Rechtsprechung Bayern

Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes

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Zu diesen Themen ist dem unten vermerkten rechtskräftigen Beschluss des Verwaltungsgerichts München (VG) vom 28.9.2023 Folgendes zu entnehmen:

1. Kein Anspruch auf einen Platz in einer bestimmten Einrichtung

„Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Zuweisung eines Betreuungsplatzes in der Kindertageseinrichtung Sch. in O. Ein solcher Anspruch gegen den in der Antragsschrift ausdrücklich als solchen bezeichneten Antragsgegner ergibt sich nicht aus § 24 Abs. 3 SGB VIII. Inhalt des Anspruchs aus § 24 Abs. 3 SGB VIII ist der Nachweis eines dem individuellen Bedarf entsprechenden Betreuungsplatzes in einer Tageseinrichtung. Ein Anspruch auf einen Platz in einer bestimmten Einrichtung besteht nicht (NdsOVG, Beschluss vom 19.12.2018 – 10 ME 395/18 – juris Rn. 15; Winkler in Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, BeckOK Sozialrecht, 69. Edition, Stand: 1.6.2023, § 24 SGB VIII Rn. 42). Das Wunsch- und Wahlrecht gemäß § 5 SGB VIII wird begrenzt durch das tatsächlich vorhandene Angebot (BVerwG, Urteil vom 26.10.2017 – 5 C 19/16 …). Der Antragsgegner hat glaubhaft gemacht, dass kein Platz in der Einrichtung Sch. zur Verfügung gestellt werden kann.“

2. Zumutbare Entfernung des angebotenen Betreuungsplatzes

„Grundsätzlich gilt, dass der Betreuungsplatz von den Eltern und dem Kind in zumutbarer Weise zu erreichen sein muss, wobei einerseits die Zumutbarkeit für das Kind selbst und andererseits auch der Zeitaufwand für den begleitenden Elternteil zu berücksichtigen sind. Welche Entfernung dabei zwischen Wohnort, Tageseinrichtung und ggf. Arbeitsstätte noch zumutbar ist, lässt sich indes nicht anhand abstrakt-genereller Maßstäbe festlegen, sondern bedarf einer individuellen Betrachtung der individuellen Familiensituation und der konkreten örtlichen Verhältnisse im Einzelfall (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.10.2017 – 5 C 19/16 – juris Rn. 43; BayVGH, Urteil vom 22.7.2016 – 12 BV 15.719 – juris Rn. 48). Eine starre zeitliche Zumutbarkeitsgrenze von beispielsweise 30 Minuten je zu bewältigender Entfernung zwischen Wohnort, Ort der Tageseinrichtung und elterlicher Arbeitsstätte gibt es nicht …“

3. Berücksichtigung des Schulwegs eines Geschwisterkinds bei der Zumutbarkeit des angebotenen Betreuungsplatzes

„Ob eine Berücksichtigung des Schulwegs des Geschwisterkinds hier erfolgen muss, kann offenbleiben, da die Hol- und Bringzeiten auch unter Einbeziehung des Schulwegs des Bruders noch zumutbar erscheinen. Während die Bring- und Holzeit von Geschwisterkindern zu Kindergarten oder -krippe zu berücksichtigen ist (vgl. OVG NW, Beschluss vom 27.7.2023 – 12 B 726/23 – juris Rn. 16; VG München, Beschluss vom 21.9.2017 – M 18 E 17.3843 – juris Rn 37), ist bei Schulkindern zu beachten, dass diese in der Regel den Schulweg allein gehen können. Sicherlich können Umstände im Einzelfall dazu führen, dass eine elterliche Begleitung nötig ist, z.B. wenn das Geschwisterkind nicht die Sprengelschule besucht oder – wie wohl hier – als sechsjähriger Erstklässler erst an den Schulweg gewöhnt werden muss, wobei dann zu beachten ist, dass im Regelfall absehbar sein dürfte, dass der Schulweg vom Geschwisterkind allein bestritten werden kann. Maßgeblich sind … die Umstände des individuellen Falles …

Für den Weg von der Wohnung zur Schule des Sohnes benötigt die Mutter gemeinsam mit den Kindern laut dem Routenplaner von google maps ca. sechs Minuten. Anschließend benötigen sie und die Antragstellerin ca. 30 Minuten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln für den Weg zum Kindergarten D.S. Von dort fährt die Mutter weiter an den Arbeitsplatz ca. eine Stunde sechs Minuten. Für den Nachhauseweg fallen dieselben Zeiten an. Der Arbeitsweg der Mutter von zu Hause direkt zur Arbeit würde sich auf ca. 1 Stunde belaufen. Mangels anderer Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin vor dem Schuleintritt des Bruders auch den Kindergarten D.S. besuchte. Bisher musste die Mutter der Antragstellerin für den Weg von zu Hause zum Kindergarten D.S. ca. 30 Minuten und für den Weg von dort zur Arbeitsstelle ca. eine Stunde und sechs Minuten aufwenden. Es kam somit schon bisher zu einem zeitlichen Mehraufwand von ca. einer Stunde. Dieser Zustand wurde von der Familie der Antragstellerin bisher als zumutbar akzeptiert und somit eine dementsprechende Bestimmung des konkret-individuellen Betreuungsbedarfs vorgenommen (vgl. SächsOVG, Beschluss vom 11.3.2019 – 4 B 428/18 – juris Rn. 7; VG Dresden, Beschluss vom 24.2.2023 – 1 L 49/23 – juris Rn. 18).

Der Schuleintritt ändert die Hol- und Bringzeiten nur um jeweils sechs Minuten und damit in Relation zur insgesamt für das Holen und Bringen aufzuwendenden Zeit nur minimal. Diesen zeitlichen Aufwand erachtet das Gericht, auch unter Berücksichtigung von gelegentlichen Verzögerungen bei ungünstigen Verkehrslagen, als zumutbar. Als zumutbar befunden wurde in der Rechtsprechung regelmäßig eine Dauer von 30 Minuten für die einfache Wegstrecke von Wohnort zur Tageseinrichtung (VG Köln, Beschluss vom 15.4.2020 – 19 L 215/20 – juris Rn. 19; VG Mainz, B.v. 21.1.2020 – 1 L 10/20.MZ – juris Rn. 13). Zwar handelt es sich hierbei nur um einen groben Richtwert, der eine Einzelfallprüfung nicht entbehrlich macht. Im hiesigen Fall liegen aber keine weiteren Gründe für eine Unzumutbarkeit vor. Vielmehr liegt die Schule in Richtung zum Kindergarten D.S. Außerdem wurde zwar vorgetragen, dass der Schulweg an einer Staatsstraße mit mehreren Einmündungen verlaufe. Laut Vortrag des Antragsgegners, dem die Antragstellerseite nicht entgegengetreten ist, handelt es sich jedoch um eine Tempo-30-Zone und ist die Straßenquerung mit einem Schülerlotsen gesichert. Es spricht somit nichts gegen die Prognose, dass der Sohn in absehbarer Zeit den Schulweg allein meistern kann und die aufzuwendenden Hol- und Bringzeiten wieder mit denen vor dem Schuleintritt des Sohnes identisch sind. Außerdem sprechen die von den Eltern der Antragstellerin in der Organisation ihres Tagesablaufs der Mutter ohnehin zugemuteten langen Wegezeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln im vorliegenden Einzelfall auch nicht gegen eine Zumutbarkeit der örtlichen Lage des Betreuungsplatzes im Kindergarten D.S. Der sechsminütige Schulweg fällt gegenüber dem ohnehin langen Arbeitsweg der Mutter und dem schon bisher akzeptierten Umweg über den Kindergarten D.S. kaum ins Gewicht. Eine besondere Härte kann das Gericht nicht erkennen, wenngleich der Wunsch der Eltern nach einer wohnortnäheren Lösung verständlich und nachvollziehbar ist.

Nach alledem ist der Anspruch auf den Nachweis eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes bereits erfüllt, sodass ein Anordnungsanspruch zum Entscheidungszeitpunkt nicht besteht. Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes kann vorliegend dahinstehen.“

Verwaltungsgericht München, Beschluss vom 28.9.2023 – M 18 E 23.4227.

Entnommen aus der Fundstelle Bayern Heft 2/24, Rn. 19.