Gesetzgebung

Landtag: Gesundheitsausschuss – Abgeordnete diskutieren mit Experten über Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz

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Wie professionell geht man in Bayern mit einem psychisch Kranken um, der einen Krisenfall ausgelöst hat? Ein Facharzt steht im Notfall nicht immer zur Verfügung, denn dafür fehlt es bislang an einer gesetzlichen Grundlage in Bayern. Die Abgeordneten des Gesundheitsausschuss haben jetzt Experten angehört, um ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz auf den Weg zu bringen. Das Resultat nach zwei Stunden Diskussion war am Ende so einhellig wie konkret: bis Jahresende sollen die Eckpunkte des Gesetzes feststehen.

Im Freistaat Thüringen ist ein Psychisch-Kranken-Gesetz unter dem Leitsatz „Der Mensch im Mittelpunkt“ bereits 1994 in Kraft getreten, wie Eva-Maria Weppler-Rommelfanger vom Thüringer Sozialministerium erläuterte. Es ziele darauf ab, den Betroffenen ein Leben in Würde und Selbstverantwortung zu ermöglichen und alle präventiven Möglichkeiten auszuschöpfen, bevor man psychisch Kranke in eine Klinik zwangseinweise. Über Einweisungen müsse stets ein Facharzt entscheiden, nicht die Behörde. Das gelte in Thüringen auch im Notfall, ergänzte der Münchner Rechtsanwalt Dr. Rolf Marschner: Nicht die Polizei entscheide über eine mögliche Zwangsunterbringung, sondern ein sachverständiger sozialpsychiatrischer Dienst. Prof. Margot Albus, Ärztliche Direktorin des Klinikums München-Ost, wies darauf hin, in Thüringen sei die Zahl der Unterbringungen geringer als in Bayern, „denn in Bayern fehlt bislang das präventive Hilfsangebot als zentrales Element“.

Josef Mederer, Präsident des Bayerischen Bezirketags, warb für eine „ganzheitliche Gesetzgebung“ über Prävention, Klinik und Nachsorge. In den großen bayerischen Städten funktionierten die Kriseninterventionsdienste gut, auf dem Land sei es schwieriger.

„Ja, wir brauchen ein Gesetz“, so Mederer, zumal es bei Zwangsbehandlungen Widersprüche zwischen Gesetz und Rechtsprechung gebe. „Im Sinne der Betroffenen, Angehörigen und Beschäftigten brauchen wir Klarheit.“

Es könne nicht sein, dass der Gesetzgeber die Kliniken in solchen Fällen allein lasse. Heiner Dehner, Psychiatrie-Koordinator der Stadt Nürnberg, ergänzte, auch Polizisten seien bei Zwangseinweisungen ohne ärztliche Unterstützung häufig nach eigenen Angaben „völlig überfordert“, weil ihnen außer Handschellen und unmittelbarem Zwang wenig übrigbleibe, um den Betroffenen in ihre Gewalt zu bringen.

Mira Korensky von den Müchner Psychiatrie-Erfahrenen e.V. warf ein, geistige Erkrankungen würden immer noch weniger ernst genommen als körperliche:

„Ein Infarkt-Patient geht auch nicht am Montag zum Hausarzt, wenn er am Samstag einen Infarkt hatte.“

In diese Kerbe schlug auch Karl Heinz Möhrmann vom Landesverband der Angehörigen psychisch Kranker:

„Psychiater machen nur sehr selten Hausbesuche und sind im Krisenfall sehr schwer greifbar.“

Im übrigen müsse der Staat die Unterbringungen für psychisch Kranke stärker kontrollieren, etwa durch „Besuchskommissionen“. Der fachliche Umgang mit den Kranken sei generell stärker als bisher zu dokumentieren, forderte Dr. Heinrich Berger, Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes München-Giesing:

„Wir brauchen eine Psychiatrieberichterstattung.“

Simone Kern vom Bayerischen Roten Kreuz schlug unabhängige Beschwerdestellen vor, damit Betroffene und Angehörige gegen unrechtmäßige Maßnahmen vorgehen können.

Heinrich Berger und Heiner Dehner waren es schließlich, die der Diskussion eine Wende gaben. In 15 anderen Bundesländern gebe es Psychisch-Kranken-Gesetze, in Baden-Württemberg entstehe gerade ein brandaktuelles, in Bayern verstaube ein brauchbarer Entwurf seit 15 Jahren in der Schublade. Die Frage sei doch eigentlich nicht, so Berger, welchen Inhalt ein solches Gesetz haben müsse, sondern auf welchem Weg Bayern schnellstmöglich das Gesetz verabschieden könne. Man brauche einen Runden Tisch, ergänzte Josef Mederer, der die Eckpunkte eines solchen Gesetzes erarbeite. Ob er denn bei einer solchen Anhörung auch die Landtagsabgeordneten einmal etwas fragen dürfe, wagte sich Heiner Dehner vor:

„Könnten Sie sich vorstellen, einen solchen Runden Tisch einzurichten?“

Die Unterstützung der vier Landtagsfraktionen war einhellig. Strittig blieb allenfalls, wer in den vergangenen Jahren bei diesem Gesetz auf der Bremse gestanden habe. Ein Ministeriumsvertreter erläuterte, der alte bayerische Entwurf sei an Zuständigkeitsfragen zwischen Bund, Ländern und Kommunen gescheitert. Andere sahen einen Konflikt zwischen Krankenkassen und Kommunen über die Finanzierung als größte Hürde. Die Opposition wies wiederum daraufhin, die CSU-Fraktion habe sich lange Jahre von diesem Gesetz nicht überzeugen lassen wollen. Dr. Thomas Goppel (CSU) und Dr. Karl Vetter (FREIE WÄHLER) warben dafür, das Gesetz jetzt zügig zu verabschieden. Kerstin Celina (Bündnis 90/Die Grünen) forderte das Gesundheitsministerium auf, zeitnah eine Aufstellung über die zu erwartenden Kosten des neuen Gesetzes und über mögliche Synergieeffekte zu machen. Ausschussvorsitzende Katrin Sonnenholzner (SPD) kündigte an, dem Ausschuss schnell einen Vorschlag für einen interfraktionellen Antrag vorzulegen. Kern des Papiers solle die Einrichtung eines Runden Tisches mit Arbeitsgruppen sein, um sämtliche nötigen Fragen bis Jahresende zu klären. Im Jahr 2015 könnte der Landtag dann ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz verabschieden.

Bayerischer Landtag, Aktuelles – Sitzungen – Aus den Ausschüssen v. 24.06.2014 (von Jan Dermietzel)