Rechtsprechung Bayern

Ergänzungsbeitrag für die Wasserversorgung, Geschossflächenmehrung, Entstehen der sachlichen Beitragspflicht, Festsetzungsverjährung

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Um diese Themen ging es im unten vermerkten Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 30.11.2023. Der VGH stellt seiner Entscheidung folgende Leitsätze voran:

1. Stellt die Beitragssatzung für das Entstehen der Beitragspflicht auf den Abschluss der Maßnahme ab, setzt dies voraus, dass die nach Art. 78 Abs. 2 Satz 1 BayBO erforderliche Anzeige abgegeben wird und die Maßnahme tatsächlich abgeschlossen ist. Wird eine solche Anzeige nicht abgegeben, die Maßnahme aber baulich fertiggestellt und die Nutzung tatsächlich aufgenommen, so entsteht die sachliche Beitragspflicht auch unabhängig von einer Anzeige nach Art. 78 Abs. 2 Satz 1 BayBO (Fortführung von Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 17.11.2022 – 20 B 19.1852).

2. Die Festsetzungsverjährung beginnt erst dann, wenn die Forderung berechnet werden konnte (Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. cc) Spiegelstrich 1 KAG). Das ist im Fall eines Ergänzungsbeitrags (Art. 5 Abs. 2a KAG) in der Regel erst erfüllt, wenn die Beitragspflichtigen dem Beitragsgläubiger die für die Höhe des Beitrags maßgeblichen Veränderungen melden, sodass der Beitragsgläubiger ohne weiteres den Beitrag festsetzen kann (Art. 5 Abs. 2a KAG). Die Abgabenbehörde ist nicht verpflichtet, von Amts wegen Ermittlungen anzustellen. An der Auffassung, dass es ausreicht, dass der Beitragsgläubiger ohne besondere Schwierigkeiten den Sachverhalt selbst feststellen kann (BayVGH, U.v. 17.11.2022 – 20 B 19.18521) – juris Rn. 18; 17.8.2001 – 23 ZB 01.1553 – juris Rn. 4) wird insoweit nicht mehr festgehalten.

Der Entscheidung lag im Kern folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu Herstellungsbeiträgen für die Wasserversorgungsanlage der Beklagten. Die …, vertreten durch ihre persönlich haftende Gesellschafterin, die … GmbH, diese wiederum vertreten durch den geschäftsführenden Kläger, errichtete auf dem zuvor mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstück, Fl.Nr. 230/3, Gemarkung … im Beitragsgebiet der Beklagten zwei Doppelhäuser. Nach den Grundbuchauszügen war der Kläger seit dem 25.7.2012 als Eigentümer dieses Grundstücks im Grundbuch eingetragen. Die Vermessung und Aufteilung des Grundstücks in vier Grundstücke mit den Flurnummern 230/3, 230/7, 230/8 und 230/9, Gemarkung … erfolgte am 13.10.2015. Am 11.5.2016 wurden im Grundbuch für die Flurnummern 230/7, 230/8 und 230/9 neue Eigentümer eingetragen; für die Flurnummer 230/3 war dies am 9.8.2017 der Fall. Die Nutzung der neu geschaffenen Geschossflächen wurde vor der jeweiligen Eigentumsumschreibung aufgenommen. Eine Anzeige nach § 78 Abs. 2 BayBO wurde nicht abgegeben.

Unter dem 9.12.2014 teilte das Stadtbauamt … der Beklagten mit, dass die Bauvorhaben auf den Grundstücken mit den Flurnummern 230/3, 230/7, 230/8 und 230/9, Gemarkung … vollendet seien. Mit vier Bescheiden vom 27.12.2017 setzte die Beklagte gegenüber dem Kläger persönlich Herstellungsbeiträge für die Wasserversorgungsanlage für diese vier Grundstücke in Höhe von insgesamt 4.532,34 EUR fest. Hiergegen wandte sich der Kläger – jedoch erfolglos. Dem Urteil des VGH ist auszugsweise zu entnehmen:

1. Allgemein zur Erhebung von Beiträgen

Hierzu der VGH:

„Nach Art. 5 Abs. 1 KAG können die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Von dieser Ermächtigung hat die Beklagte durch den Erlass der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung des Kommunalunternehmens Stadtwerke für die Wasserversorgungsanlage vom 7.1.2014 Gebrauch gemacht. Bedenken gegen deren Wirksamkeit sind weder vorgetragen noch ersichtlich.“

2. Beginn und Ende der Verjährung bei nicht angezeigter Nutzungsaufnahme

Insoweit das Urteil:

„… die vierjährige Festsetzungsverjährung beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Beitrag entstanden ist (vgl. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb 2. Spiegelstrich, Doppelbuchst. cc KAG, § 169 Abs. 2 Satz 1, § 170 Abs. 1 AO). Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 der BGS-WAS vom 7.1.2014 der Beklagten entsteht die Beitragsschuld mit dem Abschluss der Maßnahme, wenn sich die für die Beitragsbemessung maßgeblichen Umstände ändern (s.a. Art. 5 Abs. 2a Satz 1 KAG). Das Grundstück des Klägers war bereits mit einem Wohnhaus bebaut, so dass die auf dem Grundstück durchgeführte Geschossflächenmehrung eine solche Veränderung der für die Beitragsbemessung maßgeblichen Umstände darstellt. Abschluss der Maßnahme ist damit die Herstellung des Bauvorhabens in einer Form, welche eine bauordnungsrechtliche Nutzbarkeit zulässt, mithin die Bezugsfertigkeit (vgl. BayVGH, U. v. 21.12.2000 – 23 B 00.1479 –juris; B.v. 5.1.2000 – 23 ZB 99.2490 – juris). Dabei ist nicht allein auf den formalen Abschluss abzustellen, sondern auf den tatsächlich geschaffenen Zustand des Bauobjektes und dessen rechtliche Sicherung (vgl. BayVGH, U. v. 21.12.2000 – 23 B 00.1479 – juris Rn. 19; BayVGH B.v. 5.1.2000 – 23 ZB 99.2490 – juris).

Gemäß Art. 78 Abs. 2 Satz 1 BayBO hat der Bauherr die beabsichtigte Aufnahme der Nutzung einer nicht verfahrensfreien baulichen Anlage mindestens zwei Wochen vorher der Bauaufsichtsbehörde anzuzeigen. Nach Art. 78 Abs. 2 Satz 3 BayBO darf eine bauliche Anlage erst benutzt werden, wenn sie sicher benutzbar ist, frühestens aber nach dem in der Anzeige nach Art. 78 Abs. 2 Satz 1 BayBO genannten Zeitpunkt der Fertigstellung (vgl. BayVGH, B.v. 5.1.2000 – 23 ZB 99.2490 – juris Rn. 4 zu Art. 79 BayBO 1982). Der Kläger hat keine entsprechende Anzeige abgegeben. Vielmehr teilte das Stadtbauamt den Stadtwerken am 10.12.2014 mit, dass die Vorhaben gemäß eigener Feststellung bereits vollendet seien, was jedoch die Anforderungen nach Art. 78 Abs. 2 BayBO nicht erfüllt, so dass die sachliche Beitragspflicht auf diesem Wege nicht entstehen konnte.

Stellt man für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht jedoch ausschließlich auf die Anzeige der Nutzungsaufnahme nach Art. 78 Abs. 2 Satz 1 BayBO ab, so stellt sich zunächst das Problem, dass die Abgabe einer solchen Anzeige in der Praxis oft unterbleibt und in der Regel auch nicht vom Beitragsgläubiger erzwungen werden kann. Folge hiervon wäre, dass die sachliche Beitragspflicht nicht entstehen kann, obwohl die öffentliche Einrichtung bereits genutzt werden kann und auch wird.

Damit erscheint es fragwürdig und wenig sachgerecht, das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht allein von einer Erklärung des Beitragsschuldners abhängig zu machen. Dies dürfte wohl auch der gesetzlichen Wertung in Art. 5 Abs. 2a Satz 1 KAG widersprechen, der für das Entstehen des zusätzlichen Beitrags maßgeblich auf die Erhöhung des Vorteils abstellt.

Die für die Beitragsbemessung maßgeblichen Umstände ergeben sich aus dem gewählten Beitragsmaßstab, hier also aus der tatsächlichen Geschossfläche. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit Regelungen verlangt, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können (BVerfG, B.v. 5.3.2013 – 1 BvR 2457/082) – BVerfGE 133, 143–163). Das gilt nach der Rechtsprechung des BVerwG (U. v. 30.3.2014 – 4 C 11.13 – BVerwGE 149, 211) für alle Fallgestaltungen, in denen eine abzugeltende Vorteilslage eintritt, die daran anknüpfenden Abgaben aber wegen Fehlens einer sonstigen Voraussetzung viele Jahre nicht entstehen und deshalb auch nicht verjähren können.

Hieraus folgt, dass der tatsächliche Abschluss der Baumaßnahme und die tatsächliche Nutzungsaufnahme zum Entstehen der sachlichen Beitragspflicht ausreichen müssen, auch wenn die Anzeige nach Art. 78 Abs. 2 Satz 1 BayBO nicht abgegeben wurde.

Im hier zu entscheidenden Fall bedeutet dies, dass mit der anlässlich der Baukontrolle am 9.12.2014 festgestellten Fertigstellung der Maßnahme und der erfolgten Nutzungsaufnahme der Ergänzungsbeitrag im Sinne des Art. 5 Abs. 2a Satz 1 KAG entstanden ist.

Die Festsetzungsverjährung beginnt nach dem Entstehen der Beitragspflicht und wenn die Forderung berechnet werden konnte (Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. cc) Spiegelstrich 1 KAG). Das Gesetz geht hier grundsätzlich davon aus, dass dies erst der Fall ist, wenn der Beitragsschuldner die beitragserhöhenden Umstände dem Beitragsgläubiger mitgeteilt hat, denn nach Art. 5 Abs. 2a Satz 2 KAG sind die Beitragspflichtigen verpflichtet, dem Beitragsgläubiger für die Höhe des Beitrags maßgebliche Veränderungen unverzüglich zu melden und über den Umfang dieser Veränderungen, auf Verlangen auch unter Vorlage entsprechender Unterlagen, Auskunft zu erteilen. Erst wenn diese gesetzliche Pflicht erfüllt wird, ist der Beitragsgläubiger im Stande, die Beitragsschuld zu berechnen. Denn der Beitragsgläubiger ist nicht verpflichtet, von sich aus zu ermitteln, um die Beitragsschuld berechnen zu können. Insoweit wird an der Auffassung, dass es ausreicht, dass der Beitragsgläubiger ohne besondere Schwierigkeiten den Sachverhalt selbst feststellen kann (BayVGH, U. v. 17.11.2022 – 20 B 19.1852 – 20 B 19.1852 – juris Rn. 18; B.v. 17.8.2001 – 23 ZB 01.1553 – juris Rn. 4), nicht mehr festgehalten. Eine solche Anzeige ist bislang vom Kläger jedoch nicht abgegeben worden.

Hier besteht allerdings die Besonderheit, dass der Beklagten mit Erteilung der Baugenehmigung die konkrete Mehrung der Geschossflächen mitgeteilt wor-den ist. In einem solchen Fall ist der Beitragsgläubiger auch ohne eine gesonderte Mitteilung des Beitragsschuldners in der Lage, die Beitragsforderung zu berechnen. Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b), Doppelbuchst. bb), cc) KAG in Verbindung mit §§ 169 Abs. 2, 170 Abs. 1 AO begann die vierjährige Festsetzungsfrist am 1.1.2015 und endete mit Ablauf des 31.12.2018. Damit wurden die Bescheide vom 27.12.2017 vor Ablauf der Festsetzungsfrist erlassen.“

3. Schuldner eines Beitrags bei Eigentumswechsel

Dazu sagt schließlich noch das Gericht:

„Der Kläger ist auch der persönliche Schuldner des Ergänzungsbeitrags, weil er im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht ausweislich der sich in den Akten befindlichen Grundbuchauszüge Eigentümer der streitgegenständli-chen Grundstücke war und nach Angaben des Klägers in der mündlichen Ver-handlung die Aufnahme der Nutzung der Geschossflächen vor der Eintragung der jeweiligen Erwerber ins Grundbuch erfolgt war. Eine spätere Veräußerung mit Eigentumswechsel bewirkt keinen Wechsel in der Person des Schuldners.“

Entnommen aus der Gemeindekasse Bayern, 10/2024, Rn. 82.