Gesetzgebung

Der Gesetzentwurf zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen – Gelungen mit Einschränkungen

von Stefan Brodmerkel, Universität Bayreuth

Angesichts neuer Bedrohungslagen durch den internationalen Terrorismus, die sich in Deutschland zuletzt in dem Anschlag am Breitscheidtplatz in Berlin im Dezember 2016 in tragischer Weise konkretisierten, erscheint es notwendig, dass auch der Landespolizei Möglichkeiten an die Hand gegeben werden, mit deren Hilfe sie einerseits Personen, die als besonders gefährlich eingestuft werden, effektiv überwachen kann und andererseits bereits im Vorfeld einer konkreten Gefahr sich potentiell zur Gefahr auswachsende Kausalverläufe unterbinden kann. Die bayerische Staatsregierung hat hierzu in einem Gesetzentwurf einige Vorschläge gemacht, die im Wesentlichen in das PAG aufgenommen werden sollen. In diesem Beitrag werden die wesentlichen Änderungen des PAG, wie sie momentan geplant sind, in der gebotenen Kürze erörtert und, soweit es angezeigt ist, kurz einer kritischen Würdigung unterzogen. Er versteht sich damit als Diskussionsbeitrag aus Sicht der Wissenschaft zum aktuellen Gesetzgebungsverfahren. Dieses befindet sich momentan in der Verbandsanhörung, es kann also noch zu Änderungen bis zum endgültigen Gesetzentwurf kommen, wie er dann in den Landtag eingebracht wird.

1. Die neue Generalklausel des Art. 11 Abs. 3 PAG-E

Die erste umfassende Änderung betrifft Art. 11 PAG. Dort soll ein neuer Abs. 3 eingefügt werden, der in Form einer Generalklausel der Polizei die Befugnis verleiht, bereits im Gefahrenvorfeld tätig zu werden. Dabei wird der Begriff der „drohenden Gefahr“ als konkrete Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auf Grund des individuellen Verhaltens einer Person bzw. als seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen als Schlussfolgerung aus bestimmten Vorbereitungshandlungen definiert. Der Tatbestand knüpft also in seiner Nr. 1 an das Verhalten einer Person an, das noch keine konkrete Gefahr darstellt, und in seiner Nr. 2 an ein Geschehen, aus dem noch keine konkrete Gefahr erwachsen ist, sondern das in deren Vorfeld liegt. Jeweils muss die Folge das mögliche Entstehen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sein. Damit braucht, im Unterschied zur konkreten Gefahr, nicht mehr die Verletzung eines polizeilichen Schutzgutes im Raum zu stehen, sondern nur noch die Wahrscheinlichkeit einer Schutzgutverletzung. Dies führt zu einer Verdoppelung der Wahrscheinlichkeitsanforderungen (die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gefahr entsteht, sowie die Wahrscheinlichkeit, dass daraus auch eine Verletzung eines Schutzgutes resultieren kann) und einer Reduzierung der Anforderungen an einen möglichen Kausalverlauf.

Insgesamt werden so die Befugnisse der Polizei unter Umständen sehr weit in das Vorfeld einer Gefahr verlagert. Legt man den Begriff der „drohenden Gefahr“ daher besonders extensiv aus, so lässt sich eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass ein Schutzgut verletzt werden kann, beinahe aus jedem individuellen Verhalten einer Person herauslesen. Etwas restriktiver ist hier Art. 11 Abs. 3 Nr. 2 PAG-E, der Vorbereitungshandlungen verlangt, wobei nach dem Gesetzeswortlaut unklar bleibt, zu welchem Zweck diese vorbereitenden Handlungen geschehen sollen. Zumindest wird so aber sichergestellt, dass nicht bereits bloße Vermutungen genügen, um Maßnahmen zu ergreifen.[1] Die große Bedeutung der Definition zur „drohenden Gefahr“ speist sich aus den Verweisen auf sie in weiteren neuen Standardbefugnissen. Als Rechtsfolge werden Maßnahmen zur Gefahrenabwehr für zulässig erklärt.

Bereits im Gefahrenvorfeld könnten also gefahrenabwehrende Maßnahmen ergriffen werden, obschon noch gar keine Gefahr entstanden ist. Die Gesetzesbegründung stützt dies auf das sog. „BKAG-Urteil“ des BVerfG[2], das ausdrücklich feststellt, dass „der Gesetzgeber […] von Verfassung wegen […] nicht von vornherein […] auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt [ist], die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen.“[3] In bestimmten Bereichen kann der Gesetzgeber demnach die Grenzen zulässigen polizeilichen Handelns weiterziehen, indem die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs reduziert werden.

Besonders zu beachten sind in diesem Zusammenhang allerdings zwei Gesichtspunkte: Erstens hatte das BVerfG in seinem Urteil Normen des BKAG zu prüfen, die der Terrorabwehr dienen und damit dem Schutz höchster Rechtsgüter, wozu Leib, Leben und Freiheit der Person sowie der Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes zählen.[4] Der bayerische Gesetzgeber verfolgt allerdings mit seiner Regelung das Ziel, sämtliche polizeiliche Schutzgüter im Vorfeld zu schützen. Eine Begrenzung auf jene besonders hochwertigen Schutzgüter, zu denen sich das BVerfG ausdrücklich äußert, findet nicht statt. Es bleibt die Frage, ob das BVerfG wirklich eine allgemeingültige Aussage zur Abwehr drohender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit polizeilichen Mitteln treffen wollte, oder ob es sich nur zu Befugnissen im Gefahrenvorfeld zum Schutz der genannten Rechtsgüter geäußert hat. Für die letzte Ansicht spricht zumindest der Wortlaut des Urteils, das ausdrücklich von „bestimmten Bereichen“ spricht, in denen Befugnisse im Gefahrenvorfeld möglich sind. Der Schluss aus der begrenzten Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Terrorabwehr und der damit verbundenen begrenzten Aussagekraft Urteils des BVerfG zu allen übrigen polizeilichen Rechtsgütern hin zu Befugnissen der Polizei zum Schutz aller Rechtsgüter qua Landeskompetenz, wie er in der Gesetzesbegründung nahegelegt wird, vermag daher nicht völlig zu überzeugen.

Zweitens überprüfte das BVerfG nur Maßnahmen der Informationsgewinnung, also Maßnahmen zur Gefahrerforschung im Gefahrenvorfeld. Gefahren abwehrende Maßnahmen waren gerade nicht Gegenstand der Prüfung; auf diese bezieht sich allerdings der bayerische Gesetzentwurf. Der Gesetzentwurf geht also sowohl im Schutzgegenstand als auch bei den Befugnissen über die Judikatur des BVerfG hinaus und begibt sich damit auf unsicheres Terrain aus Sicht der Verfassungsjudikatur.

Über eine „eng begrenzte Arrondierung des polizeilichen Gefahrbegriffs“[5] wird faktisch eine erhebliche Ausweitung polizeilicher Handlungsmöglichkeiten im Gefahrenvorfeld, zum Schutz jeglicher polizeilicher Rechtsgüter. Auch die Begründung des Gesetzentwurfs sieht diese Problematik und rekurriert auf Standardbefugnisse, die bereits jetzt schon Maßnahmen im Gefahrenvorfeld zulassen (Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 bis 5, Art. 32 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 PAG), allerdings handelt es sich hier auch wieder nur um Maßnahmen der Gefahrerforschung. Eine Ausweitung polizeilicher Befugnisse zur Gefahrenabwehr im Wege der Generalklausel im Gefahrenvorfeld vermag daher auch dieser Verweis nicht zu stützen.

Es erscheint daher kritisch, dass der Gesetzentwurf nicht zwischen Maßnahmen, die bei tatsächlichem Vorliegen einer Gefahr und Maßnahmen, die im Gefahrenvorfeld ergriffen werden können, differenziert, sondern immer Gefahrenabwehrmaßnahmen als Rechtsfolge anordnet. Allerdings ist anzuerkennen, dass in schwierigen Bedrohungslagen auch ausnahmsweise bereits Gefahren abwehrende Befugnisse der Polizei notwendig sind, obgleich noch keine konkrete Gefahr vorliegt. Diese sollten allerdings nur zum Schutz vor Gefahren für höchste Rechtsgüter, nämlich Leib, Leben und Freiheit einer Person sowie den Bestand des Bundes oder eines Landes begrenzt werden und nicht zum Schutz vor Gefahren für die gesamte öffentliche Sicherheit und Ordnung zulässig sein. Damit würde eine Annäherung an die aktuelle Rechtsprechung des BVerfG erreicht und der Gesetzgeber würde auf einigermaßen rechtssicherem Boden stehen.

2. Identitätsfeststellung und Erkennungsdienstliche Maßnahmen

Die nächste Neuerung stellt Art. 13 Abs. 1 Nr. 1a PAG-E dar, der die Identitätsfeststellung bei einer drohenden Gefahr der Begehung von Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder Straftaten erlaubt. In die gleiche Richtung zielt Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG-E, der bei einer drohenden Gefahr für bestimmte Rechtsgüter erkennungsdienstliche Maßnahmen erlaubt. Grundsätzlich sind diese Regelungen zu begrüßen, eine erhöhte Gefahr des Erkannt-Werdens hält Personen nachweislich davon ab, Straftaten zu begehen. Allerdings ist kritisch, dass in Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 lit. c) insgesamt auf das Eigentum als zu schützendes Rechtsgut abgestellt wird. Damit würde jegliche Eigentumsposition erfasst. Im Hinblick auf den Gesetzeszweck, wie er in der Begründung zum Ausdruck kommt, nämlich der Bekämpfung terroristischer oder extremistischer Taten, erscheint es als hinreichend, lediglich bedeutende Eigentumspositionen zu schützen. Andernfalls könnte eine extensive Auslegung dazu führen, dass bei jeder drohenden Gefahr für irgendwelche Eigentumspositionen, die fast immer vorhanden sind, erkennungsdienstliche Maßnahmen prinzipiell zulässig wären.

3. Kontaktverbote, Aufenthaltsge- und -verbote

Umfassende neue Befugnisse werden in Art. 16 PAG geregelt. Neben der bereits bestehenden Möglichkeit eines Platzverweises kann nach Art. 16 Abs. 2 PAG-E künftig unter der Voraussetzung einer drohenden Gefahr bzw. Gefahr für die in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PAG-E genannten Rechtsgüter ein Kontaktverbot erteilt werden oder ein Aufenthaltsge- oder -verbot angeordnet werden. Auch diese Regelung erscheint im Hinblick auf der Sache nach deckungsgleiche Regelungen in anderen Bundesländern[6] unproblematisch. Dort gehen die Regelungen teils sogar noch weiter, weil keine Beschränkung auf bestimmte Rechtsgüter stattfindet. Allerdings geht der bayerische Entwurf insofern weiter, als auch bereits im Gefahrenvorfeld Maßnahmen nach Art. 16 Abs. 2 PAG-E möglich sind. Wegen des weiteren Anwendungsbereichs im Gefahrenvorfeld erscheint es daher auch nötig, um den Einklang mit dem GG und der Bayerischen Verfassung zu gewährleisten, die in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PAG-E genannten Rechtsgüter als Voraussetzung für eine Maßnahme zu normieren. Denn bei Kontaktverboten, Aufenthaltsge- und -verboten handelt es sich nicht nur um Eingriffe der Informationsgewinnung und Gefahrerforschung, sondern bereits um solche der Steuerung eines Kausalverlaufs im Gefahrenvorfeld, für die nach hier vertretener Ansicht erhöhte Anforderungen an das polizeiliche Schutzgut zu stellen sind.

Der Gesetzentwurf begegnet mit diesen neuen Befugnissen zum einen der Bedrohung aus terroristischen oder extremistischen Quellen und schafft gleichzeitig auch eine Standardbefugnis für sog. Platzverweise im sozialen Umfeld[7], bei denen bisher umstritten ist, inwiefern sie auf den bisherigen Art.16 PAG gestützt werden können. Flankiert wird der neue Abs. 2 durch Art. 17 Abs. 1 Nr. 4 PAG-E, der eine Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung einer Anordnung nach Art. 16 PAG zulässt, und Art. 32a Abs. 1 Satz 2 PAG-E, der zukünftig eine elektronische Aufenthaltsüberwachung erlaubt, insbesondere um Maßnahmen nach Art. 16 Abs. 2 PAG-E durchzusetzen.

4. Gewahrsam

In Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 5 PAG-E werden künftig Ingewahrsamnahmen auf Grund einer drohenden Gefahr für Rechtsgüter aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. a, b, c und e PAG-E bzw. wegen des Verstoßes gegen eine Anordnung nach Art. 32a Abs. 1 Satz 1 PAG ermöglicht. Interessant ist bei der künftigen Nr. 3, dass der Gesetzentwurf das Eigentum als möglicherweise gefährdetes Rechtsgut gerade ausnimmt. Offenbar erkennt der Gesetzentwurf an diese Stelle selbst, dass ein umfänglicher Schutz dieses Rechtsguts im Gefahrenvorfeld problematisch ist. Mit der Anordnung in Nr. 5 ergibt sich ein in der Regel abgestuftes System der Durchsetzung bestimmter Aufenthalsver- und -gebote. Beachtenswert im Regelungskontext des präventiven Gewahrsams ist allerdings der Wegfall der Höchstfrist von zwei Wochen, die bisher in Art. 20 Satz 1 Nr. 3 a.E. PAG geregelt ist. Im Zusammenhang mit der Möglichkeit, diese auch bei drohenden Gefahren einzusetzen, ein durchaus scharfes Schwert. Es bedarf keiner besonderen hellseherischen Fähigkeiten, um zu erkennen, dass hierin politischer Zündstoff liegt, der zu einer kontroversen Debatte führen wird.[8]

Aus einem Umkehrschluss zu Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG bzw. Art. 102 Abs. 2 Satz 1 BV ergibt sich zwar die Zulässigkeit eines unbefristeten Gewahrsams auf Grund richterlicher Anordnung, was durch den BayVerfGH auch im Hinblick auf die Abgrenzung zu bundesrechtlichen Kompetenzen bestätigt wurde.[9] Gegen diese Frist wurden in der Literatur bereits Stimmen erhoben, die nach einer Verletzung eventueller Schutzpflichten fragten, sollte weiterhin eine Gefahr von der Person nach Ablauf der Frist ausgehen.[10] Aus dieser Perspektive erscheint es geboten, dass das Ende der Präventivhaft nur an den Wegfall des Anordnungszwecks bzw. an eine richterliche Entscheidung gebunden wird, zumal § 425 Abs. 1 FamFG über Art. 18 Abs. 3 PAG Anwendung findet, der eine Höchstfrist von einem Jahr für eine präventive Freiheitsentziehung normiert. Allerdings ist dieses Instrument präventiver Gefahrenabwehr streng am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu prüfen, bedeutet die Anordnung eines Gewahrsams doch den denkbar schwerwiegendsten Eingriff in die persönliche Freiheit eines Menschen. Sie muss ultima ratio bleiben, insbesondere im Hinblick auf drohende Gefahren, also Situationen, in denen nur Anhaltspunkte eines sich abzeichnenden Kausalverlaufs vorhanden sind. Hier müssen zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit gleichzeitig Gefahrerforschungsmaßnahmen ergriffen werden, um laufend zu überprüfen, inwieweit der Zweck, der dem Gewahrsams zu Grunde liegt, wirklich weiter besteht. Es ist daher zu überlegen, solche Anforderungen als flankierendes Verfahrensrecht zu normieren.

Rechtspolitisch wird gegen den Wegfall dieser Frist sicher eingewendet werden, dass kaum eine Gefahr denkbar sei, die durch längeren Gewahrsam als zwei Woche nicht abgewendet werden könnte.[11] Unter den Bedingungen drohender Gefahren aus extremistischem oder terroristischem Umfeld, erscheint dieses Argument aber wenig überzeugend. Eine Person kann sehr wohl länger als nur 14 Tage für eine drohende Gefahr für die in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. a, b, c und e PAG-E genannten Rechtsgüter verantwortlich sein.

Eine gewisse Inkonsistenz ergibt sich im Vergleich zu Art. 16 Abs. 2 Satz 2 und Art. 32a Abs. 3 Satz 3 PAG-E, die Maßnahmen nur für einen Zeitraum von maximal sechs Monaten zulassen. Die für die Grundrechte des Betroffenen schonenderen Maßnahmen werden also zeitlich begrenzt, während die wesentlich einschneidendere Maßnahme im Ergebnis für ein Jahr angeordnet werden kann. Folgt man der Schutzpflichtenargumentation i.R.d. Art. 20 PAG, so wäre es nur konsequent, auch in Art. 16 Abs. 2 bzw. Art. 32a Abs. 3 Satz 3 PAG-E keine Frist vorzusehen, sondern als Ende der dortigen Maßnahmen ebenso nur den Fortfall des Zwecks zu normieren, der polizeilich oder richterlich festgestellt werden müsste.

5. Elektronische Aufenthaltsüberwachung als Kernstück der neuen Befugnisse

Umfangreiche Neuregelungen enthält der Gesetzentwurf zur Datenerhebung und -verarbeitung. Zunächst sieht Art. 32a PAG-E die Möglichkeit zur Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung vor. Explizit diese Regelung war auch Gegenstand politischer Ankündigungen der Staatsregierung[12] und kann als Kernstück der neuen Befugnisse, die der Abwehr terroristischer und extremistischer Gefahren dienen, bezeichnet werden.

Mittels der elektronischen Aufenthaltsüberwachung (EAÜ), umgangssprachlich auch als „elektronische Fußfessel“ bezeichnet, kann die Polizei mittels technischer Mittel den Aufenthaltsort einer verantwortlichen Person zu jeder Zeit offen feststellen. Für die überwachte Person hat eine solche Anordnung den Vorteil, sich weiter frei bewegen zu können, ohne dass Dritte zwingend von der Überwachung Kenntnis erhalten. Die Maßnahme ist also weniger grundrechtsintensiv als die Anordnung eines Gewahrsams. Die Polizei kann mit der EAÜ eine sehr personalintensive klassische Dauerobservation substituieren. Der Bundesgesetzgeber hat die EAÜ bereits als Maßnahme der Führungsaufsicht in §§ 68b StGB, 463a StPO normiert. Allerdings ist sie auch als Mittel der präventiven Gefahrenabwehr denkbar, weshalb der Landesgesetzgeber hier nach wie vor seine Regelungskompetenz ausüben kann.

Dogmatisch liegt die EAÜ auf der Schnittstelle von Maßnahmen zur bloßen Datenerhebung und Maßnahmen zur Verhaltenssteuerung. Während eine Anordnung nach Art. 32a Abs. 1 Satz 1 PAG-E nur darauf abzielt, Daten über den Aufenthaltsort zu erheben, zielt eine Anordnung nach Art. 32a Abs. 1 Satz 2 PAG-E auf die Durchsetzung von Maßnahmen nach Art. 16 PAG ab. Es soll also die Einhaltung eines bestimmten, gebotenen oder verbotenen Verhaltens sichergestellt werden. Allerdings liegt auch im zweiten Fall der Schwerpunkt der Maßnahme auf der Datenerhebung. Erst durch die Überwachungsmöglichkeit der Polizei auf Grund der aufgezeichneten Daten ist eine Durchsetzung der Maßnahmen nach Art. 16 möglich. Die Datenerhebung stellt sich also als unabdingbarer Zwischenschritt dar, weshalb die systematische Stellung der Norm im Abschnitt „Datenerhebung und -verarbeitung im PAG auch überzeugen kann.

Damit ist eine EAÜ auch im Gefahrenvorfeld unproblematisch möglich. Sie greift gerade nicht in Kausalverläufe ein, sondern dient der Datenerhebung und damit der Gefahrerforschung.

In Abs. 2 der Norm wird die Grundlage zur Datenerhebung und -speicherung geschaffen. Insbesondere durch die Möglichkeit, komplette Bewegungsbilder zu erstellen, erhofft sich der Gesetzentwurf ein hohes Potential zur Erforschung extremistischer oder terroristischer Strukturen.[13] Ob dies im Einzelfall gelingt, bleibt abzuwarten. Zu bedenken ist, dass die Überwachung offen erfolgt und Personen, die in einschlägigen Personenkreisen verkehren, unter Umständen den Kontakt zu diesen nach Beginn einer Überwachungsmaßnahme meiden. Im Satz 2 des Art. 32a Abs. 2 PAG-E findet der absolute Kernbereichsschutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts seinen Ausdruck. In welchen Raum sich eine Person innerhalb ihrer Wohnung befindet, darf nicht überwacht werden. Sollten solche Daten erhoben werden, sind diese zu löschen, Art. 32a Abs. 6 Satz 3 PAG-E, freilich ohne Kenntnisnahme.

Abs. 4 regelt eine besondere Kennzeichnungs-, Sicherungs- und Protokollierungspflicht der aus einer EAÜ gewonnenen Daten. In Abs. 5 wird, unter Beachtung der aktuellen Rechtsprechung zum Grundsatz der hypothetischen Neuerhebung von Daten[14], die mögliche weitere Verwendung der Daten, insbesondere ihre Weitergabe geregelt.

Im Abs. 3 der Norm wird ein Richtervorbehalt mit Eilfallkompetenz zur Anordnung der Maßnahme sowie das Verfahren zum Erlass der Anordnung geregelt.

6. Quellen-TKÜ

Weiter regelt Art. 34a Abs. 1a PAG-E, flankiert durch neue Regelungen in Art. 34b und 34c PAG, Maßnahmen zum heimlichen technischen Zugriff auf informationstechnische Systeme zum Zweck der Telekommunikationsüberwachung (sog. Quellen-TKÜ), die im BKAG-Urteil des BVerfG prinzipiell als verfassungskonform erachtet wurden[15]. Im Gegensatz zur klassischen Telekommunikationsüberwachung nach Abs. 1 kann mit einer Maßnahme nach Abs. 1a ein Informationssystem infiltriert werden und technisch so verändert werden, dass Kommunikationsinhalte ausgeleitet werden können. Art. 34a Abs. 1a Satz 1 nennt zwei weitere Voraussetzungen, die neben den Tatbestandsmerkmalen des bisherigen Abs. 1 der Norm zusätzlich erfüllt sein müssen. Erstens darf nur auf laufende Telekommunikation zugegriffen werden und zweitens muss der Zugriff auf ein informationstechnisches System auch notwendig sein, um die Überwachung zu ermöglichen – letztlich handelt es sich dabei um eine besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes[16]. In Satz 3 der Vorschrift werden dann weiter zu treffende Vorkehrungen normiert, die die Veränderung des Informationssystems auf das absolut notwendige Maß beschränken und die nötige Datensicherheit gewährleisten sollen. Insbesondere über den unbestimmten Rechtsbegriff des „Stands der Technik“ verlangt der Gesetzentwurf, dass sich die Polizei den jeweils fortschrittlichsten Verfahren der Datenerhebung und -speicherung im Zusammenhang mit einer Maßnahme nach Art. 34a Abs. 1a PAG-E bedienen muss.

Im Ergebnis soll mit dieser Befugnis auf die technische Entwicklung der Informationssysteme reagiert werden, um insbesondere auf die Kommunikation über internetbasierte Messaging-Dienste zugreifen zu können. Das BVerfG sieht als rechtlichen Prüfungsmaßstab daher nur Art. 10 GG als einschlägig an und nicht auch das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme, da es gerade nicht zu einem Zugriff auf weitere Inhalte des Systems kommt.[17] Soweit ersichtlich sind die Anforderungen, die das BVerfG an solche Maßnahmen stellt, auch erfüllt, insbesondere wird über Art. 34a Abs. 1 Satz 4 PAG der Kernbereichsschutz des Persönlichkeitsrechts gewahrt, der in Art. 34c Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 lit. c und Abs. 6 PAG verfahrensmäßig ausgestaltet wird.

7. Gesamtwürdigung

Insgesamt liegt damit ein gelungener Gesetzentwurf vor, der der Landespolizei dringend notwendige Befugnisse im Gefahrenvorfeld und zur Informationsgewinnung verleiht. Es steht außer Frage, dass die Landespolizei in die Lage versetzt werden muss, auf latente Bedrohungen aus dem terroristischen und extremistischen Bereich reagieren zu können. Diese unterscheiden sich strukturell von den bisherigen Gefährdungssituationen in der Art, dass sich eine latente Bedrohung meist plötzlich zur Gefahr für besonders wichtige Rechtsgüter einer Vielzahl von Rechtsgutinhabern konkretisiert. Es ist daher nötig, dass Aufklärungsmaßnahmen auch außerhalb der Standardbefugnisse bereits im Gefahrenvorfeld möglich sind, und dass die Polizei eng begrenzt zum Schutz besonders wichtiger Rechtsgüter wie Leib, Leben und Freiheit einer Person auch im Vorfeld einer Gefahr bereits in den Kausalverlauf eingreifen kann und nicht auf bloßes Beobachten und Zuwarten beschränkt ist bis tatsächlich eine Gefahr vorliegt. Gerade im terroristischen Bereich kann eine plötzlich eintretende Gefahr sehr schnell in einen Schaden umschlagen. Überlegenswert erscheinen allerdings Einschränkungen der sehr weiten neuen Generalklausel in Art. 11 Abs. 3 PAG-E, die nach derzeitiger Fassung sämtliche Maßnahmen der Gefahrenabwehr im Gefahrvorfeld zulässt. Im Übrigen ist der Entwurf nach hier vertretener Auffassung, gemessen am Maßstab des GG und der Bayerischen Verfassung, im Wesentlichen als unproblematisch zu beurteilen.

Net-Dokument: BayRVR2017030901 (über die ohne Leerzeichen einzugebende Net-Dokumenten-Nummer ist der Beitrag über die BayRVR-interne Suche und – nach Indexierung – i.d.R. auch über Google jederzeit eindeutig identifizierbar und direkt aufrufbar)

Titelfoto/-abbildung: (c) Niko Endres – Fotolia.com

Anmerkung der Redaktion

Dipl.-Jur. Stefan Brodmerkel ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht II von Prof. Dr. Markus Möstl, Universität Bayreuth. Der Lehrstuhl ist grundsätzlich in der gesamten Breite des Öffentlichen Rechts tätig. Besondere Forschungsschwerpunkte sind u.a. das Polizei- und Sicherheitsrecht, Fragen des Föderalismus und des bayerischen Landesrechts sowie des öffentlichen Wirtschafts-, insbesondere des Lebensmittelrechts.

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  • Aktueller Stand und Verlauf des vorliegenden Gesetzgebungsverfahrens, ggfls. weitere Beiträge und amtliche bzw. kommunale Stellungnahmen: hier.
  • Zur Gesetzgebungsübersicht (alle laufenden Verfahren) für den Freistaat Bayern: hier.

[1] Vgl. den Gesetzentwurf, S. 14.

[2] BVerfG v. 20.04.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, BVerfGE 141, 220 ff.

[3] BVerfG v. 20.04.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 112, 164.

[4] BVerfG v. 20.04.2016 – 1BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 108.

[5] So der Gesetzentwurf, S. 13.

[6] Vgl. etwa § 27a BWPolG; § 31 HSOG, § 17 Abs. 2 Nds. SOG.

[7] Vgl. Grünewald, BeckOK PolR Bayern, PAG, Art. 16 Rn. 39.

[8] Vgl. hierzu bereits SZ vom 01.03.2017, S. 5: „Zweifel-Haft“.

[9] BayVerfGH v. 02.08.1990 – Vf. 3-VII-89, 4-VII-89, 5-VII-89, BayVBl. 1990, 654 ff.

[10] Schmitt Gläser, BayVBl 1989, 129, 135; Schmidtbauer, in: Schmidtbauer/Steiner, PAG, Art. 20 Rn. 19.

[11] Vgl. Grünewald, BeckOK PolR Bayern, PAG, Art. 20 Rn. 17.

[12] Staatskanzlei, Bericht aus der Kabinettssitzung, Pressemitteilung v. 24.01.2017.

[13] Vgl. S. 16 des Gesetzentwurfs.

[14] Vgl. BVerfG v. 20.04.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 276 ff.

[15] BVerfG v. 20.04.2016 – 1BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 228 f.

[16] Vgl. S. 23 des Gesetzentwurfs.

[17] BVerfG v. 20.04.2016 – 1BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 228.