Gesetzgebung

Staatskanzlei: Kabinett berät über Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) / Ab Herbst 2015 politische Phase der Verhandlungen / Haltung der Staatsregierung zu dem Abkommen bekräftigt

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Europaministerin Merk: „Globalisierung nach eigenen Wertvorstellungen mitgestalten und aktiv selbst neue Standards setzen“ / Wirtschaftsministerin Aigner: „Spürbare Umsatz- und Beschäftigungssteigerungen für den exportstarken deutschen Mittelstand“

Der Ministerrat hat heute über die geplante Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen der Europäischen Union und den USA beraten und auf Vorschlag von Europaministerin Dr. Beate Merk und Wirtschaftsministerin Ilse Aigner die Haltung der Staatsregierung zu dem Abkommen bekräftigt. Ab Herbst 2015 sollen die seit 2013 laufenden Verhandlungen in die politische Phase gehen. Der Ministerrat hat dazu die Absicht der Staatsregierung bekräftigt, die TTIP-Verhandlungen unter der Koordination von Staatskanzlei und Wirtschaftsministerium mit Blick auf die nun bevorstehende entscheidende Phase eng zu begleiten, die für Bayern wichtigen Belange gegenüber den jeweiligen Stellen auf Bundes- und EU-Ebene einzubringen und auch Bevölkerung, Verbände und Kommunen in Bayern zum aktuellen Verhandlungsstand und der bayerischen Haltung zu informieren.

Konkret geht es bei TTIP um den Abbau von Zöllen und anderen Handelsbarrieren im transatlantischen Handel zwischen beiden Partnern. Dabei sollen die hohen Standards etwa im Umwelt- und Verbraucherschutz nicht gesenkt werden. Ziele sind insbesondere eine stärkere Öffnung der Märkte auf beiden Seiten des Atlantiks, der Abbau von Einschränkungen für kommerzielle Dienstleistungen, die Verbesserung der Investitionssicherheit und Wettbewerbsgleichheit, die Vereinfachung des Zugangs zu öffentlichen Aufträgen oder auch die Anerkennung vergleichbarer Standards im Bereich Zukunftstechnologien wie z.B. in der Elektromobilität und die Ausdehnung des Schutzes europäischer geografischer Herkunftsangaben auf die USA.

Europaministerin Merk stellte die Chancen und die Bedeutung des transatlantischen Freihandelsabkommens heraus:

„TTIP hat eine große strategische und geopolitische Bedeutung. Weltweit bilden sich neue Handelsblöcke heraus. Wenn Europa im weltweiten Wettbewerb mithalten will, muss es Handelshemmnisse zu seinem wichtigsten Partner abbauen. Die USA sind auch Bayerns Handelspartner Nummer 1. Ein starker transatlantischer Außenhandel stabilisiert den bayerischen Außenhandel, weil er politische und wirtschaftliche Krisen in anderen Exportländern wie Russland und dem Nahen Osten kompensiert. Mit dem Abkommen könnten die zwei größten Handelsräume der Welt die Grundlagen für zukünftige weltweite Standards setzen. Wenn nicht die EU bei neuen Technologien wie z. B. der Elektromobilität, bei vernetzter Mobilität oder bei der Industrie 4.0 gemeinsam mit den USA Standards setzt, dann machen das andere aufstrebende Handelsräume. Bayern will die Globalisierung nach eigenen Ideen und Wertvorstellungen mitgestalten und aktiv selbst neue Standards setzen.“

Auch Wirtschaftsministerin Aigner betonte die weittragende ökonomische, politische und strategische Bedeutung einer neuen transatlantischen Partnerschaft für Bayern, Europa und die USA:

„TTIP stärkt den Wettbewerb und bringt den Verbrauchern Vorteile: niedrigere Preise und eine größere Produktvielfalt. Der exportstarke deutsche Mittelstand kann spürbare Umsatz- und Beschäftigungssteigerungen erwarten. Gerade Bayern mit einer Exportquote im verarbeitenden Gewerbe in Höhe von rund 51% profitiert in besonderem Maße von TTIP. Wir wollen die Chancen nutzen und gleichzeitig mit TTIP dem Freihandel einen Ordnungsrahmen geben, der unsere soziale Sicherheit, unsere Schutzstandards und unsere Lebensqualität in Bayern weiterhin garantiert. Ziel ist ein ausgewogenes Abkommen, das die wirtschaftlichen Potentiale von TTIP nutzt und gleichzeitig die hohen EU- Schutz- und Sicherheitsstandards beibehält und die Identität Bayerns bewahrt. Das ist auch so im Mandat festgeschrieben.“

Ministerin Merk unterstrich zudem, dass die Bevölkerung in den meisten EU-Staaten TTIP grundsätzlich positiv gegenüber stehe. Nur in Deutschland, Österreich und Luxemburg gebe es größere Skepsis.

„Viele Ängste, Sorgen und Kritik in der Bevölkerung wären wohl gar nicht erst aufgekommen, wenn von Anfang an mehr Transparenz bei den Verhandlungen geherrscht hätte. Dieses Informationsdefizit hat in einer kritischen Öffentlichkeit vielfach zu unbegründeten Befürchtungen geführt, die nur schwer auszuräumen sind“, so Staatsministerin Merk.

Positiv sei daher, dass die neue EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström inzwischen, auch auf Drängen der Bayerischen Staatsregierung, mit einer großen Transparenzinitiative reagiert habe:

„Die EU-Kommission hat nun zum Beispiel mehr Verhandlungstexte veröffentlicht, auch in kommentierter Fassung. Ich würde mir wünschen, dass diese Informationen noch stärker abgerufen würden, als dies bisher der Fall ist.“

Die Staatsregierung hat u.a. ihre Haltung zu folgenden Themen festgelegt:

Schutzstandards
Die hohen Schutz- und Sicherheitsstandards in der EU in Bereichen wie Umwelt-, Gesundheits-, und Verbraucherschutz, vor allem hinsichtlich der Lebensmittelsicherheit und des Tierschutzes, sowie Arbeitnehmer- und Datenschutz dürfen nicht abgesenkt werden. Dies gilt auch für die Systeme der sozialen Sicherheit. Dies ist auch im Verhandlungsmandat der EU klar festgeschrieben und inzwischen von beiden Verhandlungspartnern mehrfach bestätigt.

Land- und Ernährungswirtschaft
Der Verankerung des Herkunftsschutzes bayerischer Agrarprodukte und Lebensmittel in TTIP kommt hohe Bedeutung zu. Bayern unterstützt das Ziel der EU-Kommission bei TTIP, den Schutz der geografischen Herkunftsangaben so umfassend wie möglich auf die USA auszudehnen. Die EU hat gleichzeitig bestätigt, dass der Schutz der geografischen Herkunftsangaben für europäische regionale Spezialitäten innerhalb der EU durch TTIP nicht angetastet wird.

Daseinsvorsorge
TTIP führt nicht zu einer Liberalisierung und Privatisierung der kommunalen Daseinsvorsorge und insbesondere nicht der Wasserversorgung. Das steht so auch im TTIP-Verhandlungsmandat. Inzwischen wurde von beiden Seiten schriftlich dargelegt, dass kein Handelsabkommen der EU oder der Vereinigten Staaten die Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen vorschreiben wird. Auch die Möglichkeit der Rekommunalisierung öffentlicher Dienstleistungen wird ausdrücklich bestätigt.

(Redaktioneller Hinweis: zu potentiellen Auswirkungen des TTIP auf die kommunale Organisationsfreiheit im Bereich Wasserver- und Abwasserentsorgung vgl. den Beitrag von Prof. Dr. Markus Krajewski v. 11.02.2014; siehe auch das gemeinsame Positionspapier der kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene v. 01.10.2014)

Audiovisuelle Dienstleistungen und kulturelle Vielfalt
Das Verhandlungsmandat der EU-Kommission schließt den audiovisuellen Sektor (Hörfunk, Film und Fernsehen) bei Dienstleistungen aus. Das bedeutet, dass die Kommission keine Verhandlungen über die Liberalisierung audiovisueller Dienstleistungen führen darf. Im Verhandlungsmandat der EU ist ferner ausdrücklich der Schutz der kulturellen Vielfalt als zentrale „rote Linie“ in den Verhandlungen auferlegt.

Meistervorbehalt
Der Meistervorbehalt wird durch TTIP nicht tangiert, da es sich um eine nicht diskriminierende Qualifizierungsanforderung an die Berufsqualifikation handelt. Gleichwohl plädiert Bayern für eine ergänzende Klarstellung. Es soll in TTIP ein Rahmen geschaffen werden, um über die gegenseitige Anerkennung von Qualifizierungsnachweisen in reglementierten Berufen zu verhandeln. Eine Absenkung der Anforderungen an die nationalen Qualifizierungen wird damit hingegen nicht angestrebt.

Bildungsdienstleistungen
Der Bereich der öffentlich und gemischt finanzierten Bildung ist von den Verhandlungen ausgenommen. Im Bereich der rein privat finanzierten Bildung ist vorgesehen, lediglich das schon jetzt geltende Verpflichtungsniveau des GATS-Abkommens („General Agreement on Trade in Services”, deutsch „Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen“) von 1995 zu spiegeln.

Finanzdienstleistungen
Im Zuge der TTIP-Verhandlungen sollten auch die Rahmenbedingungen für Stabilität und Wettbewerb auf den Finanzmärkten in den USA und Europa angeglichen werden. Bereits beschlossene Regulierungsmaßnahmen auf beiden Seiten dürfen dabei aber auf keinen Fall aufgeweicht werden.

Regulatorische Kooperation
Die Regulierungshoheit soll auf jeder Seite gewahrt bleiben. Das bedeutet, dass die Zusammenarbeit im Gesetzgebungs- und Regulierungsbereich auf wesentliche Bereiche im gemeinsamen Interesse begrenzt und auf ein gegenseitiges „Frühwarnsystem“ beschränkt bleiben soll. Dabei sind dann je nach EU-Verfahren auch Rat und EU-Parlament zu beteiligen.

Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS-Verfahren)
Die Bayerische Staatsregierung hält aus deutscher Sicht spezielle Vorschriften zum Investitionsschutz und Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS-Verfahren) in Freihandelsabkommen zwischen Staaten mit hoch entwickelten Rechtssystemen, wie den USA, nicht für erforderlich. Der Rechtsweg zu den nationalen Gerichten in Deutschland wie in den USA bietet hinreichenden Rechtsschutz. Sollten ISDS-Verfahren in TTIP unabweisbar sein, muss das Ziel ein modernes und ambitioniertes Investitionsschutzabkommen sein, das vor allem die Handlungsspielräume der EU sowie der Parlamente und Regierungen der Mitgliedstaaten und ihrer Regionen nicht einschränkt.

(Redaktioneller Hinweis: Zu den ISDS-Verfahren vgl. die Stellungnahme der Neuen Richtervereinigung v. 05.08.2014)

Vorteile für Mittelstand sichern
TTIP wird als erstes Handelsabkommen ein spezielles Kapitel für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) enthalten, das die Belange von KMU in TTIP einbringen und die mittelstandsfreundliche Umsetzung der Bestimmungen des Abkommens sicherstellen soll.

Einbindung der nationalen Parlamente
Bayern wie auch der Bund sehen TTIP als sog. „gemischtes Abkommen“ an, da es auch die Zuständigkeiten der EU-Mitgliedstaaten berührt. Auch die EU-Kommission teilt diese Einschätzung. Dies bedeutet, dass TTIP auch durch die nationalen Parlamente ratifiziert werden muss, in Deutschland also durch Bundestag und Bundesrat – da auch Zuständigkeiten der Bundesländer betroffen sind.

Staatskanzlei, Bericht aus der Kabinettssitzung, Pressemitteilung v. 05.05.2015

Redaktioneller Hinweis: Zur Entwicklung rund um TTIP nebst Stellungnahmen aus dem Freistaat vgl. hier.