Aktuelles

Bayerischer Gemeindetag: Staatsregierung muss endlich klare Antworten geben

©pixelkorn - stock.adobe.com

Vor allem in Ballungsräumen besteht ein hoher Bedarf an der Ganztagsbetreuung an Grundschulen / Kommunen geraten an Grenze ihrer Leistungsfähigkeit

Betrachtet man die Ganztagsbetreuung an Grundschulen einzelner Gemeinden, so bietet sich ein buntes Bild unterschiedlichster Modelle und Kooperationspartner. Eines aber ist allen gemeinsam: Die Kommunen müssen erhebliche Mittel zuschießen und geraten schnell an die Grenze ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit, weil die staatlichen Zuschüsse hinten und vorne nicht ausreichen. So hängt die Bildungsgerechtigkeit letztlich davon ab, ob eine Gemeinde Geld hat oder nicht. Vorbei sind die Zeiten, wo die Frau hinter dem Herd stand und für die Erziehung der Kinder zuständig war. Seit Jahren sehen sich die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister mit dem Anspruch der Eltern konfrontiert, eine möglichst komfortable und preiswerte Ganztagsbetreuung ihrer Kinder zu gewährleisten. Den Kommunalpolitikern bleibt nichts anderes übrig, als zu handeln.

„Die Eltern brauchen das“, sagt Franz Josef Hofstetter (CSU), Bürgermeister der 10.000-Einwohner-Gemeinde Taufkirchen (Vils) im Landkreis Erding, der sich als glühender Verfechter der Betreuung bezeichnet.

„Als ich 1996 als Bürgermeister anfing, wurde das Wort ,Betreuung‘ im offiziellen Sprachgebrauch zunächst gemieden.“

Die Staatsregierung habe sich damals gewunden und gebogen.

„Wir haben dann mit einer einfachen Nachmittagsbetreuung angefangen, mit 18 zusätzlichen Lehrerstunden an der Mittelschule. An der Grundschule war es nicht anders.“

Außerdem brauchte man Räume für eine sinnvolle Freizeitnutzung. Die Gemeinde hat daraufhin eine neue, in munterem Gelb gehaltene Grundschule mit großzügig bemessenen Klassenzimmern und zusätzlichen Spielebenen gebaut. Das Ganztagsangebot funktioniert aber nur, wenn Taufkirchen die erforderlichen Mittel zusammenbringt. 250.000 Euro im Jahr gibt die Gemeinde dafür aus.

„Das ist eine rein freiwillige Leistung“, so der Bürgermeister.

Zehn Jahre sei es nun her, dass auf dem Land Kindertagesstätten entstanden. Waren sie zunächst nicht so gut besucht, habe sich das aber bald geändert.

„Diese Kinder kommen jetzt in die Schule. Dafür müssen wir gerüstet sein.“

So sieht es auch Gabriele Müller, frischgebackene SPD-Bürgermeisterin der Gemeinde Haar bei München (20.000 Einwohner).

„Die Anforderungen der Eltern entwickeln sich analog zu den Anforderungen im Kindergartenbereich. Eltern, die ihr Kind vom ersten bis zum sechsten Lebensjahr umfassend betreut hatten, können nicht verstehen, warum mit Schuleintritt die Betreuungssituation sich derart verändert.“

Die Anmeldungen hätten sich rasant entwickelt. Wurde vor zwei Jahren ein Drittel der Grundschulkinder nachmittags an der Grundschule betreut, so war es im vergangenen Schuljahr beinahe die Hälfte. Und für das kommende Schuljahr besteht Nachfrage für etwa zwei Drittel der Grundschüler.

Die beiden Haarer Grundschulen St. Konrad und Jagdfeld besuchen 318, beziehungsweise 341 Kinder. Daneben gibt es eine Mittelschule mit 412 Jugendlichen. Insgesamt also 1071 Schülerinnen und Schüler, die in verschiedenen Formen auch nachmittags betreut sein wollen oder sollen. Der Schwerpunkt der Betreuung bei den Grundschulen und der Mittelschule. Die Gemeinde bietet im laufenden Schuljahr 170 Plätze in der Mittagsbetreuung mit unterschiedlichen Buchungszeiten, 214 Hortplätze von verschiedenen freien Trägern, in der Mittelschule zwei gebundene Ganztagesklassen die mit der Volkshochschule und einem Jugendzentrum zusammenarbeiten.

„Als Besonderheit haben wir seit zwei Jahren gebundene Ganztagesklassen an der Grundschule, die mit einem Hort zusammenarbeiten“, berichtet Bürgermeisterin Müller.

Insgesamt findet Gabriele Müller die Situation für die Kinder, die Eltern und die Kommune unbefriedigend. Die Gemeinde Haar hat wie andere Gemeinden auch versucht, mit viel Eigeninitiative aus den bestehenden staatlichen Angeboten das Beste zu machen und durch zusätzliche Gelder von Jahr zu Jahr Angebote und Plätze dazu zu fügen, die auch einen gewissen pädagogischen Anspruch erfüllen.

„Dennoch sind wir gerade noch an der Grenze, dem Bedarf nachzukommen. Für das nächste Schuljahr schaffen wir es nur sehr knapp und sind darauf angewiesen, dass die Eltern bei den Betreuungszeiten kompromissbereit sind“, so Müller.

Die Ganztagsklassen kosten die Gemeinde Haar zusätzlich jeweils 32.000 Euro im Jahr. Die Gemeinde unterliegt dem bayerischen Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz ( BayKiBiG).

„Was die Räume angeht, sind wir in der Schule nun an der absoluten Grenze angekommen, was die Finanzen angeht, kann ich dieses System leider nicht mehr auf meine zweite Grundschule übertragen“, bedauert die Bürgermeisterin.

Der BayKiBiG-Zuschuss, den Haar allein im Bereich der Schülerbetreuung leistet, habe sich von 2011 mit 280.000 Euro bis zum Jahr 2013 auf 640.000 Euro erhöht. In den Jahren 2010 bis 2013 hat die Gemeinde insgesamt 7,9 Millionen Euro in Neu- und Ausbau sowie 160.000 Euro in den Gebäudeunterhalt investiert. Dazu kommen jährlich schwankende Betriebskostenzuschüsse. Die Bürgermeisterin ist der Meinung, dass „die bayerische Staatsregierung endlich zur Kenntnis nehmen muss, dass in den Ballungsräumen ein erheblicher umfassender Betreuungsbedarf besteht und hier eine klare Antwort nötig ist“. Die Vielzahl der verschiedenen Angebotsformen wirke auf den ersten Blick sehr positiv. Es werde der Anschein erweckt, Eltern könnten das für sie Passende aussuchen.

„In Wirklichkeit müssen die Familien oft das nehmen, was sie bekommen können.“

Die Politik habe eine Verantwortung für die Kinder. Die bestehende Ausstattung und Konzeption der gebundenen Ganztagsschulen sei so unzureichend, dass damit kein kindgerechter rhythmisierter Unterricht realisiert werden kann. Zudem fehlten den Eltern die Ferienzeiten.

„Ich wünsche mir ein klares Bekenntnis zu einer pädagogisch sinnvollen Ganztagsschule, die auch für die Ferienzeiten Lösungen anbietet“, so Gabriele Müller.

Seit dem Schuljahr 2009/2010 profitieren Schüler und Eltern der Grundschule Neutraubling im Landkreis Regensburg vom Angebot der gebundenen Ganztagsschule. Diese startete zunächst einzügig. Ein zweiter Zug wäre notwendig und ist von der Regierung bereits genehmigt. Nachdem die Stadt früher nicht über das genehmigte Raumprogramm hinaus bauen durfte, hinkt sie nun mit dem Raumbedarf hinter der schnellen schulischen Entwicklung her. Montag bis Donnerstag von acht bis 16 Uhr und Freitag Vormittag wechseln sich Fachunterricht mit Projektarbeit, praktischen Übungen, Förder- und musischen Stunden ab. Weitere Fördermaßnahmen in Deutsch oder Mathematik und Zusatzangebote, zum Beispiel im künstlerischen, handwerklichen oder sportlichen Bereich, werden in Zusammenarbeit mit den örtlichen Vereinen, Firmen und Organisationen angeboten. Den Großteil der Kosten von 31.700 Euro übernehmen die Stadt Neutraubling und der Freistaat Bayern; lediglich das Mittagessen mit etwa 36,80 €/Monat tragen die Eltern. Für die Zeit nach 16 Uhr, beziehungsweise am Freitagnachmittags können die Kinder der Ganztagsklassen darüber hinaus beim Kinderhort angemeldet werden. 5.000 Euro trägt die Stadt für die Lehrkräfte der Musikschule. Auch das Geld für die vier Betreuer der Ganztagsklassen kommt aus der Gemeindekasse.

„Es wird auch immer schwieriger, Kooperationspartner für das Ganztagsangebot zu finden“, sagt Kämmerer Manfred Zink.

Neutraubling hat es da vielleicht noch leichter als andere Kommunen. In der Stadt gibt es viel Industrie und Gewerbe und dazu über 50 Vereine. Einerseits werde von den Betreuern eine qualifizierte Ausbildung erwartet, andererseits gibt es dafür aber nur ein geringes Entgelt. Die Organisation der Ganztagsbetreuung erzeugt zudem einen riesigen Verwaltungsaufwand. Der Staat meine, er tut den Gemeinden etwas Gutes, wenn er Fördergelder übers Land verteilt. Doch die Kommunen haben die Arbeit, konstatiert Zink. Beispielsweise sei für jeden Kooperationsvertrag ein Arbeitsvertrag erforderlich, bei Änderungen ein Änderungsvertrag.

„Der Bürgermeister unterschreibt nur noch Verträge über ein paar Euro. Das ist Bürokratismus hoch drei“, so Zink.

Es sei höchste Zeit, das Fördersystem zu vereinfachen.

Auch in der Gemeinde Vaterstetten (21.750 Einwohner) war man mit der bisherigen Praxis in der Ganztagsbetreuung unzufrieden, so Götz Beckenbauer, Referent von Bürgermeister Georg Reitsberger (Freie Wähler). Das Modell des Kultusministeriums sei der Gemeinde nicht weit genug gegangen.

„Wir wollten erreichen, dass die Ganztagsbetreuung aufgepeppt wird.“

Mit den Kirchen, den Schulleitungen und Vertretern der Träger von Kindertagsstätten wie der Arbeiterwohlfahrt habe man einen gemeinsamen Weg beschritten. Ergebnis war ein Modell, das eine enge Kooperation zwischen Grundschule und Hort vorsieht. Auch in Haar praktiziert man dieses Modell erfolgreich. Zwei Lehrerinnen unterrichten die Ganztagsklassen und werden dabei von zwei Erzieherinnen bereits vormittags pädagogisch unterstützt.

„Diese Form des Unterrichts ermöglicht eine tiefer gehende Erziehung in kleineren Gruppen“, so Beckenbauer.

Es wird ein warmes Mittagessen angeboten, eine Hausaufgabenbetreuung kann ebenfalls gebucht werden. Die Lehrerinnen arbeiten von zwölf Uhr an im Tandem mit den Erzieherinnen bis 15.30 Uhr. Von da an sind bis 17.30 Uhr die Erzieherinnen zuständig. Mit Ausnahme von 20 Tagen im Jahr findet die Betreuung auch in der unterrichtsfreien Zeit statt – ein Segen für Eltern, die darauf angewiesen sind.

Bayerischer Gemeindetag, Aktuelles v. 23.07.2014 (Manfred Hummel)