Gesetzgebung

Bayerischer Richterverein: Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen

Extremistische Gewalttaten und Terrorbedrohung haben im Laufe des vergangenen Jahres die Bundesrepublik Deutschland erschüttert. Die Erkenntnisse der Polizeibehörden und die Strafverfolgungsstatistiken zeigen, dass der innere Friede und die innere Sicherheit nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung, sondern auch real heute mehr denn je gefährdet sind. Vor diesem Hintergrund ist es richtig und wichtig, seitens des Gesetzgebers nach Mitteln und Wegen zu suchen, wie diese Bedrohungen für den Staat und seine Bürger möglichst effektiv auch durch Gesetzesänderungen sowohl im Bereich der Prävention als auch der Repression bekämpft werden können. Es liegt nahe, dass hierbei insbesondere geprüft werden muss, in welcher Weise das bestehende Instrumentarium polizeilicher Präventivmaßnahmen ausgeweitet werden kann, um terroristischen und extremistischen Gefahren frühzeitig zu begegnen und die Begehung von Straftaten soweit möglich zu unterbinden.

Gleichwohl dürfen in dem Bemühen, Sicherheit und Ordnung im Staat zu wahren und zu schützen grundlegende Verfassungsprinzipien, namentlich die unveräußerlichen Freiheitsrechte des Einzelnen, nicht uneingeschränkt zur Disposition gestellt werden. Die nach dem Gesetzentwurf geplanten Änderungen des PAG bergen aus hiesiger Sicht diese Gefahr jedoch jedenfalls in zwei Aspekten; die vorliegende Stellungnahme beschränkt sich daher auf diese beiden Kernpunkte.

1. Zeitlich unbefristeter Gewahrsam bei Gefahr oder drohender Gefahr für bedeutende Rechtsgüter

Im Bereich des Gewahrsams gem. Art. 17 PAG ergeben sich durch die geplanten Änderungen massive Verschärfungen aus dem Zusammenspiel mehrerer vorgesehener Verschärfungen:

Während bislang die Befugnisse der Polizei gem. Art. 11 PAG voraussetzen, dass im Einzelfall eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung besteht, sieht der Gesetzentwurf in Art. 11 Abs. 3 (neu) vor, dass künftig auch Gefahrenabwehrmaßnahmen ergriffen werden können, wenn im Einzelfall auf Grund des Verhaltens einer Person oder auf Grund von „Vorbereitungshandlungen“ (ggf. auch in der Zusammenschau mit weiteren Tatsachen) Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine solche Gefahr erst entsteht („drohende Gefahr“).

In konsequenter Fortführung des Rechtsgedankens, dass Eingriffe bereits unterhalb der Schwelle einer bereits bestehenden Gefahr möglich sein sollen, normiert Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG-E die Befugnis zur Vornahme erkennungsdienstlicher Maßnahmen, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für bestimmte, im Einzelnen bezeichnete Rechtsgüter geboten erscheint.

Dieser Katalog des Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG-E wird schließlich bei den Möglichkeiten zur Ingewahrsamnahme gem. Art. 17 PAG-E herangezogen. So soll gem. Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG-E künftig eine Person auch dann in Gewahrsam genommen werden dürfen, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für die in Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG-E genannten Rechtsgüter (mit Ausnahme des Eigentums) unerlässlich ist.

Schließlich wird in Art. 20 Nr. 3 PAG-E die bisherige Höchstfrist von zwei Wochen für die richterliche Anordnung des Gewahrsams aufgehoben. Zwar muss der anordnende Richter nach wie vor schon in der Entscheidung eine Höchstfrist für den Gewahrsam bestimmen, er ist jedoch bei der Bemessung dieser Frist lediglich an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einerseits und bei erstmaliger Anordnung – über die bereits nach geltendem Recht bestehende Verweisung in Art. 18 Abs. 3 Satz 3 PAG auf die Vorschriften des FamFG – an die Höchstfrist von einem Jahr gebunden (vgl. § 425 Abs. 1 FamFG). Für die zweite und jede weitere Anordnung gilt gem. § 425 Abs. 3 FamFG diese Höchstfrist jeweils entsprechend.

In der Gesamtschau ergibt sich damit folgende Situation: Nach dem Gesetzentwurf sollen künftig Personen,

  • von denen eine Gefahr für bestimmte Rechtsgüter (einschließlich „Sachen von bedeutendem Wert“) ausgeht
  • oder von denen auf Grund bestimmter Umstände eine Gefahr für diese Rechtsgüter auch nur droht,
  • für (jedenfalls) ein Jahr in Gewahrsam genommen werden können,
  • wobei eine Verlängerung dieser Frist um jeweils ein weiteres Jahr in Folgeanordnungen möglich ist.

Diese erhebliche Ausweitung der Möglichkeiten zur zeitlich kaum begrenzten Freiheitsbeschränkung ist aus Sicht der Praxis höchst bedenklich. Schon die Ausweitung auch des Gewahrsams auf Fälle der nur drohenden Gefahr scheint problematisch. In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird insoweit auf das Urteil des BVerfG vom 20.04.2016 zum BKAG verwiesen, in der das BVerfG klargestellt hat, dass der Gesetzgeber bei Eingriffstatbeständen nicht auf die Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren beschränkt ist, sondern die Grenzen auch weiter ziehen kann. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich das BVerfG in dieser Entscheidung ausdrücklich mit heimlichen Überwachungsmaßnahmen nach dem BKAG befasst hat und auch in diesem Bereich auf die überragende Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angesichts der schwerwiegenden Grundrechtseingriffe durch derartige Überwachungen verwiesen hat. Freiheitsentziehende Maßnahmen wie vorliegend der Gewahrsam gem. Art 17 PAG stellen demgegenüber jedoch einen noch deutlich schwereren Eingriff dar. Die Anordnung von Gewahrsam gem. Art. 17 PAG-E in Fällen lediglich „drohender“ Gefahr für bestimmte Rechtsgüter, darunter auch „Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhalt im öffentlichen Interesse geboten erscheint“, geht vor diesem Hintergrund deutlich zu weit. Gerade letztere Anforderung ist zu unbestimmt, um eine freiheitsentziehende Maßnahme darauf gründen zu können, umso mehr, wenn auch für diese „Sachen“ keine konkrete, sondern lediglich eine drohende Gefahr vorausgesetzt wird.

Noch größeren Bedenken begegnet allerdings die Möglichkeit, den Gewahrsam künftig weitgehend zeitlich unbeschränkt zu verhängen. Beschränkungen ergeben sich lediglich aus dem Verweis auf das FamFG gem. Art. 18 Abs. 3 PAG, wodurch gem. § 425 Abs. 1 FamFG für erstmalige Anordnungen eine Höchstfrist von einem Jahr statuiert wird, die jedoch in der Folge wiederum im Jahresrhythmus verlängert werden kann. Selbstverständlich gilt für jegliche Anordnung von Gewahrsam ebenso wie bei allen freiheitsentziehenden Maßnahmen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, für die zuständigen Richter wird die Bemessung einer sehr kurzen Höchstfrist jedoch praktisch schwer möglich sein. Denn nach der Natur der im Raum stehenden Vorwürfe sind Fälle der drohenden Gefahr aufgrund terroristischer oder extremistischer Bestrebungen einer Person nicht zeitlich auf wenige Tage oder Wochen begrenzt. Ist eine Person bereits radikalisiert und ist auf Grund bestimmter konkreter Verhaltensweisen oder sonstiger konkreter Tatsachen zu befürchten, dass von ihr eine Gefahr für eines der genannten Rechtsgüter ausgeht, ist schwer vorstellbar, dass sich die Überzeugung und Radikalisierung dieser Person innerhalb weniger Wochen oder auch nur innerhalb von Monaten ändern. Die drohende Gefahr, sofern sie denn einmal festgestellt ist, wird vielmehr fortbestehen. Die Hoffnung, dass sich überlange Gewahrsamsdauern allein aufgrund des Korrektivs der Verhältnismäßigkeit vermeiden lassen werden, scheint daher nicht berechtigt.

2. Elektronische Aufenthaltsüberwachung zur Abwehr von Gefahren oder drohenden Gefahren für bedeutende Rechtsgüter

Gem. Art. 32a PAG-E soll es künftig zur Abwehr von konkreten oder drohenden Gefahren für eines der in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 a) – c) und e) PAG-E genannten Rechtsgüter möglich sein, gegen die Person, von der diese (drohende) Gefahr ausgeht, Maßnahmen der elektronischen Aufenthaltsüberwachung anzuordnen. Nach der Entwurfsbegründung sei eine solche Regelung „zwingend“, um eine Dauerüberwachung von besonders gefährlichen Personen gewährleisten zu können, die auf konventionellem Weg personell von den Polizeibehörden nicht dargestellt werden könnte.

Gegenüber den bereits bestehenden Möglichkeiten der elektronischen Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) bei rechtskräftig verurteilten Straftätern gem. § 68b StGB i.V.m. § 463a StPO geht die EAÜ bei „Gefährdern“ nach dem Gesetzentwurf jedoch deutlich weiter.

Auch hier soll nämlich bereits ausreichen, dass von einer Person eine drohende Gefahr für den weiten Rechtsgutskatalog des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PAG-E (mit Ausnahme des Eigentums) ausgeht. Dies bedeutet bereits eine erhebliche Erweiterung gegenüber den derzeit geltenden rechtlichen Vorgaben, nach denen bei Verurteilten die Anordnung einer EAÜ nur in den Grenzen eines abschließenden Straftatenkatalogs in Betracht kommt.

Noch gravierender stellt sich allerdings die Ausweitung der Anordnungsmöglichkeiten hinsichtlich der Verwertung der erhobenen Daten dar. Nach dem Grundsatz, dass die erhobenen Daten nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie erhoben wurden, erlaubt § 463a Abs. 4 Satz StPO eine Verwertung der erhobenen Daten nur zur Feststellung, Ahndung oder zur Ergreifung von Maßnahmen wegen eines Verstoßes gegen eine Gebots- oder Verbotszonenweisung (§ 68b Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 StGB) oder eines Verstoßes gegen die EAÜ-Weisung selbst (§ 68b Abs. 1 Nr. 12 StGB). Dieses Prinzip wird nach geltendem Recht lediglich in eng begrenztem Rahmen durchbrochen, soweit die Verwendung zur Abwehr einer erheblichen gegenwärtigen Gefahr für Leben, Leib, Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung Dritter (§ 463a Abs. 4 Satz 2 Nr. 4 StPO) oder zur Verfolgung einer schweren Straftat gem. § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB (§ 463a Abs. 4 Satz 2 Nr. 5 StPO) erforderlich ist.

Zur Einhaltung der Zweckbindung der Datenverwendung bestimmt § 463a Abs. 4 Satz 3 StPO zudem, dass die Verarbeitung der erhobenen Daten automatisiert zu erfolgen hat. Eine unbefugte Verwendung der Daten wird in der praktischen Umsetzung dieser Bestimmung dadurch verhindert, dass die Überwachungsstelle der Länder auf die erhobenen Daten grundsätzlich nicht zugreifen kann. Erst sobald das System automatisiert eine Ereignismeldung generiert (z.B. wegen einer Manipulation des Überwachungstrackers oder wegen eines Zonenverstoßes), werden die relevanten Daten zur weiteren Verwendung an die Überwachungsstelle weitergeleitet. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass eine „Echtzeit“-Überwachung in der Regel nur bei einer Ereignismeldung möglich ist. Eine „Echtzeit“-Überwachung ist in Ausnahmefällen darüber hinaus nur auf konkrete Anforderung möglich, wenn ein konkreter Anfangsverdacht für eine Straftat nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB besteht oder wenn eine erhebliche Gefahr für höchstpersönliche Rechtsgüter besteht. Demgegenüber ist es nach dem Gesetzentwurf künftig zulässig, erhobene und gespeicherte Daten des Betroffenen über seinen Aufenthaltsort „soweit dies zur Erfüllung des Überwachungszwecks erforderlich ist“ zu einem Bewegungsbild zu verbinden (Art. 32a Abs. 2 Satz 3 PAG-E). Im Übrigen ist auch die sonstige Verwendung der Daten durch Polizeidienststellen zu dem Zweck, zu dem sie erhoben wurden, sowie zur Abwehr einer drohenden Gefahr für erhebliche Rechtsgüter zulässig (Art. 32a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2 PAG-E).

Art. 32a Abs. 2 Satz 3 und Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2 PAG-E ermächtigen im Ergebnis künftig also die Polizei, den Betroffenen rund um die Uhr in allen Aktivitäten und Bewegungen zu überwachen und diese sogar in Form eines „Bewegungsbildes“ auszuwerten.

Dieser massive Eingriff in die persönliche Freiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bei Personen, die weder wegen einer Straftat rechtskräftig verurteilt noch einer solchen zumindest hinreichend verdächtig sind, und von denen u.U. nicht einmal eine konkrete Gefahr ausgeht, sondern nur eine Gefahr für eines der vorgenannten Rechtsgüter droht, ist aus hiesiger Sicht – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der vom BVerfG in seiner Entscheidung vom 11.03.2008 (1 BvR 2074/05 und 1 BvR 1254/07, NJW 2008, 1505) aufgestellten Grundsätze zur Verhältnismäßigkeit von Überwachungsmaßnahmen durch die automatisierte Erfassung von KFZ-Kennzeichen – verfassungsrechtlich in hohem Maße bedenklich.

Bayerischer Richterverein e.V., Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Staatsregierung „Entwurf eines Gesetzes zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen“ (Stand des Gesetzentwurfs: 21.02.2017)

Redaktionelle Hinweise

Die Stellungnahme ist am 14.03.2017 auf der Website des Bayerischen Richtervereins veröffentlicht worden. Herzlichen Dank dem Bayerischen Richterverein, die Stellungnahme auch auf BayRVR veröffentlichen zu dürfen (die Hervorhebungen im Text wurden übernommen).

Vgl. zum Gesetzentwurf insbesondere auch Brodmerkel, Der Gesetzentwurf zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen – Gelungen mit Einschränkungen (09.03.2017) und Heidebach, Der Gesetzentwurf zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen – Wider rechtsstaatliche Kernsätze des Polizeirechts (13.03.2017)

  • Aktueller Stand und Verlauf des vorliegenden Gesetzgebungsverfahrens, weitere Beiträge und amtliche bzw. kommunale Stellungnahmen auf einen Blick: hier.
  • Zur Gesetzgebungsübersicht (alle laufenden Verfahren) für den Freistaat Bayern: hier.