Aktuelles

BVerwG: Einbürgerung scheitert nicht an offengelegter Identitätstäuschung, wenn die Ausländerbehörde hieraus keine Konsequenzen gezogen hat

Bei der Anspruchseinbürgerung sind auch Aufenthaltszeiten zu berücksichtigen, in denen der Ausländer unter falscher Identität in Deutschland gelebt hat, ohne dass die Ausländerbehörde hieraus nach Offenlegung der wahren Identität aufenthaltsrechtliche Konsequenzen gezogen hat. Das hat das BVerwG in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste 1997 unter falscher Identität in das Bundesgebiet ein und beantragte unter falschen Angaben seine Anerkennung als Asylberechtigter. Er wurde als Flüchtling anerkannt und erhielt einen Aufenthaltstitel. Seit 2008 ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. 2010 offenbarte er der Ausländerbehörde seine wahre Identität, ohne dass dies zu einer strafrechtlichen Ahndung, einer Aufhebung der Flüchtlingsanerkennung und/oder des ihm erteilten Aufenthaltstitels führte. 2012 beantragte er seine Einbürgerung. Diesen Antrag lehnte die Staatsangehörigkeitsbehörde mit der Begründung ab, der Kläger habe nicht – wie vom Gesetz für einen Anspruch auf Einbürgerung gefordert – seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet; wegen der Identitätstäuschung begründe der tatsächliche und formell rechtmäßige Aufenthalt keinen „gewöhnlichen“ Aufenthalt. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg.

Anzeige

Der 1. Revisionssenat des BVerwG hat der Revision des Klägers stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, den Kläger in den deutschen Staatsverbund einzubürgern. Ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG setzt u.a. voraus, dass der Ausländer seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Ist ein Ausländer – wie hier – unter Angabe einer falschen Identität in das Bundesgebiet eingereist, schließt dies bei einer rückblickenden Bewertung seines Aufenthalts die Berücksichtigung von Aufenthaltszeiten vor Offenlegung der Täuschung nicht generell aus. Für den gewöhnlichen Aufenthalt und die dabei zu treffende Prognose kommt es maßgeblich darauf an, ob die Ausländerbehörde bei Kenntnis des wahren Sachverhalts und in Ansehung ihrer rechtlichen Möglichkeiten aufenthaltsbeendende Maßnahmen ergriffen hätte. Da die für den Kläger zuständige Ausländerbehörde nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in der Vergangenheit bei Identitätstäuschungen nach Offenlegung der wahren Identität keine aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen gezogen hat und zudem an die Flüchtlingsanerkennung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gebunden war, steht die Identitätstäuschung im vorliegenden Fall der Annahme eines rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts nicht entgegen. Die Berücksichtigung der unter Identitätstäuschung zurückgelegten Aufenthaltszeiten im Einbürgerungsverfahren ist auch nicht rechtsmissbräuchlich, denn die Ausländerbehörde hat auf die Identitätstäuschung nicht mit den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten reagiert (etwa durch Stellung einer Strafanzeige wegen mittelbarer Falschbeurkundung, Hinwirken auf eine Aufhebung der Flüchtlingsanerkennung durch das Bundesamt und/oder Aufhebung des dem Kläger erteilten Aufenthaltstitels) und hat es so hingenommen, dass die auf die Aufenthaltsdauer bezogenen Voraussetzungen der Einbürgerung erfüllt worden sind. Die Einbürgerungsbehörde ist hieran dann auch gebunden.

BVerwG, Pressemitteilung v. 01.06.2017 zum Urt. v. 01.06.2017 – BVerwG 1 C 16.16

Redaktionelle Hinweise