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Bauordnungsrecht: Zu den Anforderungen an die Rüge unvollständiger Bauantragsunterlagen durch die Gemeinde

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§ 36 Abs. 2 Satz 2, § 246 Abs. 15 BauGB; § 80 Abs. 5 VwGO

Einvernehmen der Gemeinde; Rügeobliegenheit bei unvollständigen Bauantragsunterlagen; Fiktionsfrist; Asylbewerberunterkunft

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 09.01.2024, Az. 2 CS 23.2010

 

Orientierungssätze der Landesanwaltschaft Bayern
  1. Das Recht auf Beteiligung im Genehmigungsverfahren, das der Gesetzgeber der Gemeinde zum Schutz ihrer Planungshoheit einräumt (§ 36 BauGB), ist weiter mit der Obliegenheit verbunden, im Rahmen der Möglichkeiten, die ihr das Landesrecht eröffnet, gegenüber der Genehmigungsbehörde auf die Vervollständigung des Genehmigungsantrages hinzuwirken.
  2. Kommt die Gemeinde dieser Mitwirkungslast nicht innerhalb der gesetzlich geregelten Frist (§ 36 Abs. 2 Satz 2 BGB bzw. § 246 Abs. 15 BauGB) nach, gilt ihr Einvernehmen als erteilt.
  3. Die Anforderungen an die Erfüllung dieser Obliegenheit dürfen indes nicht überspannt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird die Erteilung des Einvernehmens nur dann ausgelöst, wenn und sobald der Bauantrag der Gemeinde eine hinreichende und abschließende planungsrechtliche Beurteilung des Bauvorhabens ermöglicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.08.2020, Az. 4 C 1.19, juris Rn. 16; Urteil vom 16.09.2004, Az. 4 C 7.03, juris Rn. 21).
Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

In seiner Entscheidung hatte der 2. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) Gelegenheit, sich zu den Anforderungen an eine Rüge unvollständiger Bauantragsunterlagen durch die Gemeinde zur Verhinderung des Anlaufens der Frist nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB (bzw. § 246 Abs. 15 BauGB) zu äußern. Nach Eingang des Bauantrags für eine Asylbewerberunterkunft (Zeltkonstruktion) auf einem Baugrundstück in einem festgesetzten Gewerbegebiet bei der im Eilverfahren antragstellenden Gemeinde am 21.06.2023, wies diese mit Schreiben vom 14.07.2023 den Antragsgegner unter anderem darauf hin, dass durch die wohnähnliche Nutzung immissionsschutzbedingt Einschränkungen für die benachbarten Firmen befürchtet würden. Die vorgelegten Bauantragsunterlagen ließen eine Entscheidung über das gemeindliche Einvernehmen nicht zu. Es werde um weitere Stellungnahme gebeten. Mit Beschluss vom 08.08.2023 versagte der Antragsteller das gemeindliche Einvernehmen.

Mit Bescheid vom 21.09.2023 erteilte das Landratsamt die beantragte Baugenehmigung. Dabei ging es davon aus, dass die Einvernehmensfiktion nach § 36 Abs. 2 Satz 2 i.V.m.§ 246 Abs. 15 BauGB eingetreten sei. Diese Auffassung teilte auch das Verwaltungsgericht, das einen Antrag der Gemeinde auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ablehnte.

Der BayVGH hob die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf und ordnete die aufschiebende Wirkung der Klage der Gemeinde gegen die erteilte Baugenehmigung an. Die Einvernehmensfiktion sei nicht eingetreten. Zwar treffe die Gemeinde die Obliegenheit, gegenüber der Genehmigungsbehörde auf eine Vervollständigung des Genehmigungsantrages hinzuwirken. Die Anforderungen an die Erfüllung dieser Obliegenheit dürften jedoch nicht überspannt werden. Dies gelte insbesondere in den Fällen des § 246 Abs. 15 BauGB, in denen die Zwei-Monats-Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB auf einen Monat verkürzt werde, was der 2. Senat des BayVGH an der Grenze des rechtlich überhaupt Zulässigen liegend erachtet (Rn. 16). Diesen Anforderungen habe die innerhalb der Ein-Monats-Frist erfolgte Anfrage der Gemeinde beim Landratsamt genügt. Die Fiktionsfrist sei daher nicht angelaufen und die streitgegenständliche Baugenehmigung daher ohne das erforderliche Einvernehmen der Gemeinde erteilt worden. Die Baugenehmigung sei daher rechtswidrig und die dagegen gerichtete Klage der Gemeinde voraussichtlich erfolgreich.

Die Landesanwaltschaft nimmt die Entscheidung zum Anlass, auf die in § 246 Abs. 15 BauGB ziemlich „versteckte“, bis zum 31.12.2027 befristete Regelung der verkürzten Frist zur Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens bei Bauvorhaben, die der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden dienen, ausdrücklich hinzuweisen.

 

 

Oberlandesanwalt Dr. Heiko Sander ist bei der Landesanwaltschaft Bayern schwerpunktmäßig u.a. zuständig für Baurecht und Tierschutzrecht.

 

 

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