahr beruht auf der sachverständig festgestellten paranoidhalluzinatorischen Schizophrenie. Insoweit schließt sich die Kammer den Ausführungen des Amtsgerichts an. Die Symptome waren auch in der Anhörung durch die Kammer deutlich vorhanden und die Wahninhalte führen zu den fremdgefährlichen Handlungen der Beschwerdeführerin.

[49] Der freie Wille der Beschwerdeführerin ist vollständig aufgehoben. Der freie Wille bezieht sich nach Ansicht der Kammer auf die Möglichkeit der Beschwerdeführerin, ihre eigene Fremdgefährdung zu erkennen oder zu steuern. Die Beschwerdeführerin kann nicht erkennen, dass die von ihr wahrgenommen pädophilen Handlungen nicht wirklich stattgefunden haben und sie fühlt sich aufgrund ihrer Erkrankung dazu berufen, gegen diese Taten einzuschreiten und Selbstjustiz zu üben. Das vermag sie nicht zu erkennen und es fehlt ihr daher der freie Wille.

[51] 2. Zur Zwangsbehandlung:

[52] Soweit die tägliche intramuskuläre Gabe von 20 mg Olanzapin angeordnet ist, ist die Beschwerde unbegründet. Die Genehmigung weiterer Medikamente ist jedoch aufzuheben.

[53] a) Zur Ablehnung der Beschwerde gegen die Zwangsbehandlung mit Olanzapin intramuskulär:

[54] Die Behandlung mit Olanzapin intramuskulär ist nach Art. 20 Abs 3 Nr. 1 BayPsychKHG erforderlich, um die „Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der untergebrachten Person wiederherzustellen“ und weil „ohne die Maßnahme ihre Entlassung nicht möglich sein wird“.

[60] b) Zu 1a und 1b: teilweise Aufhebung des Beschlusses und Ergänzung hinsichtlich des Depots:

[61] Der Beschluss war hinsichtlich der Genehmigung der oralen Neuroleptika aufzuheben.

[62] Ausweislich der telefonischen Mitteilung der zuständigen Oberärztin und dem Ergebnis der Anhörung hat sich die Beschwerdeführerin in Abstimmung mit den Ärzten, nachdem sie einige Tage orale Medikamente genommen hatte, für eine intramuskuläre Gabe von Olanzapin entschieden, und zwar einmalig als Einzeldosis und am 09.03.2023 erstmals als Depot für 2 Wochen.

[63] Mangels entsprechendem Sachverständigengutachten kann die Kammer die Genehmigung nicht auf die Depotmedikation ändern. Allerdings ist klarzustellen, dass eine Zwangsbehandlung mit weiteren Dosen nicht erfolgen darf, solange das Depot noch wirksam ist. Es steht der Beschwerdeführerin frei, auch in Zukunft die Depotmedikation zu akzeptieren zur Vermeidung der täglichen Injektion. Insoweit stellt sich auch die Frage der Verhältnismäßigkeit der Einzeldosen im Vergleich zum Depot nur eingeschränkt. Die Beschwerdeführerin ist offensichtlich in der Lage, die geringere Belastung durch die Injektion mit einem Depot statt Einzeldosen zu erkennen, und kann die Entscheidung darüber daher selbst treffen.

[64] Nachdem die Beschwerdeführerin sich für eine intramuskuläre Gabe entschieden hat, sind die genehmigten oralen Medikationen aufzuheben, es würde sich um unzulässige Vorratsbeschlüsse handeln. Selbstverständlich steht es während der gesamten Laufzeit des Beschlusses der Beschwerdeführerin frei, unter dem Druck des Beschlusses eine orale Medikation mit ihrem natürlichen Willen zu akzeptieren.

[66] Denn nach der Rechtsprechung der unverändert fortbestehenden Dreierbesetzung der Kammer (…) hat das Gericht grundsätzlich selbst zu entscheiden, ob das angeordnete Präparat derzeit erfolgsversprechend ist und ein günstigeres Risikoprofil aufweist als andere Präparate. Es ist grundsätzlich Aufgabe des Gerichts, sachverständig beraten, festzustellen, ob die Zwangsmedikation mit dem ersten Präparat gescheitert ist oder weiter Erfolgsaussichten hat oder ob nunmehr eine andere Medikation erforderlich ist. „Das ist schließlich der Sinn des ganzen vom BVerfG erzwungenen Verfahrens: Der Arzt, der zwangsweise behandeln will, muss seine Entscheidung für eine bestimmte Behandlung transparent machen und für einen ärztlichen Kollegen als Richtergehilfen und das Gericht nachvollziehbar begründen. Gelingt das, dann gehört das komplette Ergebnis dieses Konzils transparent in die Beschlussformel. Hat die Behandlung keinen Erfolg, dann muss ein neuer, anderer Versuch wieder transparent gemacht und nachvollziehbar begründet werden. Es gibt hiervon angesichts des Grundrechts, in das eingegriffen wird, keinen Dispens.“ (…)

[68] c) Zu 1c: Abänderung des Beschlusses im Hinblick auf die Kontrolluntersuchungen:

[69] Die Zwangsbehandlung war nach § 323 Abs. 2 FamFG von der Durchführung der notwendigen Vor-Kontrolluntersuchungen abhängig zu machen. Die Voruntersuchungen sollten dabei idealerweise bereits vor Genehmigung erfolgen, können aber auch als Bedingung für den Beginn der Behandlung vorgesehen werden, wenn keine Anhaltspunkte für ein besonderes individuelles Risiko bestehen. Nach ständiger Rechtsprechung der unverändert fortbestehenden Dreierbesetzung der Kammer (…) sind diese Untersuchungen konkret und mit Fristen vorzugeben.

[75] Es wird ausgesprochen, dass die Behandlung nicht fortgeführt werden darf, wenn die Parameter bisher nicht erhoben wurden.

[76] d) Zu 1d: Aufhebung der Fixierung:

[77] Bisher war für die Gabe der Medikation keine Fixierung notwendig, wie sich aus dem Ergebnis der Anhörung ergeben hat. Die Beschwerdeführerin hat in der Anhörung zugesagt, die Medikation ohne Fixierung zu tolerieren. Sie meinte zwar, sie würde sich eher umbringen, hat aber auch zu erkennen gegeben, dass Gewalt nicht notwendig sein wird. Daher war die Genehmigung der Fixierung als Vorratsbeschluss aufzuheben. Sollte die Beschwerdeführerin ohne Fixierung nicht mediziniert werden können, wäre ggf. eine einstweilige Anordnung durch das Amtsgericht notwendig.

Entnommen aus dem Neuen Polizeiarchiv Heft 1/2024, Lz. 771.