Das sei insbesondere dann der Fall, wenn unter mehreren Erzeugerorganisationen oder ihren Vereinigungen oder zwischen solchen Organisationen und anderen Akteuren des Marktes Absprachen über den Preis oder die auf den Markt gebrachten Mengen getroffen oder Informationen ausgetauscht würden.
Die französischen Wettbewerbsbehörden deckten 2007 im Sektor der Erzeugung und Vermarktung von Chicorée Verhaltensweisen auf, die sie für wettbewerbswidrig halten. Es ging im Wesentlichen um Absprachen über den Preis und die auf den Markt gebrachten Mengen und um den Austausch strategischer Informationen. Beteiligt waren Erzeugerorganisationen (EO), Vereinigungen von Erzeugerorganisationen (VEO) sowie verschiedene Verbände und Gesellschaften.
AnzeigeGegen die Beteiligten wurde eine Geldbuße i.H.v. etwa € 4 Mio. festgesetzt, die diese vor den französischen Gerichten angefochten haben. Sie machen geltend, ihre Verhaltensweisen fielen nicht unter das unionsrechtliche Kartellverbot. Nach dem Unionsrecht[1] sei es Aufgabe der EO und VEO, eine nachfragegerechte Erzeugung sicherzustellen und die Erzeugerpreise zu regulieren. Die von den französischen Behörden als wettbewerbswidrig eingestuften Verhaltensweisen seien durch die Wahrnehmung dieser Aufgabe gerechtfertigt.
Die mit der Sache befasste Cour de cassation ersucht den Gerichtshof um Klarstellungen zu dieser Frage.
In seinen heutigen Schlussanträgen weist Generalanwalt Nils Wahl zunächst darauf hin, dass die EO und VEO u.a. die allgemeine Aufgabe hätten, eine nachfragegerechte Erzeugung sicherzustellen, die Produktionskosten zu drosseln und die Erzeugerpreise zu regulieren. Ihnen komme daher bei der Zentralisierung der Vermarktung der Erzeugnisse ihrer Mitglieder eine Schlüsselrolle zu. Es liege in ihrem Wesen, dass bei ihnen kollektive Abstimmung stattfinde.
AnzeigeDie Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) hätten nach dem AEU-Vertrag Vorrang vor den Zielen des Wettbewerbs. Deshalb unterlägen bestimmte, für die Erfüllung ihrer Aufgaben unbedingt erforderliche Maßnahmen der EO und VEO nicht dem Wettbewerbsrecht. Zur Erfüllung der ihnen vom Unionsgesetzgeber übertragenen Aufgaben müssten die EO und VEO Formen der Koordinierung und Abstimmung einführen, die nicht den Marktgesetzen unterlägen und daher nicht mit der Idee des Wettbewerbs vereinbar seien. Die Verfolgung solcher Ziele setze voraus, dass die betreffende EO/VEO die Verkaufsbedingungen, insbesondere die Verkaufspreise, tatsächlich kontrolliere.
Der Generalanwalt weist jedoch darauf hin, dass die von den EO/VEO getroffenen Maßnahmen nicht bereits deshalb nicht dem Wettbewerbsrecht unterlägen, weil sie mehr oder weniger der Verwirklichung der ihnen durch den Unionsgesetzgeber übertragenen Aufgaben dienten. Vielmehr müssten die Verhaltensweisen den Aufgaben zuzuordnen sein, die den mit der Vermarktung der betreffenden Erzeugnisse betrauten EO, VEO und Branchenverbänden speziell übertragen seien.
Die Nichtgeltung des Wettbewerbsrechts, insbesondere des Kartellverbots, setze voraus, dass die betreffenden Verhaltensweisen innerhalb einer EO/VEO erfolgt seien, die tatsächlich mit der Verwaltung der Erzeugung und Vermarktung des betreffenden Erzeugnisses betraut worden sei. Sie seien dann nämlich mit den Verhaltensweisen einer Gesellschaft oder eines Konzerns vergleichbar, die bzw. der auf dem betreffenden Markt als eine wirtschaftliche Einheit auftrete. Solche „internen“ Verhaltensweisen unterlägen nicht dem Wettbewerbsrecht.
Verhaltensweisen zwischen EO, zwischen VEO, innerhalb von nicht mit der Vermarktung der Erzeugnisse ihrer Mitglieder betrauten Einheiten oder gar zwischen einer EO/VEO und anderen Arten von Akteuren auf dem Markt unterlägen hingegen dem Wettbewerbsrecht. Sie erfolgten nämlich zwischen wirtschaftlichen Einheiten, bei denen davon ausgegangen werde, dass sie unabhängig seien. Abgesehen von Interventionsmaßnahmen, die vom Unionsgesetzgeber ausdrücklich vorgesehen seien, unterlägen Absprachen über die Preise, die erzeugten Mengen und die Weitergabe sensibler Geschäftsdaten innerhalb einer Einheit, die von ihren Mitgliedern nicht mit der Vermarktung der Erzeugnisse betraut sei, daher dem Wettbewerbsrecht.
Der Generalanwalt geht sodann konkret auf das Kartell ein, das in Frankreich im Chicoréesektor bestanden haben soll. Zu den Absprachen über den Preis für Chicorée stellt er fest, dass die Festsetzung eines Mindestpreises unter Erzeugern unter das unionsrechtliche Kartellverbot falle, und zwar unabhängig davon, ob sie zwischen verschiedenen EO/VEO oder innerhalb ein und derselben EO/VEO erfolge. Den EO und VEO sei nämlich die Aufgabe übertragen, mit den nachgeordneten Akteuren der Branche (Einzelhandelsunternehmen) für die gesamte Erzeugung einen einheitlichen Preis auszuhandeln, der in Abhängigkeit von den Vermarktungszeiträumen und der Qualität des betreffenden Erzeugnisses variieren könne. Die Festsetzung eines nicht variablen Mindestpreises innerhalb einer EO/VEO, ergebe dann per definitionem keinen Sinn mehr.
Zu den Absprachen über die auf den Markt gebrachten Mengen stellt der Generalanwalt fest, dass solche Absprachen, die innerhalb einer EO/VEO im Rahmen von durch die europäischen Rechtsvorschriften vorgesehenen Produktionsplänen erfolgten, dem Wettbewerbsrecht nicht unterlägen, sofern sie tatsächlich dazu dienten, die Produktion zu regulieren, um die Preise der betreffenden Erzeugnisse zu stabilisieren. Absprachen zwischen mehreren EO und VEO, die auf die Begrenzung und generelle Kontrolle der auf den Markt gebrachten Mengen auf der Ebene des gesamten Chicoréemarkts und damit auf die langfristige Begrenzung der Erzeugung abzielten (wie offenbar im vorliegenden Fall), unterlägen hingegen dem Wettbewerbsrecht.
Zum Austausch strategischer Informationen stellt der Generalanwalt schließlich fest, dass die Aufgaben, die den EO und VEO übertragen seien, den internen Austausch strategischer Informationen implizierten, so dass die Wettbewerbsregeln innerhalb einer EO/VEO generell keine Anwendung fänden. Ein Austausch von Informationen, bei dem unter EO, VEO und anderen Wettbewerbern Preise mitgeteilt würden (wie offenbar im vorliegenden Fall), lasse sich hingegen nicht den den EO/VEO übertragenen Aufgaben zuordnen und falle daher unter das Kartellverbot.
EuGH, Pressemitteilung v. 06.04.2017 zu den Schlussanträge des Generalanwalts in der Rs. C-671/15 (Président de l’Autorité de la concurrence / Association des producteurs vendeurs d’endives [APVE] u.a.)
[1] Verordnung Nr. 26 v. 04.04.1962 zur Anwendung bestimmter Wettbewerbsregeln auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit diesen Erzeugnissen (ABl. 1962, 30, S. 993), Verordnung (EG) Nr. 2200/96 des Rates v. 28.10.1996 über die gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse (ABl. 1996, L 297, S. 1), Verordnung (EG) Nr. 1184/2006 des Rates v. 24.07.2006 zur Anwendung bestimmter Wettbewerbsregeln auf die Produktion bestimmter landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit diesen Erzeugnissen (ABl. 2006, L 214, S. 7), Verordnung (EG) Nr. 1182/2007 des Rates v. 26.09.2007 mit besonderen Vorschriften für den Obst- und Gemüsesektor zur Änderung der Richtlinien 2001/112/EG und 2001/113/EG sowie der Verordnungen (EWG) Nr. 827/68, (EG) Nr. 2200/96, (EG) Nr. 2201/96, (EG) Nr. 2826/2000, (EG) Nr. 1782/2003 und (EG) Nr. 318/2006 und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2202/96 (ABl. 2007, L 273, S. 1), Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates v. 22.10.2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse (Verordnung über die einheitliche GMO) (ABl. 2007, L 299, S. 1).