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Rezension: Flurschütz, Die bayerische Popularklage nach Art. 55 BayVfGHG (Schriften zum Landesverfassungsrecht, Band 2, Nomos, 2014)

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Schwarz_Kyrill-A._Passvon Prof. Dr. Kyrill-A. Schwarz, Universität Würzburg

„Die Verfassungswidrigkeit einer Rechtsvorschrift des bayerischen Landesrechts kann jedermann durch Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof geltend machen.“ – So Satz 1 der im Titel der Dissertation genannten Vorschrift des Gesetzes über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof. Die hier anzuzeigende, von Joachim Suerbaum betreute Würzburger Dissertation widmet sich der bayerischen Popularklage, einem landesverfassungsgerichtlichen Verfahrenstyp, der der Sache nach eine abstrakte Normenkontrolle mit individueller Antragsbefugnis darstellt.

Dieses in der Praxis überaus bedeutsame (1405 erhobene Popularklagen allein bis zum 31.12.2013) Verfahren hat allerdings bisher im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wenig Beachtung gefunden. Umso verdienstvoller ist es, dass nunmehr eine aktuelle Arbeit vorliegt, die weit mehr ist als eine Kommentierung der entsprechenden einfachgesetzlichen Ausgestaltung. Die Arbeit ist auch nicht etwa auf eine Rechtsprechungsanalyse beschränkt, wobei hervorzuheben ist, dass gleichwohl zu einzelnen Problembereichen die Rechtsprechung profund ausgewertet und bewertet wird.

Die Bearbeitung beginnt mit einem sehr lesenswerten Kapitel zur geschichtlichen Entwicklung und weist nach, dass Ursprünge eines popularklageähnlichen Verfahrens sich bereits in der Antike nachweisen lassen, dass aber zugleich in der Folge die Bedeutung dieses Verfahrenstyps nachgelassen hat. Vor diesem Hintergrund gelangt die Arbeit zu der zutreffenden Feststellung, dass die bayerische Popularklage keine historischen Vorläufer hat. In einem zweiten Abschnitt im Rahmen der Grundlegung zeichnet der Verfasser dann die Genese der bayerischen Popularklage nach; hier wird das vorhandene Quellenmaterial umfassend ausgewertet und ein – auch im historischen Kontext – spannender Prozess der Entstehung dieser speziellen Zuständigkeit dargestellt; der Teil ist ein kleines Meisterwerk der Verfassungsgeschichte.

Der Hauptteil der Arbeit widmet sich den dogmatischen Fragen der Popularklage und untersucht hier – in Anlehnung an die Prüfungsreihenfolge des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes – die einzelnen Zulässigkeitsvoraussetzungen. Auf über 200 Seiten finden sich zu allen relevanten Problemen umfangreiche Ausführungen; dies allein ist eine beachtliche Leistung, die die Gründlichkeit der Herangehensweise des Autors unterstreicht. Ein weiterer Teil widmet sich dann – mit vergleichbarer Präzision – dem Prüfungsmaßstab.

In einem letzten Teil untersucht der Verfasser dann – im Vergleich insbesondere zu anderen verfassungsgerichtlichen Verfahren, die abstrakt die Überprüfung einer Norm zum Gegenstand haben können – den Mehrwert der bayerischen Popularklage. Er kommt zu dem zutreffenden Ergebnis, dass dieses Verfahren in der Tat einzigartig ist, was sich insbesondere an dem Umstand zeigt, dass jeder einzelne Kläger sich tatsächlich zum „Anwalt des Gemeinwohls“ macht. Aber daneben sind es vor allem die vom Verfasser hervorgehobenen Funktionen des Verfahrens (objektive Rechtsbeanstandungsfunktion; subjektive Rechtsschutzfunktion; Mobilisierungs- und Disziplinierungsfunktion), die zur Stärkung nicht nur des Grundrechtsschutzes in Bayern, sondern zur Stärkung der Verfassung insgesamt beigetragen haben.

Bernd Flurschütz, Die bayerische Popularklage nach Art. 55 BayVfGHG – Entstehungsgeschichte, dogmatische Analyse, Mehrwert. Schriften zum Landesverfassungsrecht, Band 2, Nomos 2014. 437 S., 114 Euro, ISBN 978-3-8487-1176-5

Anmerkung der Redaktion

Prof. Dr. Kyrill-A. Schwarz ist Inhaber der Professur für Öffentliches Recht am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Rechtsphilosophie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und Mitglied in der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. Von 2004-2006 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesverfassungsgericht, von 2008-2010 Referatsleiter “Grundsatzfragen der Verfassung” in der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen.

Net-Dokument BayRVR2014122201