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Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz darf „Alternative für Deutschland“ (AfD) beobachten

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Art. 21 Abs. 1 GG, § 3 Satz 2 PartG, § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 BVerfSchG, Art. 4 Abs. 2 Nr. 1, Art. 5a Abs. 1, Art. 6, Art. 8 Abs. 1 BayVSG n.F., Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2, Satz 2 BayVSG a.F.

Verfassungsschutzrechtliche Beobachtung der AfD-Gesamtpartei; Maßgebliche Sach- und Rechtslage für Unterlassungsanspruch; Recht auf Betätigungsfreiheit als politische Partei; Anwendbarkeit des BayVSG auf politische Parteien; Keine Rechtswidrigkeit des Eingriffs; Hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen der AfD-Gesamtpartei; Zulässigkeit der Heranziehung und Verwertung einschlägiger Verhaltensweisen, insbesondere Meinungsäußerungen und Aktivitäten, von Repräsentanten, Funktionsträgern und Gremien sowohl der AfD-Bundespartei als auch anderer Landesverbände, der AfD und deren Untergliederungen, wobei davon auch Mitglieder der AfD-Fraktionen in Volksvertretungen auf Bundes- und Landesebene umfasst sind; Zulässigkeit der öffentlichen Bekanntgabe der Beobachtung

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 14.09.2023, Az. 10 CE 23.796

Leitsatz

Bei der „Alternative für Deutschland“ (AfD) bestehen tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen, die eine Beobachtung der Gesamtpartei durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz rechtfertigen.

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

Im vorliegenden Eilverfahren hat sich der Landesverband Bayern der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) – Antragsteller – gegen den (87-seitigen) Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 17.04.2023 (Az. M 30 E 22.4913, juris) gewandt, mit dem das Verwaltungsgericht seine im Wesentlichen gegen die Beobachtung der AfD (Gesamtpartei) durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) und die öffentliche Berichterstattung über diese Beobachtung gerichteten einstweiligen Rechtsschutzanträge nach § 123 Abs. 1 VwGO abgelehnt hat.

Entscheidung des BayVGH

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat die Beschwerde des Antragstellers mit dem vorliegenden (55-seitigen) Beschluss vom 14.09.2023 – bis auf einen geringen Teil (Rn. 156 bis 159) – zurückgewiesen. Dies begründet er wie folgt:

Beobachtung

Der Antragsteller hat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats keinen Anspruch auf (künftige) Unterlassung der Beobachtung der Gesamtpartei AfD durch das BayLfV, soweit er durch diese Maßnahme (mit) betroffen ist. Zwar bewirkt die Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörde einen fortdauernden Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen des Antragstellers, insbesondere sein Recht auf Betätigungsfreiheit als politische Partei nach Art. 21 Abs. 1 GG. Dieser Eingriff ist mit hoher Wahrscheinlichkeit aber nicht rechtswidrig, weil die (Mindest-)Voraussetzungen für eine Beobachtung gemäß Art. 5a Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) n.F. vorliegen, die Beobachtung den Anforderungen ordnungsgemäßer Ermessensausübung entspricht und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 6 BayVSG n.F.) gewahrt ist. (Rn. 69)

Öffentliche Bekanntgabe der Beobachtung

Der Antragsteller hat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats aller Voraussicht nach auch keinen Anspruch auf Unterlassung der öffentlichen Bekanntgabe der Beobachtung (Rn. 153). Auch wenn die tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen „hinreichend gewichtig“ sein müssen, um gemäß Art. 26 Abs. 1 Nr. 1 BayVSG a.F. bzw. jetzt Art. 27 Abs. 1 Nr. 1 BayVSG n.F. – auch außerhalb der Berichterstattung durch den Verfassungsschutzbericht (siehe Art. 26 Abs. 2 BayVSG a.F. bzw. Art. 27 Abs. 2 BayVSG n.F.) – die Öffentlichkeit über die Erklärung zum Beobachtungsobjekt und den Umstand der Beobachtung zu informieren, und die Anforderungen an die Berichterstattung  höher sind als diejenigen an die nachrichtendienstliche Beobachtung selbst, liegen nach den Feststellungen der Beobachtungserklärung des BayLfV vom 21.06.2022 zur Überzeugung des Senats tatsächliche Anhaltpunkte für das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen vor, die auch diese erhöhten Anforderungen erfüllen (Rn. 154).

Bewertung der Landesanwaltschaft Bayern

Aus der Sicht der Landesanwaltschaft Bayern als Prozessvertretung des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren zeichnet sich die vorliegende Entscheidung vor allem durch die juristisch sorgfältige und sachlich überzeugende Verarbeitung und Bewertung der Fülle des Tatsachenmaterials und weniger durch rechtsdogmatische Neuentwicklungen aus. Der BayVGH bewegt sich mit diesem Beschluss auf der Linie seiner bisherigen verfassungsschutzrechtlichen Rechtsprechung (siehe: Beschluss vom 28.02.2020, Az. 10 CE 19.2517, juris; Beschluss vom 07.02.2018, Az. 10 ZB 15.795, juris; Urteil vom 06.07.2017, Az. 10 BV 16.1237, juris; Beschluss vom 30.01.2017, Az. 10 ZB 15.1085, juris; Urteil vom 22.10.2015, Az. 10 ZB 15.1320, juris; Urteil vom 22.10.2015, Az. 10 B 15.1609, juris), wobei er im vorliegenden Fall insbesondere die verfassungsschutzrechtliche Bedeutung des Geflechts von Gesamtpartei, Bundespartei und Landesverband und dessen Rechtsfolgen herausarbeitet und verdeutlicht.

Dabei war dem BayVGH die politische Bedeutung des Verfahrens über die Beobachtung einer politischen Partei, die sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene in Parlamenten vertreten ist und hier im Wahlkampf zur Neuwahl des Bayerischen Landtags stand, sehr wohl bewusst, ohne dass dies jedoch zu einer Politisierung des Verfahrens geführt oder den gesetzmäßigen Gang des Verfahrens beeinflusst hätte, wie auch an dem Hinweis des Gerichts in Rn. 52 zum Ausdruck kommt, wonach der Senat keinen Grund sehe, die gerichtliche Entscheidung bei gegebener Spruchreife entsprechend der Anregung des Landesverbands Bayern der AfD (Antragsteller) bis „nach der bevorstehenden Landtagswahl“ in Bayern am 08.10.2023 zurückzustellen. Weder das von Antragstellerseite diesbezüglich angeführte Gebot der „Zurückhaltung staatlicher Institutionen“ im Vorfeld der Wahl noch die  Chancengleichheit der (politischen) Parteien“ gäben Veranlassung dazu.

Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl ist bei der Landesanwaltschaft Bayern Ständiger Vertreter des Generallandesanwalts und schwerpunktmäßig u.a. zuständig für Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrecht, Polizei- und Sicherheitsrecht.

 

 

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