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Ausnahmsweise Pflicht der Baufirma zur Selbstausführung

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Im unten vermerkten Beschluss der Vergabekammer Lüneburg (VK) vom 14.10.2022 ging es um ein komplexes Bauvorhaben, bei dem eine vorhandene Hochstraße durch einen langen Tunnel in offener Bauweise ersetzt werden sollte. Dazu war vorab ein Behelfsbauwerk parallel zur Hochstraße in Stahlverbundbauweise zu errichten. Vor dem Beginn der Tunnelarbeiten war die Hochstraße (Stahlbeton mit Hohlkastenquerschnitt) zurückzubauen. Die VK kommt zu dem Ergebnis, dass die von der Vergabestelle vorgegebene Verpflichtung der Bieter zur Selbstausführung berechtigt war. Dem Beschluss kann Folgendes entnommen werden:

1. Grundsätzliches zur Selbstausführung

Dazu heißt es im Beschluss:

„Es ist … nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner gemäß § 6d EU Abs. 4 VOB/A und § 47 Abs. 5 VgV für bestimmte Teilleistungen – Beton- und Stahlbetonarbeiten – die Selbstausführung gefordert hat …

Die Vergabekammer teilt zwar die Auffassung der Antragstellerin, dass es den Bietern grundsätzlich frei steht zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie Unterauftragnehmer im Auftragsfall einsetzen wollen. Das Vergaberecht kennt – im Grundsatz – kein Selbstausführungsgebot oder Fremdausführungsverbot des Bieters (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.12.2008 – Verg 51/08 …). Solange der Bieter nachweisen kann, dass der Unterauftragnehmer die Leistungen im Zuschlagsfall übernimmt, darf er sich auf die Kapazitäten des Unterauftragnehmers stützen. Die Möglichkeit der Unterauftragnehmer soll für einen umfassenden Wettbewerb sorgen und auch kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zu öffentlichen Aufträgen eröffnen (EuGH, Urteil vom 7.4.2016 – Rs. C- 324/14 = NZBau 2016, Seite 373 ff., 374 [BGH 19.4.2016 – X ZR 77/14]). Demgemäß darf der öffentliche Auftraggeber im Grundsatz auch keine Bedingungen vorgeben, die den Einsatz von Unterauftragnehmern einschränken (EuGH, ebenda).

Diese vorgenannten Grundsätze gelten nach der Rechtsprechung des EuGH allerdings nicht uneingeschränkt. Liegen im Einzelfall außergewöhnliche Umstände vor, so dass die Zusammenfassung von Kapazitäten nicht den Anforderungen des Auftrags genügt und sich damit nicht für eine Übertragung auf einen Unterauftragnehmer eignet, kann eine Unterauftragsvergabe unzulässig sein (EuGH, a.a.O.).

Im Zuge der Vergaberechtsreformen im April 2016 hat der Bundesgesetzgeber daher mit der Regelung des § 47 Abs. 5 VgV und in der Folge auch der Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) in § 6d EU Abs. 4 VOB/A für bestimmte Ausnahmefälle ein Selbstausführungsgebot eingeführt. Bei diesem Gebot handelt es sich um Ausführungsbestimmungen i. S. des § 128 Abs. 2 GWB, die nicht in der Bekanntmachung benannt werden müssen, sondern auch in den Vergabeunterlagen benannt werden dürfen. Danach kann der öffentliche Auftraggeber vorschreiben, dass bestimmte kritische Aufgaben bei Dienstleistungs- oder Bauaufträgen direkt vom Bieter selbst oder im Fall einer Bietergemeinschaft von einem Teilnehmer der Bietergemeinschaft ausgeführt werden müssen.

Diese für den Fall des Unterauftragnehmereinsatzes zum Zwecke der Eignungsleihe formulierte Ausnahme geht allerdings schon vom Wortlaut her davon aus, dass ,nur bestimmte kritische Aufgaben‘, nicht aber ein kompletter Auftrag dem Selbstausführungsgebot unterworfen werden dürfen. Unklar bleibt darüber hinaus auch unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe der Richtlinie 2014/24/EU bzw. der Gesetzesbegründung zu § 47 VgV, was eine ,kritische Aufgabe‘ ist. Mit Blick auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis muss der Begriff der ,kritischen Aufgabe‘ zwar grundsätzlich eng ausgelegt werden. Bei der Qualifizierung einer Aufgabe als ,kritisch‘ steht dem Auftraggeber aber in Beachtung vor allem der Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des Wettbewerbs ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu, der einer Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich ist.

Vom öffentlichen Auftraggeber ist zudem zu verlangen, dass er die Gründe, warum eine bestimmte Aufgabe über das übliche Maß bei entsprechenden Aufgaben hinaus besonders kritisch ist, herausarbeitet und entsprechend in der Vergabeakte in einer den Anforderungen des § 8 VgV genügenden Weise dokumentiert.“

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Gemeindekasse Bayern Heft 2/2024, Rn. 16.