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EuGH: Universitätsabschlüsse, die im Rahmen von teilweise gleichzeitig absolvierten Studiengängen erlangt werden, müssen automatisch in allen Mitgliedstaaten anerkannt werden, wenn die unionsrechtlich festgelegten Mindestanforderungen an die Ausbildung erfüllt sind

2013 gab das Ministero della Salute (Gesundheitsministerium, Italien – im Folgenden: Ministerium) dem Antrag von Herrn H. P., einem italienischen Staatsbürger, statt, den Titel „Doktor der Zahnheilkunde“ für die Ausübung des Zahnarztberufs in Italien anzuerkennen. Dieser Titel war ihm von der Medizinischen Universität Innsbruck (Österreich) verliehen worden.

2014 stellte Herr P., um in Italien auch den Beruf des Chirurgen auszuüben, beim Ministerium einen Antrag auf Anerkennung des Titels „Doktor der Gesamten Heilkunde“, der ihm ebenfalls von der Medizinischen Universität Innsbruck verliehen worden war.

Das Ministerium lehnte die Anerkennung dieses Titels mit der Begründung ab, dass in der Richtlinie 2005/36 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen[1] nicht vorgesehen sei, dass eine Person gleichzeitig zwei Ausbildungen absolviere. Zahlreiche von Herrn P. abgelegte Prüfungen seien gleichzeitig für die Ausstellung sowohl des Titels des Zahnarztes als auch des Titels des Arztes berücksichtigt worden. Die gleichzeitige Immatrikulierung in zwei Studiengängen sei aber, auch wenn sie nach österreichischem Recht zulässig sei, nach italienischem Recht verboten, das eine Pflicht zur Ausbildung in Vollzeit vorsehe.

Dagegen erhob Herr P. Klage bei den italienischen Verwaltungsgerichten. In diesem Kontext fragt der Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) den Gerichtshof, ob die Richtlinie einen Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften das Erfordernis einer Vollzeitausbildung und das Verbot vorsehen, sich gleichzeitig für zwei Ausbildungen einzuschreiben, zur automatischen Anerkennung von Titeln verpflichtet, die in einem anderen Mitgliedstaat am Ende von teilweise gleichzeitig absolvierten Ausbildungen erteilt wurden. Der Consiglio di Stato möchte auch wissen, ob, wenn der Titel am Ende einer Ausbildung auf Teilzeitbasis erteilt wurde, der Aufnahmemitgliedstaat (im vorliegenden Fall Italien) überprüfen kann, ob die Voraussetzung, dass die Gesamtdauer, das Niveau und die Qualität der Ausbildungen auf Teilzeitbasis nicht geringer sind als bei einer Vollzeitausbildung, erfüllt ist.

Mit seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof zunächst in Bezug auf die Berufe des Arztes und des Zahnarztes fest, dass die Richtlinie ein System der automatischen Anerkennung der Ausbildungsnachweise vorsieht, das auf Mindestanforderungen an die Ausbildung beruht, die von den Mitgliedstaaten einvernehmlich festgelegt worden sind.

Der Gerichtshof stellt sodann fest, dass die Richtlinie es den Mitgliedstaaten zum einen erlaubt, die Ausbildung auf Teilzeitbasis zu gestatten, sofern die Gesamtdauer, das Niveau und die Qualität dieser Ausbildung nicht geringer sind als bei einer Vollzeitausbildung, und dass sie es zum anderen den Mitgliedstaaten nicht verwehrt, die gleichzeitige Einschreibung in mehrere Ausbildungen zu gestatten.

Daher muss ein Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften das Erfordernis einer Vollzeitausbildung und das Verbot vorsehen, sich gleichzeitig für zwei Ausbildungen einzuschreiben, die in einem anderen Mitgliedstaat erteilten und von der Richtlinie erfassten Ausbildungsnachweise auch dann automatisch anerkennen, wenn der Betroffene eine Ausbildung auf Teilzeitbasis oder mehrere Ausbildungen gleichzeitig oder in Zeiträumen, die sich teilweise überschneiden, absolviert hat, sofern die Anforderungen der Richtlinie an die Ausbildung erfüllt sind.

Der Gerichtshof hebt hervor, dass es dem Herkunftsmitgliedstaat (im vorliegenden Fall Österreich) und nicht dem Aufnahmemitgliedstaat obliegt, sicherzustellen, dass die Gesamtdauer, das Niveau und die Qualität der Ausbildungen auf Teilzeitbasis nicht geringer sind als bei einer Vollzeitausbildung und dass ganz allgemein alle in der Richtlinie 2005/36 aufgestellten Anforderungen in vollen Umfang erfüllt sind. Das System der automatischen und bedingungslosen Anerkennung der Ausbildungsnachweise wie das in der Richtlinie vorgesehene würde nämlich schwerwiegend beeinträchtigt, wenn es den Mitgliedstaaten freistünde, die Begründetheit der von der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats getroffenen Entscheidung, diese Nachweise zu erteilen, nach ihrem Ermessen in Frage zu stellen.

Pressemitteilung des EuGH Nr. 188 v. 06.12.2018 zum Urt. v. 06.12.2018 – C-675/17 (Ministero della Salute / H. P.)


[1] Richtlinie 2005/36 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. 2005, L 255, S. 22).