Rechtsprechung Bayern

Versammlung auf Bundesautobahn

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Der unten vermerkte Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 12.5.2023 betrifft erneut die Nutzung einer Bundesautobahn (BAB) für eine Versammlung. Darin vertieft der VGH seine bisherige Rechtsprechung zu den maßgeblichen Kriterien für die Gefahrenprognose und die Abwägung und grenzt den zu entscheidenden Fall von einer Versammlung auf der BAB 9 in München (siehe hierzu FStBay Randnummer 189/2023) ab.

Die Antragstellerin hatte für Sonntag, den 14.5.2023, ab 15 Uhr (bis 15.50 Uhr) eine Versammlung im Wesentlichen in Form eines Fahrradkorsos über ein Teilstück der BAB 8 zwischen den Anschlussstellen Augsburg-West oder Augsburg-Ost und Friedberg bei der Stadt (Antragsgegnerin) angezeigt. Das Versammlungsthema betraf verschiedene politische Forderungen im Zusammenhang mit Autobahnen im Allgemeinen und der BAB 8 im Besonderen. Mit Bescheid vom 24.4.2023 untersagte die Antragsgegnerin gestützt auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG die Nutzung der BAB und änderte die Versammlungsroute entsprechend ab. Zur Begründung gab sie an, dass bei Durchführung der Versammlung auf der BAB 8 eine Vollsperrung von nahezu 4,5 Stunden erforderlich sei. Das nachgeordnete Straßennetz sei als Ausweich- bzw. Umfahrungsstrecke nicht geeignet. In Folge der zu erwartenden massiven Staubildungen und Verkehrsstörungen werde es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu konkreten Gefahren für Leben und Gesundheit, Eigentum, Berufsausübung sowie Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs bei einer Vielzahl unbeteiligter Dritter kommen, darunter auch zu einer Beeinträchtigung der An- und Abfahrt des Uniklinikums (mit Kinderklinik) und eines weiteren Kinderkrankenhauses.

Hiergegen wandte sich die Antragstellerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes und machte insbesondere geltend, die prognostizierte Dauer der Vollsperrung sei aufgrund von Erfahrungen mit Vollsperrungen am streitgegenständlichen Autobahnabschnitt völlig unrealistisch. Eine konkrete Gefahr gehe von der Versammlung nicht aus. Den Eilantrag lehnte das Verwaltungsgericht ab. Die Beschwerde der Antragstellerin wies der VGH mit oben genanntem Beschluss zurück. Dies begründete der Senat wie folgt:

1. Keine grundsätzliche Unzulässigkeit von Versammlungen auf Bundesautobahnen und Abwägungskriterien

„Der Schutz der ,öffentlichen Sicherheit‘ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst die gesamte Rechtsordnung und damit auch die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, die die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs regeln und die in diesem Zusammenhang betroffenen Rechte Dritter. Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit dem Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs und in diesem Zusammenhang betroffenen Rechten Dritter, ist – wie auch sonst – eine Abwägung der betroffenen Positionen zur Herstellung praktischer Konkordanz erforderlich. Dabei sind die kollidierenden Positionen so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden … Wichtige Abwägungselemente sind dabei unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeit Dritter, aber auch der Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Dritten und dem Protestgegenstand …

Bundesfernstraßen sind, obwohl sie von ihrem eingeschränkten Widmungszweck her anders als andere öffentliche Verkehrsflächen nicht der Kommunikation dienen, sondern ausschließlich dem Fahrzeugverkehr, nicht generell ein ,versammlungsfreier Raum‘. Zwar darf hier den Verkehrsinteressen im Rahmen von versammlungsrechtlichen Anforderungen nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG erhebliche Bedeutung beigemessen werden. Die Einstufung einer Straße als Bundesautobahn oder Bundesstraße entscheidet allerdings nicht darüber, ob auf dieser Straße grundsätzlich eine Versammlung stattfinden darf und entbindet Versammlungsbehörden und Gerichte nicht von einer Güterabwägung. Sie entfaltet allenfalls Indizwirkung für das Gewicht der gegen eine Versammlung sprechenden Interessen der Öffentlichkeit oder Dritter …“

2. Anforderungen an die Gefahrenprognose

„Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen oder eines Versammlungsverbots keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben…Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus…Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Behörde…“

[…]

Den gesamten Beitrag lesen Sie in der Fundstelle Bayern Heft 22/2023, Rn. 259.