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BVerwG: Politische Meinungsäußerung und beamtenrechtliches Mäßigungsgebot; Anforderungen an die ärztliche Begutachtung im Zurruhesetzungsverfahren

Sachgebiet: Recht des öffentlichen Dienstes / BVerwG, Urt. v. 31.08.2017 – BVerwG 2 A 6.15 / Weitere Schlagworte: Kritik an der Politik der Regierung oder anderen Organen des Dienstherrn; Grenzen; Mäßigungs- und Zurückhaltungsgebot; Loyalität gegenüber seinem Dienstherrn; Neutralität gegenüber jedermann; Häufigkeit und Intensität politischer Äußerungen; Verhaltensstörungen; Annahme einer Dienstunfähigkeit jenseits anerkannter ICD-Klassifikationen

Leitsätze:

  1. Anzeige

    Die Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) berechtigt den Beamten grundsätzlich auch dazu, im Dienst in Gesprächen mit seinen Kollegen Kritik an der Politik der Regierung oder anderen Organen seines Dienstherrn zu üben. Grenzen solcher politischer Meinungsäußerungen ergeben sich aber aus dem Mäßigungs- und Zurückhaltungsgebot (§ 60 Abs. 2 BBG, § 33 Abs. 2 BeamtStG, § 15 SG). Erforderlich ist stets eine umfassende Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls.

  2. Der Beamte darf die Organe seines Dienstherrn weger ihrer Politik nicht in einer Weise in Frage stellen, die den Eindruck entstehen lassen kann, er werde bei seiner Amtsführung nicht loyal gegenüber seinem Dienstherrn und nicht neutral gegenüber jedermann sein oder er werde dienstlichen Anordnungen unter Umständen nicht Folge leisten. Eine weitere Grenze ist dann überschritten, wenn Häufigkeit und Intensität der politischen Äußerungen dazu führen, dass der Dienstbetrieb und die Erledigung der dienstlichen Aufgaben beeinträchtigt werden.
  3. Ein in einem Zurruhesetzungsverfahren erstelltes ärztliches Gutachten muss die medizinischen Befunde und ebensolche Schlussfolgerungen so plausibel und nachvollziehbar darlegen, dass die zuständige Behörde auf dieser Grundlage entscheiden kann, ob der Beamte zur Erfüllung der Dienstpflichten seines (abstrakt-funktionellen) Amtes dauernd unfähig ist und ggf. welche Anforderungen oder Einschränkungen aus medizinischer Sicht hinsichtlich einer anderweitigen Verwendung des Beamten auf einem anderen Dienstposten zu stellen sind.
  4. Geht es um psychische oder Verhaltensstörungen des Beamten, kann zur Plausibilisierung auf die Kategorien des Kapitels V der Internationalen Klassifikation und verwandten Gesundheitsprobleme (ICD) zurückgegriffen werden. Die Annahme einer Dienstunfähigkeit wegen einer bloßen tätigkeits- oder behördenbezogenen psychischen Beeinträchtigung („Schülerphobie“, „BND-Phobie“) – jenseits anerkannter ICD-Klassifikationen – ist rechtlich ausgeschlossen.