Gesetzgebung

Landtag: Gesetzentwurf für ein Parlamentsbeteiligungsgesetz (PBG) eingebracht

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Maximilianeum_Fotolia_63596149_S_copyright - passDie im Landtag vertretenen Fraktionen haben einen gemeinsamen Gesetzentwurf über die Beteiligung des Landtags durch die Staatsregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 70 Abs. 4 der Verfassung des Freistaates Bayern sowie in sonstigen Angelegenheiten gemäß Art. 55 Nr. 3 Satz 2 der Verfassung des Freistaates Bayern (Parlamentsbeteiligungsgesetz – PBG) eingebracht (LT-Drs. 17/10704 v. 31.03.2016). Dieser sieht die Neufassung des Gesetzes vor. Das bisherige PBG v. 25.05.2003 soll außer Kraft treten.

I. Grund für die Gesetzesinitiative

1. Anpassung an eine neue Verfassungslage

Bisher beruht das PBG auf Art. 55 Nr. 3 Satz 2 BV. Der durch das Gesetz zur Änderung der Verfassung vom 11. November 2013 (GVBl. S. 640) eingefügte Art. 70 Abs. 4 BV stellt gegenüber Art. 55 Nr. 3 Satz 2 BV eine spezielle Regelung zur Beteiligung des Landtags in Angelegenheiten der EU dar und enthält den Auftrag, das Nähere durch Gesetz zu regeln:

Art. 70 Abs. 4 Satz 1 BV erhebt die Unterrichtungspflicht der Staatsregierung gegenüber dem Landtag in Angelegenheiten der EU in den Verfassungsrang. Art. 70 Abs. 4 Satz 2 BV räumt dem Landtag das Recht ein, die Staatsregierung durch Gesetz in ihren verfassungsmäßigen Aufgaben zu binden, sofern durch die Übertragung von Hoheitsrechten Gesetzgebungszuständigkeiten Bayerns ganz oder teilweise auf die EU übertragen werden sollen. Mit Art. 70 Abs. 4 Satz 3 BV wird die Staatsregierung grundsätzlich an Stellungnahmen des Landtags gebunden, sofern Vorhaben der Europäischen Union Gesetzgebungszuständigkeiten des Landes unmittelbar betreffen. Nach Art. 70 Abs. 4 Satz 4 BV regelt das Nähere ein Gesetz. Hierzu dient das neue PBG.

2. Aufgreifen bisheriger Vollzugserfahrungen

Zudem sollen Erfahrungen der parlamentarischen Beteiligung in Bayern, den anderen Ländern und dem Bund aufgegriffen werden.

II. Wesentliche Regelungen

Wesentliche Regelungen zur Beteiligung des Landtags sollen wie bisher gesetzlich im PBG festgelegt werden, während Details zum Vollzug der Unterrichtung weiterhin einer Vereinbarung zwischen Landtag und Staatsregierung vorbehalten bleiben sollen.

1. Inhaltsübersicht PBG n.F.

Teil 1  Beteiligung in landes- und bundespolitischen sowie internationalen Angelegenheiten
Art. 1  Umfang der Beteiligung

Teil 2  Beteiligung in Angelegenheiten der Europäischen Union
Art. 2  Unterrichtung über Vorhaben der Europäischen Union
Art. 3  Unterrichtung über Vertragsänderungsverfahren, Flexibilitätsklausel und Notbremsemechanismus
Art. 4  Weitere Gegenstände der Unterrichtung
Art. 5  Bindung der Staatsregierung an Stellungnahmen des Landtags

Teil 3  Gemeinsame Vorschriften
Art. 6  Umfang und Tiefe der Unterrichtung
Art. 7  Weitergehende Unterrichtung
Art. 8  Grenzen der Unterrichtung
Art. 9  Vereinbarung

Teil 4  Schlussvorschriften
Art. 10 Inkrafttreten, Außerkrafttreten

2. Im Einzelnen

a) Art. 2 PBG n.F. – Unterrichtung über Vorhaben der Europäischen Union

Abs. 1. Nach Abs. 1 übermittelt die Staatsregierung dem Landtag unverzüglich die ihr vom Bundesrat zugeleiteten Vorhaben der Europäischen Union.

„Vorhaben der Europäischen Union“ – hier verweist die Gesetzesbegründung auf § 5 EUZBBG, der beispielhaft Vorhaben benennt.

„Zuleitung“ bedeutet laut Gesetzesbegründung die förmliche und unmittelbare Übersendung durch den Bundesrat an die Staatsregierung als Adressaten im Rahmen des Bundesratsverfahrens. Keine Zuleitung in diesem Sinne liegt vor, wenn die Staatsregierung lediglich mittelbar Zugriff erhält (z.B. durch die Einstellung von Dokumenten, die an andere Adressaten gerichtet sind, in eine Datenbank des Bundesrats).

Abs. 2. Die Staatsregierung unterrichtet den Landtag frühzeitig über Vorhaben nach Abs. 1 und gibt ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. 

Abs. 3. Bei Vorhaben nach Abs. 1, die das Recht der Gesetzgebung betreffen oder sonstige erhebliche landespolitische Bedeutung haben, unterrichtet die Staatsregierung den Landtag über ihre erste Einschätzung zu den erwarteten Folgen des Vorhabens für den Freistaat.

Abs. 4. Bei Entwürfen von Gesetzgebungsakten der EU, die dem Subsidiaritätsfrühwarnsystem unterliegen, unterrichtet die Staatsregierung in der Regel innerhalb von zwei Wochen nach Zuleitung des Vorhabens durch den Bundesrat in Form einer ersten Einschätzung über die Zuständigkeit der EU sowie die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit.

Abs. 4 enthält Vorgaben für die Unterrichtung der Staatsregierung, die – über die in Abs. 2 und ggf. die in Abs. 3 genannten Pflichten hinaus – zusätzlich bei Entwürfen zu Gesetzgebungsakten der Europäischen Union gelten. Hintergrund ist die Einbindung des Landtags in das System zur Kontrolle der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips.

b) Art. 3 PBG n.F. – Unterrichtung über Vertragsänderungsverfahren, Flexibilitätsklausel und Notbremsemechanismus

Satz 1 sieht aufgrund der politischen und rechtlichen Bedeutung der Änderung der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eine ausdrückliche Unterrichtungspflicht für Vertragsänderungen vor, die nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG ein Zustimmungserfordernis des Bundesrats auslösen.

Eine entsprechende Unterrichtungspflicht gilt gem. Satz 2 in Fällen der sog. Flexibilitätsklausel und des Notbremsemechanismus. Die als Flexibilitätsklausel oder auch als Kompetenzabrundungsregel bezeichnete Vorschrift in Art. 352 AEUV nutzt die Europäische Union, wenn sie Recht setzen will ohne ausdrückliche Ermächtigung, aber mit einem „Anknüpfungspunkt“ an bestehende Kompetenzen der Europäischen Union. Diese Fälle bürgen die Gefahr einer Kompetenzanmaßung der Europäischen Union in sich, so die Gesetzesbegründung. Ihre Inanspruchnahme setzt die Ratifikation durch den Deutschen Bundestag und den Bundesrat auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 GG voraus (vgl. BVerfGE 123, 267 <395>). Der sog. Notbremsemechanismus sieht ein Weisungsrecht des Bundesrats vor, um Gesetzgebungsakte der Europäischen Union im Bereich der Sozialpolitik oder der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen vorläufig zu stoppen.

c) Art. 4 PBG n.F. – Weitere Gegenstände der Unterrichtung

Die Bestimmung steht in Zusammenhang mit Art. 23 Abs. 6 GG. Danach wird, wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen.

d) Art. 5 PBG n.F. – Bindung der Staatsregierung an Stellungnahmen des Landtags 

Art. 5 PBG n.F. Abs. 1 und 2 entsprechen Art. 70 Abs. 4 Sätzen 2 und 3 BV. Mit der Bindung der Landesregierung an Stellungnahmen oder an ein Gesetz des Landtags nimmt der Gesetzentwurf die in der Rechtswissenschaft sehr umstrittene Frage auf, ob eine solche Bindung grundgesetzkonform ist. Die beiden grundsätzlichen Positionen, jeweils verfochten von namhaften Wissenschaftlern, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

(1) Eine derartige Bindung ist verfassungswidrig. Zwar werden in den Bundesrat Vertreter der Landesregierung entsandt. Der Bundesrat ist jedoch ein Bundesorgan, dessen Zusammenstellung, Rechtsstellung und Verfahren abschließend im Grundgesetz normiert worden ist. Die Vertreter dieser Auffassung können sich auf ein frühes Urteil des BVerfG berufen (BVerfGE 8, 104, 120 ff.).

(2) Eine derartige Bindung ist zulässig, denn sie wirkt der zunehmenden Aushöhlung der Gesetzgebungskompetenzen der Länder durch Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU entgegen. An dieser Übertragung seien die Landtage als eigentlich Betroffene nur unzureichend beteiligt. Zudem habe das BVerfG in seiner Lissabon-Entscheidung „ausdrücklich die Integrationsverantwortung der Parlamente für die weitere Entwicklung der EU hervorgehoben und diese namentlich in die Hände von Bundestag und Bundesrat als der demokratisch legitimierten Legislative gelegt (BVerfGE 123, 267, 356). Soweit es aber um ausschließliche oder im Schwerpunkt betroffene Gesetzgebungskompetenzen der Länder gehe, müssten die Landesparlamente als der eigentlich zuständige Rechtsträger diese Integrationsverantwortung zusammen mit Bundestag und Bundesrat wahrnehmen“ (Brechmann, in: Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 5. Auflage 2014, Art. 70 Rn. 42, mwN).

Art. 5 PBG n.F. [Bindung der Staatsregierung an Stellungnahmen des Landtags]

(1) Ist das Recht der Gesetzgebung durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union betroffen, kann die Staatsregierung in ihren verfassungsmäßigen Aufgaben durch Gesetz gebunden werden.

(2) Ist das Recht der Gesetzgebung durch ein Vorhaben der Europäischen Union betroffen, hat die Staatsregierung bei ihren verfassungsmäßigen Aufgaben die Stellungnahme des Landtags maßgeblich zu berücksichtigen.

(3) Bei sonstigen Vorhaben der Europäischen Union, insbesondere auf dem Gebiet der kommunalen Daseinsvorsorge, berücksichtigt die Staatsregierung die Stellungnahmen des Landtags.

(4) Weicht die Staatsregierung von einer Stellungnahme des Landtags nach Abs. 2 oder 3 ab, so teilt sie dem Landtag die maßgeblichen Gründe hierfür mit.

Hinsichtlich der Abs. 1 und 2 verweist die Gesetzesbegründung lediglich auf die Begründung zu LT-Drs. 16/15140 [PDF] (letzte Verfassungsänderung aus dem Jahre 2013, die u.a. zur o.g. Änderung von Art. 70 Abs. 4 BV führte), die insoweit wiedergegeben werden soll:

Im Zusammenhang mit der Europäischen Union wird immer wieder ein „Demokratiedefizit“ diskutiert. Durch die Neuregelung in Art. 70 Abs. 4 der Verfassung soll ein Mehr an Demokratie in den nationalen Entscheidungsprozess kommen.

Art. 70 Abs. 4 Satz 1 erhebt – abgesehen von der bereits bestehenden allgemeinen Unterrichtungsverpflichtung gemäß Art. 55 Nr. 3 Satz 2 – die Informationspflicht der Staatsregierung gegenüber dem Landtag in EU-Angelegenheiten, die bislang einfachgesetzlich geregelt ist, in den Verfassungsrang. Die Information des Landtags durch die Staatsregierung ist notwendige Voraussetzung für die Willensbildung und die Entscheidungsfindung im Landtag.

Art. 70 Abs. 4 Satz 2 räumt dem Landtag das Recht ein, die Staatsregierung durch Gesetz in ihren verfassungsmäßigen Aufgaben zu binden, sofern durch die Übertragung von Hoheitsrechten Gesetzgebungszuständigkeiten Bayerns ganz oder teilweise auf die Europäische Union übertragen werden sollen. Davon nicht berührt ist die Übertragung von Hoheitsrechten in Angelegenheiten, für die der Bund die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit besitzt oder bei denen der Bund im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung von seinem Recht der Gesetzgebung Gebrauch gemacht hat, ohne dass die Länder hiervon noch abweichende Regelungen treffen können. Unter den „verfassungsmäßigen Aufgaben“ sind insbesondere die Abstimmungen im Bundesrat zu verstehen. Die Vertreter der Staatsregierung sollen durch ein Gesetz in ihrem Abstimmverhalten gebunden werden können. Damit ist eine Bindung der Staatsregierung auch grundsätzlich im Wege der Volksgesetzgebung möglich. Diese strikte Bindung der Staatsregierung ist angezeigt, da es sich im Fall der Übertragung von Gesetzgebungszuständigkeiten auf die Europäische Union um einen endgültigen Verlust eigener Rechte des Landtags handelt.

Mit Art. 70 Abs. 4 Satz 3 wird die Staatsregierung grundsätzlich an Stellungnahmen des Landtags gebunden, sofern Vorhaben der Europäischen Union Gesetzgebungszuständigkeiten des Landes unmittelbar betreffen. Während Satz 2 eine absolute Bindungswirkung normiert, die den Ermessenspielraum der Staatsregierung auf Null setzt, bleibt es bei den Vorhaben der Europäischen Union, durch die Gesetzgebungskompetenzen nicht durch die Übertragung von Hoheitsrechten berührt werden, grundsätzlich bei der Entscheidungsverantwortung der Staatsregierung. Die Bindungswirkung umfasst zum einen Stellungnahmen des Landtags zu Vorhaben der Europäischen Union, die in Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder eingreifen, wie auch zu solchen Vorhaben, in denen die Europäische Union von Zuständigkeiten Gebrauch macht, die zwischen der Union und den Mitgliedstaaten geteilt sind, vorausgesetzt, dass innerstaatlich die Länder zuständig sind. Die Bindung der Staatsregierung an Stellungnahmen des Landtags hat bei Eingriffen der Europäischen Union die Funktion eines Abwehrrechts, im Fall der Ausübung geteilter Zuständigkeiten stellt die Bindung eine Kompensation des Landtags dar für verlorene Zuständigkeiten. Im letzten Fall bleibt zudem der Landtag für die Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Union in nationales Recht zuständig und trägt dafür die Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Die Staatsregierung kann in Fällen von Satz 3 zwar von Stellungnahmen des Landtags abweichen, durch die Formulierung „maßgeblich zu berücksichtigen“ wird allerdings ein Regel-Ausnahme-Verhältnis normiert. Es wird der Staatsregierung für Ausnahmefälle Spielraum eingeräumt, um im Bundesrat Kompromisse eingehen zu können.

Ist das Recht der Gesetzgebung nicht betroffen und liegt damit kein Fall des Abs. 1 oder 2 vor, berücksichtigt die Staatsregierung Stellungnahmen zu Vorhaben der Europäischen Union. Das bedeutet laut Begründung zum Gesetzentwurf, dass die Staatsregierung die Stellungnahme des Landtags zur Kenntnis nehmen, in ihre Entscheidungsfindung einbeziehen und sich mit ihr auseinandersetzen muss. Eine rechtliche Bindungswirkung besteht nicht. Zum Unterschied zwischen einer „einfachen“ Berücksichtigung und einer „maßgeblichen“ verhält sich die Gesetzesbegründung nicht.

Landtag, fraktionsübergreifender Gesetzentwurf über die Beteiligung des Landtags durch die Staatsregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 70 Abs. 4 der Verfassung des Freistaates Bayern sowie in sonstigen Angelegenheiten gemäß Art. 55 Nr. 3 Satz 2 der Verfassung des Freistaates Bayern (Parlamentsbeteiligungsgesetz – PBG), LT-Drs. 17/10704 v. 31.03.2016 (Vorgangsmappe, PDF)

Ass. iur. Klaus Kohnen; Titelfoto/-abbildung: (c) ah_fotobox – Fotolia.de

Net-Dokument BayRVR2016033102

Redaktionelle Hinweise

Verfahrensverlauf, aktueller Stand, ggfls. Stellungnahmen zum Gesetzentwurf: hier (dynamischer Link, d.h. stets aktuell).

Der BayRVR-Wochenspiegel (erscheint montags) enthält neben jüngst veröffentlichten Leitsatzentscheidungen auch einen Überblick über die im Freistaat Bayern laufenden Gesetzgebungsverfahren (Verfahrensverlauf, aktueller Stand, ggfls. Stellungnahmen), soweit diese voraussichtlich eine parlamentarische Mehrheit finden werden.