Rechtsprechung Bayern

Zur Befreiung von den Festsetzungen eines Baulinienplans

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Eine Grundstückseigentümerin begehrte die Erteilung eines Bauvorbescheids unter Befreiung von den Festsetzungen eines Baulinienplans der Stadt für die Errichtung eines Wohnhauses. Mit Bescheid vom 15.02.2017 wurde der Antrag abgelehnt, weil das Bauvorhaben den Festsetzungen des Baulinienplans widerspreche und eine Bebauung die Grundzüge der Planung berühren würde. Die hiergegen erhobene Klage der Grundstückseigentümerin hatte das Verwaltungsgericht (VG) mit Urt. v. 14.06.2018 abgewiesen.

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung hatte die Grundstückseigentümerin ihr Begehren beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) weiterverfolgt. Zur Begründung ihres Antrags hatte die Grundstückseigentümerin die Ansicht vertreten, der Baulinienplan sei entgegen der Ansicht des VG funktionslos und stünde einer Bebauung ihres Grundstücks nicht entgegen. Denn die Situation auf den Grundstücken im Geltungsbereich des Baulinienplans habe sich dergestalt verfestigt, dass die Verwirklichung der festgesetzten Baugrenzen in diesem Bereich ausgeschlossen sei. Nach Auffassung des VGH ergaben sich aus diesen Darlegungen jedoch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Tatsächliche Entwicklung der Verhältnisse muss Verwirklichung der Planung auf unabsehbare Zeit ausschließen 

Das VG sei zutreffend davon ausgegangen, dass eine bauplanerische Festsetzung wegen Funktionslosigkeit außer Kraft tritt, wenn und soweit erstens die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt, und zweitens eine bestimmte Offenkundigkeit des Mangels besteht, d. h. die zur Funktionslosigkeit führende Abweichung zwischen planerischer Festsetzung und tatsächlicher Situation in ihrer Erkennbarkeit einen Grad erreicht haben muss, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt. Das VG habe sodann unter Würdigung der Gesamtsituation im rückwärtigen Bereich des Bauquartiers und der unterschiedlichen baulichen Gegebenheiten sowie Veränderungen gegenüber der Planzeichnung aus dem Jahr 1957 ausgeführt, dass der rückwärtige Bereich des Bauquartiers immer noch überwiegend unbebaut ist und dem Baulinienplan seine Gestaltungsfunktion der Freihaltung dieses Bereichs von weiterer Bebauung immer noch zukommt. Dieser Gesamtbetrachtung ist das Zulassungsvorbringen, das vielmehr allein auf ein früher ungeteiltes Grundstück und das Grundstück der klageführenden Eigentümerin als „Baulücke“ zwischen zwei anderen Grundstücken abgestellt hat, nicht substanziiert entgegengetreten. Das VG habe ferner zu Recht darauf abgestellt, dass keine gravierenden Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse nach Aufstellung des Bebauungsplans eingetreten sind.

Zeitweilige Aufnahme eines Grundstücks in das Baulandkataster begründet keine Bebaubarkeit

Dem setzte das Zulassungsvorbringen im Wesentlichen nur die gegenteilige Rechtsauffassung der klageführenden Grundstückseigentümerin entgegen und setzte sich nicht substanziiert mit den Ausführungen des VG auseinander. Soweit das Zulassungsvorbringen auf die Überschreitung einer rückwärtigen Baugrenze durch eine Garage und Stellplätze auf einem Grundstück abgestellt hat, habe das VG ausgeführt, dass seither keine Überschreitung der Baugrenze genehmigt wurde und keine baulichen Maßnahmen im betreffenden rückwärtigen Bereich des Bauquartiers stattgefunden haben. Im Hinblick darauf, dass es sich bei der Garage erkennbar um ein Nebengebäude und nicht um ein Wohnhaus handelt, kann insbesondere unter Berücksichtigung des § 23 Abs. 5 Baunutzungsverordnung (BauNVO) hieraus nicht maßgeblich auf eine Funktionslosigkeit des Baulinienplans geschlossen werden. Damit zeigte das Zulassungsvorbringen nicht auf, dass das planerische Ziel der Freihaltung einer größeren Innenfläche in dem betreffenden Bauquartier obsolet geworden ist.

Die klageführende Grundstückseigentümerin konnte auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von der Baugrenze des Baulinienplans wegen widersprüchlichen Verhaltens der Stadt ableiten. Dass die Stadt andere Planungsabsichten hatte, die in Folge der gerichtlichen Aufhebung des Änderungs-Bebauungsplans nicht realisiert wurden und sie deshalb an der früheren und wieder geltenden Rechtslage nach dem Baulinienplan festhält, ist weder widersprüchlich, noch kann dies hier einen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung oder eine Ermessensreduzierung auf „Null“ auslösen. Nichts anderes ergibt sich auch aus der zeitweiligen Aufnahme des Grundstücks der klageführenden Eigentümerin in das Baulandkataster, da dies weder die Bebaubarkeit des Grundstücks zu begründen vermag, noch eine Zusicherung der Bebaubarkeit darstellt.

 

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 12.01.2021 – 9 ZB 18.1634

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