Gesetzgebung

Das Bayerische Integrationsgesetz (BayIntG) – Konzeption, Inhalt und (verfassungs-)rechtliche Kontroverse

von Daniel Wolff, LMU München

A. Einleitung und Hintergrund

Der Bayerische Landtag hat in einer Marathonsitzung am 08./09.12.2016 nach kontroverser parlamentarischer und gesellschaftlicher Diskussion das Bayerische Integrationsgesetz (BayIntG) verabschiedet[1], das am 19.12.2016 nach Ausfertigung durch den Ministerpräsidenten im Bayerischen Gesetzes- und Verordnungsblatt bekanntgemacht[2] und in seinen wesentlichen Bestandteilen am 01.01.2017 in Kraft getreten ist. Es ist erst das vierte Integrationsgesetz auf Landesebene (nur Berlin, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg haben ebenfalls bereits vergleichbare Gesetze)[3] und steht nunmehr neben dem Integrationsgesetz des Bundes (IntG), das am 08.07.2016 den Bundesrat passierte. Vergleichbar dem IntG und im Unterschied zu anderen Landesintegrationsgesetzen stellt es eine Reaktion auf die sog. Flüchtlingskrise dar, wie bereits in Art. 1 Abs. 1 BayIntG[4] klargestellt wird.

Grund für die heftigen Debatten im Vorfeld seiner Verabschiedung – neben den Oppositionsfraktionen kritisierten auch Gewerkschaften, Kirchen, sowie Handwerks-, Industrie- und Handelskammern den Gesetzesentwurf – ist der im BayIntG verfolgte Ansatz einer wertbezogenen Integration, die nicht nur durch Fördermaßnahmen, sondern gleichsam durch (An-)Forderungen, d.h. durch rechtliche Pflichten und eventuelle Sanktionen erreicht und abgesichert werden soll. Entsprechend formulierte der Vorsitzenden der CSU-Landtagsfraktion Thomas Kreuzer (MdL)[5]: „Integration bedeutet, dass die Menschen, die zu uns kommen, sich in unsere Gesellschaft einfügen, und nicht, dass sich unsere Gesellschaft in atemberaubender Geschwindigkeit verändert“.

Im Folgenden soll versucht werden, einen Überblick über die gesetzgeberische Konzeption und die wesentlichen Regelungen des BayIntG zu geben, bevor in einem zweiten Schritt anhand der bisherigen juristischen Stellungnahmen die (verfassungs-)rechtlichen Kontroversen referiert und eingeordnet werden.

B. Gesetzgeberische Konzeption und wesentlicher Inhalt des BayIntG

Gedanklicher Ausgangspunkt des Gesetzgebers sind laut der Gesetzesbegründung die dem Freistaat Bayern durch die Flüchtlingsmigration gestellten „enormen Herausforderungen, finanzieller, kultureller und gesellschaftlicher Art, die bewältigt werden müssen, um das Land vor tiefen gesellschaftlichen Gräben und sozialen Konflikten zu bewahren“. Integration sei die Voraussetzung für niedrige Arbeitslosigkeit, Erhaltung des Wohlstands und den Zusammenhalt der Gesellschaft. Das BayIntG solle nunmehr dieser Integration „auf der Grundlage der Werte und Grundregeln, wie sie in der Bayerischen Verfassung und im Grundgesetz verankert sind, Rahmen und Ziel geben“. Die Integration bekomme durch die Orientierung an der Leitkultur eine „notwendige Richtung“. Denn der „Grundkonsens der Leitkultur“ sei „von besonderer Bedeutung, für das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher sozialer Erfahrung und mit verschiedenen ethnischen, kulturellen und religiösen Prägungen“.[6]

I. Grundkonzeption: Fördern und Fordern

In der Herangehensweise vergleichbar dem Integrationsgesetz des Bundes verfolgt das Gesetz den aus dem Sozialrecht bekannten Ansatz des „Förderns und Forderns“. „Integrationsförderung“ wird dabei in Art. 1 S. 2 als Angebot von Hilfe und Unterstützung zur Erleichterung des Lebens in einem für die Migranten zunächst fremden und unbekannten Land verstanden, wohingegen „Integrationspflicht“ – das Element des „Forderns“ – als Verpflichtung auf die im Rahmen des Gast- und Aufenthaltsstatus unabdingbare Achtung der Leitkultur definiert wird, die auch eigene Integrationsanstrengungen abverlange. Die Entwurfsbegründung spezifiziert den Grundgedanken der Integrationspflicht dahingehend, dass von den „zu uns Kommenden“ erwartet werde, dass sie „die hiesige Kultur und vor allem die jeden Einzelnen bindenden Forderungen unserer Rechts- und Wertvorstellungen akzeptieren, mittragen und als den für sie nun geltenden Maßstab annehmen“. Denn Ziel des Gesetzes sei es „im Interesse jedenfalls der demokratischen Mehrheit der heimischen Bevölkerung“, „die gewachsene und charakteristisch-kollektive Prägung unseres Landes“ zu erhalten. Integrationsförderung und -pflicht sollen nach Art. 1 S. 3 zugleich „einer Überforderung der gesellschaftlich-integrativen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes und seiner kommunalen Ebenen entgegenwirken“.

II. Inhalt

Das BayIntG besteht vor allem – und dies in begrüßenswertem kodifikatorischen Gegensatz zum Bundesintegrationsgesetz (welches als Artikelgesetz ausgestaltet ist) – aus einer Bereichskodifikation mit Präambel und 19 Artikeln. Daneben führt Art. 17a BayIntG zu einer Änderung einer Vielzahl weiterer Rechtsvorschriften aus anderen Gesetzen, wie dem Polizeiaufgabengesetz (PAG), der Gemeindeordnung (GO) und dem Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG).

1. Die Bereichskodifikation (Präambel bis Art. 17, Art. 18-19 BayIntG)

Das BayIntG beginnt – unüblich für ein „einfaches“ Gesetz, wie auch die Gesetzesbegründung einräumt – mit einer Präambel, die in 14 (!) Sätzen versucht, den „identitätsbildende(n) Grundkonsens“ in Bayern zu be- bzw. zu umschreiben, der die „kulturelle Grundordnung der Gesellschaft (Leitkultur)“ darstellt. Zu dieser Leitkultur gehört u.a. die Verpflichtung jedes Einzelnen „zur Wahrung des Rechts und zur Loyalität gegenüber Volk und Verfassung, Staat und Gesetzen“. Hintergrund der Entscheidung für eine Präambel, wie sie für gewöhnlich nur in Verfassungen vorkommen, ist die Einschätzung des bayerischen Gesetzgebers, dass für die neu nach Bayern gekommenen Menschen „Migration und Integration in gleicher Weise einen Neubeginn“ darstellen „wie der Verfassungswechsel nach dem Zweiten Weltkrieg für das deutsche Volk als Ganzes“. Das BayIntG fungiert somit als eine Art integrationspolitisches Orientierungsgesetz mit einer entsprechenden Präambel, die „die bayerische Identität umschreibt und als allen Migrantinnen und Migranten vor- und aufgegeben vorstellt“. Der dahinterstehende Gedanke scheint zu sein, dass Migranten, für die die in Deutschland gebräuchlichen gesellschaftlichen und rechtlichen Normen unbekannt sind, durch das BayIntG und seine Präambel entsprechend informiert und angeleitet werden sollen. In den Worten der Sozialministerin Emilia Müller (CSU): „Jemand, der aus einem anderen Kulturkreis mit einer völlig anderen Identität zu uns kommt, muss unter anderem wissen, wie es bei uns zugeht“. Am Ende der Präambel (Satz 14) wird der in Art. 1 weiter konkretisierte Gesetzeszweck (siehe oben) benannt.

Während Art. 1 die bereits behandelten Integrationsziele und das legislative Grundkonzept zum Ausdruck bringt, behandelt Art. 2 unter der Überschrift „Begriffsbestimmung“ den personalen Anwendungsbereich des Gesetzes. Der Artikel differenziert dabei zwischen drei Personengruppen, denen unterschiedliche Rechte und Pflichten nach dem BayIntG zustehen:

  • Privilegierte Ausländer (Art. 2 Abs. 2) und Deutsche mit Migrationshintergrund (Art. 2 Abs. 3): Diese Personen, deren Privilegierung – mit Blick auf die betroffenen Ausländer – aus rechtlichen (EU-Freizügigkeitsberechtigte), ökonomischen (bestimmte Beschäftigte), wissenschaftspolitischen oder kulturellen (nach § 41 AufenthV Privilegierte, d.h. u.a. Kanadier und Australier) Gründen erfolgt – kommen allein in den Genuss der Integrationsförderung, ohne – mit Ausnahme der Jedermanns-Pflichten – zusätzlich Integrationspflichten nachkommen zu müssen.
  • Ausländer mit Aufenthaltstitel und ihnen ausnahmsweise gleichgestellte Asylberechtigte (Art. 2 Abs. 1 S. 1 und S. 2): Diese Gruppe ist sowohl von den Fördermaßnahmen als auch von den Integrationspflichten adressiert.
  • Ausländer, die nicht nach Abs. 1 Migranten oder ihnen gleichgestellt sind: Diese letzte Gruppe, in die regelmäßig Asylbewerber fallen, gelten allein die Integrationspflichten.

Diese Differenzierung – die der CSU den Vorwurf einbrachte, zwischen „Menschen erster Güte und Menschen zweiter Güte, in Ausländer erster Klasse, Ausländer zweiter Klasse und Ausländer dritter Klasse“ zu unterscheiden[7] – folgt weitestgehend der Logik des Aufenthaltsgesetzes, dessen Integrationskonzept ebenfalls nach Aufenthaltszweck und -dauer differenziert. Dahinter steht laut Entwurfsbegründung der Gedanke, dass nur im Falle eines dauerhaften Aufenthalts eine „Integration in die hiesige Gesellschaft sinnstiftend“ sei. Schließlich regelt das BayIntG – etwa in Art. 13 und 14 – auch Jedermanns-Pflichten, die sich an alle der drei Gruppen sowie auch an Deutsche richten.

In Art. 3 (Allgemeine Integrationsförderung), der als letzter Artikel einer Art „Allgemeiner Teil“ des BayIntG fungiert – folgen „Programmsätze“, die wesentliche Aspekte der Integrationsförderung zusammenfassen, beginnend mit der fast klassischen Kernthese jeder Integrationdebatte, wonach Bildung ein „zentraler Schlüssel zur Integration“ sei (Abs. 1 S. 1).

Art. 4 („Deutsche Sprache) stellt die zentrale Bedeutung des Spracherwerbs für eine gelungene Integration heraus, und fordert diesen von den Migranten ein. Wer sich nach mindestens dreijährigem Aufenthalt in Deutschland (innerhalb eines Zeitraums von sechs Jahren) nicht „angemessen“ in deutscher Sprache verständigen kann (Abs. 2), kann nunmehr zur Erstattung von entstandenen Förderkosten verpflichtet (Abs. 3) und dem können die Kosten über sonst notwendige Dolmetscher und Übersetzer auferlegt werden (Abs. 4). Art. 5 flankiert Art. 4 mit Förderungsaufträgen für die vorschulische Sprachförderung.

Die Artikel 6 bis 8 widmen sich sodann dem Thema „Bildung“. Kindestageseinrichtungen (Art. 6) und Schulen (Art. 7) werden auf die Integrationsziele und damit auch auf die Leitkultur verpflichtet und als wesentliche Akteure der staatlichen Integrationsförderung – sowohl durch Einwirkung auf Kinder und Jugendlichen, aber auch auf deren Familien – ausgemacht. Damit die staatliche Integrationseinwirkung gelingt, sollen Unterrichtsbefreiungen aus religiösen Gründen auf das verfassungsrechtlich Notwendige beschränkt werden (Art. 7 Abs. 4). Art. 8 ermöglicht den Hochschulen, besondere Förderangebote für Migranten anzubieten.

Abweichend vom ursprünglichen Gesetzesentwurf wird nunmehr in einem gesonderten, allerdings laut Begründung lediglich deklaratorischen Charakter aufweisenden Artikel die zentrale Rolle der Kommunen für das Gelingen der Integration von Migrantinnen und Migranten hervorgehoben (Art. 9). Als weitere Akteure der Integration werden „die bayerische Wirtschaft“ (Art. 10) sowie „Rundfunk und Medien (Art. 11) legislativ adressiert. Die Wirtschaft wird in das Integrationskonzept allerdings nur peripher eingebunden, indem nunmehr staatliche Förderprogramme Integrationsbemühungen von Unternehmen positiv berücksichtigen können. Demgegenüber wird in Art. 11 (insbesondere) der Bayerische Rundfunk im Rahmen seines Programmauftrags unmittelbar zur Unterstützung der Integration verpflichtet. Seine Angebote sollen „einen Beitrag zur Vermittlung der deutschen Sprache und der Leitkultur leisten“.

Die Vorschrift des Art. 12 macht die Auszahlung von landesrechtlichen Leistungen, Förderungen und Angeboten von einer sicheren Identitätsfeststellung abhängig. Damit sollen Doppelauszahlungen auf Grund Doppelantragstellungen unter Mehrfachidentitäten verhindert werden. Zur Effektivierung dieser Vorschriften normiert Art. 12 Abs. 2 einen Verwirkungstatbestand für Fälle, in denen sich der betroffene Ausländer bewusst seiner Papiere entledigt hat, um den Identitäts- bzw. Herkunftsnachweis zu erschweren (Nr. 1) und für Konstellationen, in denen Ausweispapiere gefälscht wurden (Nr. 2). Schließlich werden die Behörden durch Abs. 3 ermächtigt, im Falle eines Verstoßes gegen Art. 13 oder Art. 14 die Landesleistungen zu kürzen bzw. zu versagen. Art. 17a Abs. 13 BayIntG führt zu der dadurch notwendig gewordenen Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG).

Art. 13 und Art. 14 gehören zu den umstrittensten Vorschriften des BayIntG, ungeachtet (oder gerade wegen?) der bemerkenswerten Tatsache, dass sie nicht auf Ausländer beschränkt sind, sondern sich in gleicher Weise auch an Einheimische richten. Art. 13 hat zum Ziel, „konkreten Akzeptanzdruck“ für die Rechts- und Werteordnung in Deutschland und Bayern zu schaffen. Art. 13 soll bereits im Vorfeld strafrechtlicher Relevanz staatliche Handlungsmöglichkeiten schaffen, indem bei Zuwiderhandlung gegen die in Abs. 1 und Abs. 2 genannten Tatbestände eine Verpflichtung zur Teilnahme an einem Grundkurs über die Werte der freiheitlich demokratischen Grundordnung ausgesprochen werden kann. Abs. 1 stellt dafür darauf ab, dass jemand durch „demonstrative Regelverstöße, Verunglimpfungen oder sonst durch nach außen gerichtetes Verhalten beharrlich zum Ausdruck bringt, dass er die freiheitlich demokratische Grundordnung (…) ablehnt“. Ferner (S. 2) wird die Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols (insbesondere „grob ungebührliches Verhalten gegenüber Einsatzkräften“), des Verhältnisses von Religion und Staat, der gewaltlosen Erziehung von Kindern und des Schutzes von Minderjährigen oder der Beachtung des deutschen Straf-, Ehe- und Familienrechts entsprechend sanktioniert. Erfasst Abs. 1 danach Fälle der fehlenden Akzeptanz, betrifft Abs. 2 demgegenüber schwerwiegende Verhaltensverfehlungen von „Tätern“, denen die staatliche Rechtsordnung entweder gleichgültig oder die hiesige Rechtsordnung in ihren tragenden Grundsätzen unbekannt ist. Durch Abs. 3 werden entsprechende Anordnungen nach Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 bußgeldbewehrt.

Art. 14 – der ebenfalls Jedermannspflichten statuiert – dient der präventiven Gefahrenabwehr zum Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung, indem bestimmte Verhaltensweisen verboten und mit bis zu € 50.000 bußgeldbewehrt werden. Diese rechtlich interessante Vorschrift soll der Einfachheit halber zumindest in ihrem Abs. 1 wörtlich wiedergegeben zu werden:

Art. 14 Unterlaufen der verfassungsmäßigen Ordnung

(1) Es ist verboten

  1. öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften dazu aufzufordern, die geltende verfassungsmäßige Ordnung zu missachten und stattdessen einer mit ihren Grundsätzen nicht zu vereinbarenden anderen Rechtsordnung zu folgen,
  2. es zu unternehmen, andere Personen einer solchen Ordnung zu unterwerfen, oder
  3. es zu unternehmen, eine solche Ordnung oder aus ihr abgeleitete Einzelakte zu vollziehen oder zu vollstrecken.

(2) […]

Diese Norm passt sich nach Ansicht der Entwurfsbegründung nahtlos in die bisherige polizei- und sicherheitsrechtliche Dogmatik ein, da das aus diesem Regelungsbereich bekannte Schutzgut der Öffentlichen Sicherheit neben der Unversehrtheit der Rechtsordnung auch die Funktionsfähigkeit der staatlichen Einrichtungen umfasst. Diese Funktionsfähigkeit könne wiederum nur gegeben sein, solange das staatliche Gewaltmonopol sowie der Vorrang der Verfassung anerkannt würden und die Überzeugung bestehe, dass allein der Staat im Rahmen dieser Rechtsordnung allgemeinverbindliches Recht setzen und durchsetzen darf. Als abschreckende Beispiele nennt die Entwurfsbegründung Aufrufe der Scharia statt der staatlichen Rechtsordnung zu folgen sowie die Betätigung der selbsternannten Scharia-Polizei, wie sie 2014 in Wuppertal von sich reden machte. Schließlich werden private Familiengerichte genannt, die auf die Einhaltung von Normen drängten, die mit der Verfassung nicht zu vereinbaren seien.

Die Begründung des Gesetzes macht deutlich, dass sich Abs. 1 Nr. 1 nicht gegen demokratische Versuche wendet, die aktuelle Verfassung im Wege demokratischer Verfahren für die Zukunft zu ändern. Der dieser Regelung zu Grunde liegende rechtliche Gesichtspunkt sei das Verbot des Rechtsmissbrauchs, wie er auch in Art. 30 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in Art. 17 EMRK und Art. 54 GrCH niedergelegt sei. Auch kenne das Grundgesetz einen entsprechenden Gedanken, der in der Vorschrift über die Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG) zum Ausdruck komme. Zwar sei die Feststellung der Grundrechtsverwirkung dem BVerfG vorbehalten, allerdings trete diese Kompetenz nicht an die Stelle der im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen, sondern ergänzend neben diese. Ferner wird darauf hingewiesen, dass Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 nur die „Grundsätze“ der geltenden verfassungsmäßigen Ordnung betreffe, sodass die alternativ propagierte Rechtsordnung „fundamental und prinzipiell“ mit der geltenden Verfassungsordnung in Widerspruch steht.

Organisationsbezogene und aus bisherigen Regelungszusammenhängen weitgehend übernommene Regelungen betreffen den „Bayerischen Integrationsbeauftragten“ bzw. den „Integrationsrat“ (Art. 15). Art. 16 behandelt den ebenfalls bereits bislang rechtlich geforderten Integrationsbericht.

Die die Bereichskodifikation abschließende Regelung des Art. 17 betrifft den Ausschluss der Klagbarkeit hinsichtlich der im BayIntG geregelten Förderungen, Angebote und Begünstigungen, d.h. entsprechende subjektive Rechte werden nicht begründet. Art. 18 erfüllt die Anforderungen des grundgesetzlichen Zitiergebots und Art. 19 behandelt den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes.

2. Die Änderungen anderer Gesetze durch Art. 17a BayIntG

Die Vorschrift des Art. 17a führt durch seine 13 Absätze zur Änderung einer Vielzahl weiterer Landesgesetze und beinhaltet dadurch einen bunten Strauß unterschiedlichster Anpassungen.

Abs. 1 behandelt Änderungen im PAG, die insbesondere die Identitätsfeststellung (Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 c PAG), erkennungsdienstliche Maßnahmen (Art. 14 Abs. 1 Nr. 1a PAG) und das Betreten von Asylbewerberunterkünften (Art. 23 Abs. 3 Nr. 3 PAG) betreffen. Hintergrund dieser Regelungen und insbesondere der Erweiterung der in Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 PAG aufgezählten „gefährlichen Orte“ auf Asylbewerberunterkünfte sind vor allem zwei Gesichtspunkte: Zum einen die Tatsache, dass diese Unterkünfte in erheblichem Umfang Gegenstand polizeilicher Einsätze wurden, zum anderen die starke Zunahme der von Dritten an diesen Einrichtungen verübten Straften. Schließlich stellt die Begründung darauf ab, dass durch die genannten legislativen Anpassungen dem Umstand Rechnung getragen wird, dass aufgrund des „Massenansturms an Asylbewerbern und der dadurch bedingt zum Teil nicht lückenlos möglichen Erfassung und erkennungsdienstlichen Behandlung der Einreisenden oftmals weiterhin Unsicherheiten über deren Identität“ bestehe.

In Abs. 2 bis Abs. 4 finden sich sodann weitgehend identische Anpassungen von Gemeindeordnung (GO), Landkreisordnung (LKrO) und Bezirksordnung (BezO) im Hinblick auf die Benutzung öffentlicher Einrichtungen. Diese Modifikationen ermöglichen den Kommunen, die Zulassung von einer vorherigen Belehrung und dem ausdrücklichen Anerkenntnis der bestehenden Vorschriften abhängig zu machen. Die Vorschriften reagieren damit ausweislich der Begründung auf Vorkommnisse in Schwimmbädern, bei denen die Benutzungs- und Hausordnungen in grober Weise verletzt worden seien.

In Abs. 5 wird das BayEUG geändert. Schulpflichtige, die nach dem Asylgesetz verpflichtet sind, in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung im Sinne des § 30a AsylG zu wohnen, werden hiernach zur Erfüllung der Schulpflicht besonderen dort eingerichteten Klassen und Unterrichtsgruppen zugewiesen. Der Gesetzentwurf hatte noch – sehr umstritten – vorgesehen, dass schulpflichtig nicht ist, wer nach dem Asylgesetz verpflichtet ist, in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung im Sinne des § 30a AsylG zu wohnen. Ferner finden sich Änderungen (Abs. 6) des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes (BayKiBiG).

Abs. 7 führt zu Änderungen des Bayerischen Wohnungsbindungsgesetzes (BayWoBindG). Die Regelungen zielen darauf ab, „der Bildung von Ghettos mit sehr einseitiger Bewohnerstruktur und damit zugleich auch der Bildung von Parallelgesellschaften entgegenzuwirken“. Über den neu eingefügten Art. 5a BayWoBindG ist es nunmehr möglich, entsprechend der in Art. 5 S. 5 BayWoBindG eingefügten Strukturkomponente („Die zuständige Stelle hat zugleich dafür Sorge zu tragen, dass möglichst nur Wohnungssuchende benannt werden, deren Zuzug einseitige Bewohnerstrukturen weder schafft noch verfestigt“) überall steuernd einzugreifen wo sich einseitige Bewohnerstrukturen zu verfestigen beginnen. Die in § 17a Abs. 8 BayIntG vorgesehene Änderung des § 3 der Durchführungsverordnung Wohnungsrecht flankiert diese Gesetzesänderung auf Verordnungsebene.

Die Absätze 9-12 betreffen schließlich Integrationsfördermaßnahmen im Bayerischen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz (Abs. 9), dem Bayerischen Untersuchungshaftvollzugsgesetz (Abs. 10), dem Bayerischen Strafvollzugsgesetz (Abs. 11) sowie dem Bayerischen Maßregelvollzugsgesetz (Abs. 11). Von größter Relevanz ist dabei sicherlich die Änderung des BayStVollzG, wonach Gefangene bei entsprechenden Defiziten an Deutsch- und/oder Integrationskursen teilnehmen müssen (Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 BayStVollzG).

C. Rechtliche Beurteilung

Die weiteren Ausführungen beinhalten die Zusammenstellung der bisherigen (verfassungs-)rechtlichen Kontroversen um das BayIntG. Eine abschließende eigene Einschätzung kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Ebenso wenig soll eine politische Positionierung vorgenommen werden, d.h. der Verfasser enthält sich der Frage, ob es sich bei besagtem Gesetz – gerade wegen seiner Orientierung an der Leitkultur –  um ein „reaktionäres Mottenkistengesetz“ bzw. „Spaltungsgesetz“ handelt[8] oder ob Leitkultur im Gegenteil sogar „kultig“ ist[9].

In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist Kritik sowohl in formeller Hinsicht mit Blick auf die Gesetzgebungskompetenz als auch unter materiellem Blickwinkel laut geworden. Diesbezüglich werden Zweifel der Vereinbarkeit des Gesetzes mit den Grundrechten des Grundgesetzes bzw. derjenigen der Bayerischen Verfassung ebenso geäußert wie Vorbehalte hinsichtlich der Konformität des Gesetzes mit dem verfassungsrechtlichen, aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Bestimmtheitsgebot.

I. Gesetzgebungskompetenz

Ein Gutachten der Erlanger Wissenschaftler Petra Bendel und Andreas Funke[10] äußert Zweifel an der Kompetenzgemäßheit des BayIntG. Die Autoren informieren darüber, dass Regelungen über Einreise, Aufenthalt und Integration von Ausländern in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG fallen (Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer). Weitere Kompetenztitel, die berührt sein könnten, werden in Art. 74 Abs. 1 Nr. 2 (Strafrecht), Nr. 6 (Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen) und Nr. 7 (öffentliche Fürsorge) gesehen.

Sodann führen die Autoren Argumente dafür an, dass der Bund mit seinem Integrationsgesetz bereits abschließend von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat, was zur Unzulässigkeit abweichender oder paralleler Regelungen auf Landesebene deshalb führen würde, weil im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 72 Abs. 1 GG die Länder nur zuständig sind, soweit der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz nicht Gebrauch gemacht hat. Vor diesem Hintergrund schätzen Bendel/Funke diejenigen Regelungen als formell verfassungswidrig ein, die „eigenständige Integrationspflichten aufstellen, wie sie allgemein in Art. 1 Satz 2 angesprochen und etwa in Art. 4 Abs. 2 konkretisiert werden“. Problematisch zu beurteilen sei ferner das Integrationskonzept des BayIntG, welches im Gegensatz zum Bund streckenweise weniger auf Integration als auf Assimilation ausgerichtet sei. Hingegen werden Regelungen des Gesetzes, die Integrationsförderung durch Bildung (etwa Art. 3 bis 8; Art. 15, 16) oder Kultur (Art. 10) betreffen, ebenso wie Verfahrensregelungen (Art. 12) als zulässig erachtet.

Konträr zu der von Bendel/Funke eingenommenen Position vertritt der Münchener Öffentlichrechtler Martin Burgi, dass das, was der Bund in seinem Integrationsgesetz (als bloßem Artikelgesetz) aufzählt, nicht etwa ein Gesamtkonzept darstellt, das konzeptionelle Ansätze auf Landesebene ausschließe. Vielmehr sei Integration anders als die vorgelagerte Aufgabe der Migrationssteuerung im föderalen Bundestaat eine Materie, die nur im Zusammenspiel von Bund, Ländern und Kommunen gedacht und geregelt werden könne.[11]

II. Verfassungsgerichtliche Einschätzungen zur Leitkultur – Grundrechte und Rechtsstaatsprinzip

In materieller Hinsicht steht der Begriff der Leitkultur im Mittelpunkt der bisher geäußerten Kritik. So sei besagter Begriff in rechtlicher Hinsicht „viel zu unbestimmt“.[12] Wolle man die deutsche Leitkultur im Sinne der „Werteordnung“ des Grundgesetzes verstehen, bestehe wiederum folgender Vorbehalt: Das Grundgesetz als Ausdruck einer normativen Werteordnung gewährleiste gerade auch „die religiöse und kulturelle Vielfalt, also nicht Homogenität, sondern Heterogenität und Pluralität, selbstverständlich in den Grenzen der für alle geltenden Gesetze.“ Die Bürger seien nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung[13] „grundsätzlich auch frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen oder die Änderung tragender Prinzipien zu fordern“.

Insoweit argumentiert Burgi,[14] dass eine Pflicht, die Leitkultur zu übernehmen oder an ihr teilnehmen zu müssen, dem BayIntG nicht zu entnehmen sei. Auch der Gedanke von Ulrich Becker und Jens Kersten[15], wonach Integration nicht zwangsweise durchgesetzt werden könne, beträfe das BayIntG somit nicht. Dieses unternehme vielmehr, „Leitkultur“ als eine Art Orientierungsrahmen für Respekt und Akzeptanz gegenüber Zuwanderern und Aufnahmegesellschaft zu umschreiben. Der bisherige Mittelweg der verfassungsrechtlichen Praxis, der den Staat zur grundsätzlichen Förderung der gesellschaftlichen Integration ebenso verpflichtet wie zur Beachtung der Grundrechte, werde dadurch zwar verbreitert, aber nicht verlassen. Burgi weist in diesem Zusammenhang weiterführend darauf hin, dass die verfassungsrechtliche Betrachtung nicht selten vorschnell auf die Grundrechte verengt werde, die in ihrer klassischen Funktion als Abwehrrechte vor „aufgedrängten Identitätszumutungen“ nach Art einer Leitkultur schützen würden. Der nähere Blick in das verfassungsrechtliche Schrifttum erweise hingegen eine durchaus beachtliche Übereinstimmung zwischen sehr unterschiedlichen Autoren in der Annahme, dass die staatliche Integrationspolitik nach Art eines Staatsziels im Grundgesetz verankert und demzufolge alle staatliche Gewalt und nicht zuletzt der Gesetzgeber zur Wahrnehmung von Integrationsaufgaben sogar verpflichtet ist. In diesem Zusammenhang auftretende Grundrechtseingriffe könnten durch besagtes Staatsziel erleichterte Rechtfertigung erfahren.[16]

D. Ausblick

In den kommenden Monaten wird interessant zu beobachten sein, welche Auswirkungen das BayIntG zeitigen wird. Ferner gilt es, die rechtliche Debatte weiter zu verfolgen, die durch erwartbare Publikationen in den einschlägigen Fachzeitschriften schon bald weiter Fahrt aufnehmen und letztlich womöglich von Verfassungsgerichten entschieden werden könnte. Zumindest haben Teile der Landtagsopposition bereits im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens die Einlegung verfassungsprozessualer Rechtsbehelfe gegen das Gesetz in Aussicht gestellt.

Net-Dokument: BayRVR2017012401 (über die ohne Leerzeichen einzugebende Net-Dokumenten-Nummer ist der Beitrag über die BayRVR-interne Suche und i.d.R. auch über Google jederzeit eindeutig identifizierbar und direkt aufrufbar) 

Titelfoto/-abbildung: (c) himself100 – Fotolia.com

Anmerkung der Redaktion

Daniel Wolff ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter (Akademischer Rat a.Z.) am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Umwelt- und Sozialrecht von Prof. Dr. Martin Burgi, LMU München.


[1] Der Gesetzesentwurf v. 10.05.2016 firmiert als Drucksache 17/11362.

[2] GVBl. 2016, S. 335. Zum Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens insgesamt sowie zu amtlichen bzw. kommunalen Stellungnahmen vgl. BayRVR: https://bayrvr.de/tag/1711362/ (zuletzt aufgerufen: 20.01.2017).

[3] Siehe dazu Eichenhofer, Integrationsgesetzgebung, ZAR 2016, S. 251 (253 ff.) sowie die jüngst veröffentlichten „Rechtlichen[n] Vorüberlegungen zu einem Integrationsgesetz für das Land Brandenburg“, abrufbar unter: https://www.landtag.brandenburg.de/media_fast/5701/30-12-2016_rechtl_Vorueberlegungen_zu_Integrationsgesetz_6-26.pdf (zuletzt aufgerufen: 20.01.2017).

[4] Artikel des BayIntG werden nachfolgend ohne Gesetzesangabe zitiert.

[5] Anlässlich der Zweiten Lesung zum Gesetzentwurf der Staatsregierung für ein Bayerisches Integrationsgesetz am 08.12.2016 im Bayerischen Landtag.

[6] Diese Einschätzung wird nach einer von der CSU bei „policy matters“ in Auftrag gegebenen Umfrage von der Mehrheit der Bevölkerung in Bayern geteilt. Danach sind 87% der Befragten dafür, dass „bei der Integration unsere Leitkultur zum Maßstab gemacht werden“ soll. Eine PowerPoint Präsentation mit den Ergebnissen der Umfrage kann unter folgendem Link eingesehen werden: https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:y37qE58vwL0J:https://www.csu-landtag.de/download/%3Ffile%3D2016_09_20_praesentation_hilmer.pdf+&cd=17&hl=de&ct=clnk&gl=de&client=firefox-b-ab (zuletzt aufgerufen: 20.01.2017).

[7] So der Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag Markus Rindersbacher in der ersten Lesung zum Entwurf des BayIntG am 01.06.2016.

[8] So die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag Margarete Bause in der ersten Lesung am 01.06.2016.

[9] Entsprechend drückte es der Abgeordnete Josef Zellmeier (CSU) in der gleichen Lesung aus.

[10] Bendel/Funke, Gutachten zum Entwurf für ein Bayerisches Integrationsgesetz v. 17.05.2016, S. 2 ff., abrufbar unter: https://bayernspd-landtag.de/workspace/media/static/gutachten-bayerisches-integrat-574d5a667440e.pdf (zuletzt aufgerufen: 20.01.2017).

[11] Burgi, Das werdende Integrationsverwaltungsrecht und die Rolle der Kommunen, DVBl. 2016, S. 1015 (1018).

[12] Dazu und zum Folgenden Hans-Jürgen Papier in einem in der NJW 2016, S. 2391 (2395) veröffentlichten Vortrag zum Thema „Asyl und Migration als Herausforderungen für Staat und EU“; ähnlich auch das bereits erwähnte Gutachten von Bendel/Funke, S. 6, die feststellen, dass „für die Adressaten des Gesetzes unklar[sei], an welchen Normen sie sich orientieren sollen“.

[13] BVerfG, Beschl. der 1. Kammer des Ersten Senats v. 05.09.2003 – 1 BvQ 32/03 = NVwZ 2004, 90 (91).

[14] Burgi, Das werdende Integrationsverwaltungsrecht und die Rolle der Kommunen, DVBl. 2016, S. 1015 (1021).

[15] Becker/Kersten, Demokratie als optimistische Staatsform – Zehn Fragen zur Flüchtlingskrise, NVwZ 2016, S. 580 (583).

[16] Burgi, Das werdende Integrationsverwaltungsrecht und die Rolle der Kommunen, DVBl. 2016, S. 1015 (1019 f.).