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EuGH: Wohnsitzauflage bei subsidiär Schutzberechtigten zulässig, wenn sie in stärkerem Maß mit Integrationsschwierigkeiten konfrontiert sind als andere Personen

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Der Gerichtshof äußert sich zum Verhältnis zwischen der Freizügigkeit von Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, und den Maßnahmen, die darauf abzielen, die Integration dieser Personen zu erleichtern. Bei Personen mit subsidiärem Schutzstatus ist eine Wohnsitzauflage zulässig, wenn sie in stärkerem Maß mit Integrationsschwierigkeiten konfrontiert sind als andere Personen, die keine EU-Bürger sind und sich rechtmäßig in dem Mitgliedstaat aufhalten, der diesen Schutz gewährt hat.

Nach einer Richtlinie der Union[1] müssen die Mitgliedstaaten die Bewegungsfreiheit von Personen, denen sie den subsidiären Schutzstatus[2] zuerkannt haben, in ihrem Hoheitsgebiet unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen gestatten wie für andere Nicht-EU-Bürger, die sich rechtmäßig dort aufhalten.

Nach deutschem Recht wird die Aufenthaltserlaubnis von Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die soziale Leistungen beziehen, mit der Auflage verbunden, ihren Wohnsitz an einem bestimmten Ort zu nehmen (im Folgenden: Wohnsitzauflage). Diese Auflage kann zum einen auf eine angemessene Verteilung der mit der Gewährung der sozialen Leistungen verbundenen Lasten auf deren jeweilige Träger abzielen. Zum anderen kann mit ihr das Ziel verfolgt werden, die Integration von Nicht-EU-Bürgern in die deutsche Gesellschaft zu erleichtern.

Herr Alo und Frau Osso sind syrische Staatsangehörige, die 1998 bzw. 2001 nach Deutschland kamen. Ihnen wurde subsidiärer Schutz gewährt. Ferner wurde ihnen eine Wohnsitzauflage erteilt, die sie vor den deutschen Gerichten anfechten. Der Rechtsstreit ist nunmehr beim Bundesverwaltungsgericht anhängig, das vom Gerichtshof wissen möchte, ob die Wohnsitzauflage mit der Richtlinie vereinbar ist.

Mit seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass die Richtlinie die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Personen, denen sie den subsidiären Schutzstatus zuerkannt haben, nicht nur zu gestatten, sich in ihrem Hoheitsgebiet frei zu bewegen, sondern auch, dort ihren Wohnsitz zu wählen. Folglich stellt eine diesen Personen erteilte Wohnsitzauflage eine Einschränkung der durch die Richtlinie gewährleisteten Freizügigkeit dar. Wird diese Auflage nur Personen mit subsidiärem Schutzstatus erteilt, die soziale Leistungen beziehen, stellt sie zudem eine Einschränkung des im Unionsrecht vorgesehenen Zugangs dieser Personen zur sozialen Fürsorge dar.

In diesem Zusammenhang hebt der Gerichtshof hervor, dass Personen mit subsidiärem Schutzstatus in Bezug auf die Wahl ihres Wohnsitzes grundsätzlich keiner strengeren Regelung unterworfen werden dürfen als andere Nicht-EU-Bürger, die sich rechtmäßig im betreffenden Mitgliedstaat aufhalten, und dass sie hinsichtlich des Zugangs zur Sozialhilfe grundsätzlich nicht schlechter behandelt werden dürfen als Angehörige dieses Staates.

Gleichwohl hält der Gerichtshof es für zulässig, eine Wohnsitzauflage nur Personen mit subsidiärem Schutzstatus zu erteilen, wenn diese sich im Hinblick auf das mit der fraglichen nationalen Regelung verfolgte Ziel nicht in einer Situation befinden, die mit der Situation anderer Nicht-EU-Bürger, die sich rechtmäßig in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhalten, oder von Angehörigen dieses Staates objektiv vergleichbar ist.

Sodann erkennt der Gerichtshof an, dass Ortsveränderungen von Empfängern sozialer Leistungen oder ihre ungleiche Konzentration im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu einer unangemessenen Verteilung der mit diesen Leistungen verbundenen finanziellen Last auf die zuständigen Träger führen können. Eine solche ungleichmäßige Lastenverteilung hängt jedoch nicht speziell mit der etwaigen Eigenschaft der Leistungsempfänger als Personen mit subsidiärem Schutzstatus zusammen. Unter diesen Umständen steht die Richtlinie einer Wohnsitzauflage entgegen, die allein Personen mit subsidiärem Schutzstatus erteilt wird, um eine angemessene Verteilung der mit der Gewährung der fraglichen Leistungen verbundenen Lasten zu erreichen.

Dagegen wird das Bundesverwaltungsgericht zu prüfen haben, ob Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die Sozialhilfe beziehen, in stärkerem Maß mit Integrationsschwierigkeiten konfrontiert sind als andere Nicht-EU-Bürger, die sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten und Sozialhilfe beziehen. Sofern sich diese beiden Personengruppen im Hinblick auf das Ziel, die Integration von Nicht-EU-Bürgern in Deutschland zu erleichtern, nicht in einer vergleichbaren Situation befinden, steht die Richtlinie einer Wohnsitzauflage für Personen mit subsidiärem Schutzstatus zur Förderung ihrer Integration nicht entgegen. Dies gilt auch dann, wenn die Auflage nicht für andere Nicht-EU-Bürger gilt, die sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten.

EuGH, Pressemitteilung v. 01.03.2016 zum U. in den verb. Rs. C-443/14 und C-444/14 (Kreis Warendorf / Ibrahim Alo und Amira Osso / Region Hannover)

Redaktionelle Hinweise

Die Überschrift („Schlagzeile“) wurde redaktionell formuliert.

Zu weiteren Meldungen im Kontext des Urteils (z.B. den Schlussanträgen des GA oder dem Vorlagebeschluss des BVerwG) vgl. hier.

Nachdem am Freitag ein Teil des sog. Asylpakts II (Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren) den Bundesrat passierte, wird bereits – teilweise unter dem Schlagwort „Asylpaket III“ – die Möglichkeit einer Wohnsitzauflage für anerkannte Schutzsuchende diskutiert. Dies entspricht einer Forderung der kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene. Ähnliches gab es in der BRD schon einmal: Als Ende der 1980er Jahre im Zuge der Öffnung des „Eisernen Vorhangs“ die Zahl der Spätaussiedler deutlich anstieg und der Zustrom zu erheblichen Engpässen bei der Erstunterbringung und der Wohnraumversorgung führte, reagierte der Bundesgesetzgeber mit dem Erlass des sog. Wohnortzuweisungsgesetzes (Gesetz über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Aussiedler und Übersiedler vom 6. Juli 1989, BGBl I S. 1378). In einem Urteil vom 17. März 2004 (1 BvR 1266/00) bestätigte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungskonformität des Gesetzes, mahnte jedoch an, die weitere Entwicklung und insbesondere die Auswirkungen der Regelung zu beobachten und diese gegebenenfalls für die Zukunft zu korrigieren. In diesem Kontext entstand der Forschungsbericht des BAMF „Zuwanderung und Integration von (Spät-) Aussiedlern – Ermittlung und Bewertung der Auswirkungen des Wohnortzuweisungsgesetzes“ aus dem Jahre 2011.

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[1] Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337, S. 9).

[2] Der subsidiäre Schutzstatus kann Nicht-EU-Bürgern gewährt werden, die nicht als Flüchtlinge eingestuft werden, aber aus ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen internationalen Schutz benötigen.